IT-Beratungsservice in Deutschland Zum Nutzen des Anwenders den Kunden des Kunden im Blick

23.12.1994

Von Lothar Fohmann*

Investitionen sollen die Attraktivitaet neuer Techniken mit der Effektivitaet kontinuierlich optimierter Geschaeftsprozesse verbinden. Ein weites Feld fuer die Beratung. Die Consulter muessen sich ausserdem, wollen sie weiter ihren Markt behalten, auf den Kunden des Kunden konzentrieren.

Die differenzierten Wuensche, Beduerfnisse und Qualitaetsansprueche emanzipierter Verbraucher koennen Produktherstellern und Dienstleistern mitunter Kopfzerbrechen bereiten. Beispiel Mobilitaet: Ein Kunde moechte per Bahn zum Flughafen anreisen, er will dort keine langen Wartezeiten in Kauf nehmen und moechte nach der Landung am auslaendischen Zielort sogleich in einen bereitstehenden Mietwagen einsteigen. Da der Kunde dies etwa vier- bis sechsmal im Monat tut, erwartet er von der Fluggesellschaft nicht nur entsprechend guenstige Tarife, sondern auch ein moeglichst einfaches und transparentes Abrechnungsverfahren. Kein ungewoehnlicher Fall - um aber einen solchen integrierten Service anbieten zu koennen, wird ein Hoechstmass an Informations-Management und Logistik gebraucht. Also ein Fall fuer die Informationsverarbeitung.

Nun kommt der Umsetzungspartner ins Spiel. Oft ist er an einen Hardwarehersteller gebunden oder ist ein auf Individualanwendungen spezialisierter Software-Entwickler. Er wird viel von der Technik verstehen, doch haeufig wenig von den Kundenwuenschen, mit denen sich das zu beratende Unternehmen konfrontiert sieht.

Geschaeftsprozesse sind zu breit gefaechert

Der Anwender erhofft sich von der Informationstechnik in der Regel nicht nur eine verbesserte Kundenorientierung, sondern auch schlankere Geschaeftsprozesse, Renditeverbesserungen und eine abgesicherte Marktposition. Erfolgreich zu beraten, erfordert vor allem betriebswirtschaftliches Handwerkszeug. Erst fachliches Know-how und Branchenerfahrung machen aus einer Entwicklung eine Loesung, die letztlich dem gesamten Marktauftritt des Anwenders und den Endverbrauchern, den Kunden des Kunden, dient.

Schon ein fluechtiger Blick auf den Markt fuer Informationssysteme zeigt, dass es auf der Nachfrageseite den typischen Anwender nicht gibt. Nicht einmal die Branche, die Struktur oder die Groesse eines Unternehmens ist heute noch ein verlaessliches Indiz fuer gleichartige IT-Anforderungen. Zu breitgefaechert und vielschichtig stellen sich die Geschaeftsprozesse im einzelnen dar, als dass innovative Technologien gleichzeitig schon eine Problemloesung bedeuteten.

Darueber hinaus wird der IT-Markt, wie jeder andere auch, von Moden beherrscht - zumindest aber von der Furcht der Anwender, heute ein Produkt zu kaufen, das morgen schon wieder veraltet ist. Die Anwender reagieren typischerweise mit zwei Strategien. Die erste, groessere Gruppe zoegert den Einsatz innovativer Technologien hinaus. Die zweite Gruppe behilft sich mit Anwendungsinseln - quasi zur Probe der avanciertesten Hardwaresysteme, Networking-Komponenten und Softwareprodukte.

Dieser Dernier-cri-Effekt wird verstaerkt, wenn der ausgewaehlte IT- Berater seinerseits die Gelegenheit gekommen sieht, seine Kompetenz im Umgang mit juengsten Technikinnovationen zu beweisen. Der inflationaere Umgang mit Begriffen wie Downsizing, Lean Computing oder Outsourcing ist haeufig ein Indiz dafuer, dass eine inhaltliche Verstaendigung ueber die mit der Weiterentwicklung einer informationstechnischen Infrastruktur zu verwirklichenden Unternehmensziele des Anwenders noch nicht stattgefunden hat.

Innovationschic ist jedoch keine Basis fuer Investitionsentscheidungen. Zur Professionalitaet des Beraters gehoert vor allem die Faehigkeit, anwenderspezifische Prozesse und informationstechnische Systeme in einen sich wechselseitig optimierenden Regelkreis zu ueberfuehren. Die Entscheidung, Software gegen voellig neue Programme auszutauschen, faellt haeufig in einer Art von Torschlusspanik, die ein guter Berater daempfen sollte.

Radikales Business-Re-Engineering mit Neuentwurf

Das technisch Machbare ist nicht automatisch auch das fuer den langfristigen Geschaeftserfolg des Anwenders Nuetzliche. So waere es beispielsweise Unsinn, ein Hochgeschwindigkeits-WAN mit teuren Standleitungen aufzubauen, wenn zwischen raeumlich getrennten Teilen eines Unternehmens so wenige Daten ausgetauscht werden, dass sich temporaer geschaltete Waehlleitungen als billigere Alternative anbieten.

Haeufig sind es die Ausgaben fuer Informationsverarbeitung, die in einem Unternehmen den Stein ins Rollen bringen. Dabei sind es gar nicht die absoluten Kosten, die in Betrieben selbst ein und derselben Branche oft weit auseinander liegen koennen, sondern die Leistungen, die die vorhandene IT-Infrastruktur den Fachabteilungen verspricht. Um Unzulaenglichkeiten endlich wirksam einzudaemmen, setzt man in vielen Faellen auf ein radikales Business Re-Engineering, das zwangslaeufig mit einem Neuentwurf der Informationsarchitektur im Unternehmen einhergeht. Doch nur vereinzelt war diese Tabula-rasa-Methode bisher von Erfolg gekroent. Inzwischen gibt es hinreichend Beispiele fuer gescheiterte Grossprojekte dieser Art.

Wenn ein Unternehmen die Reorganisation seiner Geschaeftsprozesse und des darin verwobenen Informations-Managements anstrebt, muss die Frage nach der Weiterverwendung der bisher eingesetzten Hardware und der einst teuer bezahlten Applikationsentwicklungen vor dem Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Anforderungen beantwortet werden, die die Geschaeftsaktivitaeten des Anwenders an die Informationstechnik stellen. Die mitunter im Stil eines Glaubenskampfes ausgetragene Debatte ueber Vor- und Nachteile einer Migration von der Grossrechner-Ebene in die Client-Server-Welt ist dieser Problemsicht nicht adaequat.

Nur in den seltensten Faellen haben Unternehmen in der Vergangenheit langfristige Informatikstrategien entwickelt und gepflegt. Durch die vielfaeltige Projektkompetenz ist es vor allem die Beratungsbranche, die es mit sauberer Methodik versteht, den Anwender durch seinen dschungelhaften Wildwuchs von Systemplattformen, Programmen und Daten zu leiten. Wie sinnvoll vorhandene Rechner- und Systemwelten in eine neue IT-Infrastruktur eingebunden werden koennen, wird ein Berater deshalb nur im Zusammenhang mit der Modellierung von Geschaeftsprozessen klaeren. Denkbar ist, dass ein Mainframe als zentraler Datenbankrechner auch in einem Client-Server-Netz nutzbringend agieren kann.

Informationssysteme sind heute das Herzstueck fuer betriebswirtschaftliche Optimierungsaufgaben. Die Dienstleistung des IT-Beraters ist deren wechselseitige Verzahnung mit der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung des Anwenderunternehmens. Beratung heisst also, Dynamik zu organisieren. Und hier liegen auch die groessten Unterscheidungsmerkmale fuer die Auswahl des richtigen Partners.

Die Beratungslandschaft in Deutschland laesst sich in vier grosse Gruppen von Serviceanbietern aufteilen:

- standardproduktnahe Berater mit starker Technikorientierung (Hardware und Software),

- Wirtschaftspruefer und Beratergesellschaften mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt,

- Entwickler von Individualanwendungen sowie

- IT-Mischkonzerne, die von der Personalentwicklung bis zum Betrieb von Rechenzentren, Dienstleister in "allen Klassen" sind.

Auch wenn sich mit bestimmten Einzelleistungen kaum mehr Geld verdienen laesst, werden die in den jeweiligen Marktsegmenten operierenden Unternehmen ihre Domaene verteidigen koennen, solange sie auch in Zukunft als branchenkundige Loesungsanbieter auftreten. Dem Berater kommt damit im wesentlichen eine Dolmetscherfunktion zu: Er hat nicht allein den Status quo zu elektrifizieren, sondern muss Potentiale aufzeigen, welches der effizienteste Weg ist, die strategischen Ziele des Anwenders zu erreichen. Ist er damit zugleich auch die verlaengerte Werkbank eines IT- Produktherstellers? Nein - es geht um eine Breitenexpertise und nicht um Produkt-Marketing.

Der Berater muss die Anforderungen beschreiben

Der Berater muss beim Fachkonzept in der Lage sein, die anwenderspezifischen funktionalen Anforderungen an das zu implementierende IT-System zu beschreiben. Das Fachkonzept ist damit der erste Test auf praktische Maengelbeseitigung. Es enthaelt noch keine technischen Spezifikationen. Den Endnutzer interessiert es auch nicht, ob sich hinter dem User Interface etwa eines Dokumenten-Management-Systems ein relationales oder ein objektorientiertes Datenbankmodell verbirgt - fuer ihn ist entscheidend, dass er bequem und schnell auf alle benoetigten Informationen zugreifen kann. Erst auf der Grundlage eines stringenten Fachkonzepts kann sinnvoll ueber die technische Konfiguration nachgedacht und eine adaequate IT-Architektur entworfen werden. Schliesslich gehoert der Kompetenzaufbau bei den Mitarbeitern des Anwenderunternehmens als parallele Aufgabe zur Umsetzungsaufgabe eines Beraters.

IT-unterstuetzte Prozessoptimierung, verstanden als evolutionaerer Vorgang, nimmt die Loesung betriebswirtschaftlicher und technischer Probleme als gleichrangige Aufgaben wahr. In der Praxis bedeutet das, dass alle Prozesse, die nur sekundaer zur Wertschoepfung beitragen und meistens administrativen Charakter haben, zu Subsystemen der primaeren Wertschoepfung umgeformt werden. So entsteht idealiter eine Prozesskette, die alle beteiligten Mitarbeiter als Motivationsanreiz empfinden, weil der eigene Beitrag zur Gesamtleistung erkennbar wird.

Angesichts der in vielen Branchen anzutreffenden Aehnlichkeit der angebotenen Produkte und Dienstleistungen wird es fuer ein Unternehmen immer schwieriger, Alleinstellungsmerkmale fuer die eigene erfolgreiche Marktpositionierung herauszuarbeiten. Selbst in Nischenmaerkten findet der Kunde heute eine breitgestreute Anbieterstruktur vor, so dass er bei der Auswahl keine Kompromisse einzugehen braucht. Die vielzitierte Floskel "Wandel vom Verkaeufermarkt zum Kaeufermarkt" entspricht hier tatsaechlich der Wirklichkeit. Der Anwender erwartet nicht zuletzt von der Informationstechnik Loesungen, die eine schlanke und auf die Wertschoepfung ausgerichtete Prozessorganisation ermoeglichen, eine integrierte Marktbearbeitung erlauben und kundennahe Point-of- sale-Systeme bieten (Online-Selbstbedienungscenter, Kunden- Chipkarte, E-Cash etc.).

In Zukunft wird sich die IT-Beratung mit der marktgerechten Konfiguration ihrer Dienste auseinandersetzen muessen, das heisst, sie steht vor der Aufgabe,

- ihr umfangreiches Branchen-Know-how auszubauen, um fuer den Anwender unternehmenstypische Informatikstrategien entwickeln zu koennen,

- dem Anwender Loesungen anzubieten, die moeglichst viele der vorhandenen Standards unterstuetzen und die ueber kommunizierfaehige Schnittstellen verfuegen,

- staerker als bisher die IT-Architektur an die wertschoepfenden betrieblichen Prozesse des Anwenders zu koppeln sowie

- den Anwender auch durch qualifizierende Massnahmen bei seinen Bemuehungen um Marktorientierung, Qualitaets-Management und Kundennaehe zu unterstuetzen.

Fazit: Der Nutzen von IT-Loesungen kann fuer den Anwender vielfaeltig sein, doch wird das ausgekluegeltste IT-Konzept nicht die Grundvoraussetzung des unternehmerischen Erfolgs ersetzen: Wenn naemlich Produkten keine entsprechende Marktnachfrage gegenuebersteht, koennen sie zwar durch Technikunterstuetzung schneller geplant, entwickelt und gefertigt werden, aber ihre Vermarktungschancen steigen dadurch nicht. Informationstechnik ist ein Hilfsmittel, sie ist kein Allheilmittel.

* Dr. Dr. Lothar Fohmann ist Geschaeftsfuehrer der Ploenzke Akademie in Kiedrich.