Veranstalter des 6. ADV-Kongresses Wien zieht Resümee:

Ist die Angst vor dem Computer berechtigt?

11.04.1980

WIEN (to) - Automatisierte Informationssysteme, Generalthema des ADV-Kongresses (CW-Nr. 13 vom 28. 3.1980, Seite 1), können bestehende Machtstrukturen verändern. Zu dieser Feststellung kam der Veranstalter, die österreichische Arbeitsgemeinschaft für Datenverarbeitung, auf der Abschlußpressekonferenz im Wiener Hilton Hotel. Die wichtigsten Fragen zu den einzelnen Themenbereichen des Kongresses ließ ein ADV-Sprecher Revue passieren. Die Antworten wurden in einem Bulletin veröffentlicht. Auszug:

Frage 1:

Was ist eigentlich automatisierte Informationsverarbeitung?

Der Unterschied zwischen der herkömmlichen Informationsverarbeitung und der automatisierten Informationsverarbeitung liegt in der Anzahl (Quantität) der im Augenblick zur Verfügung stellbaren Informationen und im Zugriff auf viele Quellen in einer bestimmten relativ kurzen Zeit.

Das bedeutet, daß jene Menschen, die Informationen für Planungen, Führungs-, Entscheidungs- und Kontrollaufgaben, sei es in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Administration, in der Wissenschaft zu verarbeiten haben, auf dieses neue, vielfache und vielseitige Angebot vorbereitet werden müssen. Daraus folgt, daß parallel mit dem Einsatz und der Entwicklung automatisierter Informationssysteme die Ausbildung der betroffenen Menschen entsprechend vorgenommen werden muß.

Frage 2:

Nehmen wir an, es gäbe funktionierende automatisierte Informationssysteme in den Bereichen Wirtschaft, Medizin, Wissenschaft Verwaltung und anderen. Es erhebt sich die Frage: Verändern solche automatisierten Informationssysteme die bestehende Organisation und, wie sehr verändern sie darüber hinaus die bestehende Gesellschaft?

Es ist vorhersehbar, daß automatisierte Informationssysteme Veränderungen in den Hierarchien einer Organisation, in der Arbeitsverteilung, aber auch in den Machtverhältnissen der Gesellschaft auslösen. Diese Frage ist jedoch von einer derartig großen Tragweite, daß es notwendig sein muß, mit der Entwicklung der Informationssysteme ständig die Kontrolle der Zielsetzung und der Auswirkung solcher Informationssysteme einhergehen zu lassen, und zwar von Anbeginn der Entwicklung. Eine generelle Aussage wäre, wie bei jeder technischen Entwicklung, daß bislang eine zu oberflächliche Beurteilung der Auswirkungen der automatisierten Verarbeitung vorgenommen wurde. Konkretes Beispiel: Die vollständige Information eines Arztes über den Patienten auf der einen Seite, über Behandlungsmöglichkeiten eines bestimmten Krankheitsbildes auf der anderen, kann zu einer sehr raschen Heilung des Patienten, aber auch zur Verunsicherung des Arztes führen. Oder: Die Informationen über Bürger in der Hand wenig verantwortungsbewußter

Machtgruppen kann zur Gefährdung des Bürgers führen. Das Datenschutzgesetz nimmt auf diese Gefahr besonderen Bezug.

Frage 3:

Gibt es nicht von Haus aus Grenzen bei der Entwicklung von Informationssystemen, wie die Leistungsgrenze der Technologie, Grenzen, die beim Menschen bei der Programmierung, bei der Erfassung und Verarbeitung der Daten liegen, oder auch Grenzen, die in der Systematik oder Logik solcher Informationssysteme immanent sind und von Haus aus eine Reduzierung der oben erwähnten Gefahren bedeuten?

Gegenwärtig ist die Einrichtung von Informationssystemen zwangsläufig mit einer starken Formatisierung der Daten aus den verschiedenen Quellen verbunden. Eine freie Erfassung der Daten und der Informationen, wie sie in offener Rede möglich ist, kann der Computer aus heutiger Sicht noch nicht befriedigend lösen. Dadurch entsteht schon eine starke Einschränkung, da die Vielfalt und Varianz der Informationen, wie sie die, Sprache ermöglicht, durch den Computer stark eingeschränkt werden. Die Informationssysteme sind sehr zweckgebunden zu sehen, wobei eine wesentliche Einschränkung die formatierte inhaltliche Darstellung zu einem bestimmten Zweck bedeutet. Beispiel: Eine Liste mit Daten und Informationen, die ein Computer erstellt, kann niemals die Ausdrucksfähigkeit menschlicher Sprache plus Mimik einer Person bei der Übertragung von Mitteilungen ersetzen.

Frage 4:

Die nonverbale Kommunikation zwischen Menschen steht demnach in Konkurrenz zur rein logistischen Übermittlung automationsunterstützter Informationen durch den Computer. Besteht hier nicht die Möglichkeit, daß diese nonverbale Kommunikation mißverstanden werden kann und daher in vielen Fällen dies als Mangel oder Schwäche gegenüber der logistischen Information des Computers anzusehen ist?

Die Konkurrenzsituation zwischen logistischer Informationsaufbereitung und -übermittlung und der nonverbalen, aber auch verbalen, zwischen Menschen ist eine Aufgabe, der sich die Wissenschaft im Zusammenhang mit der Entwicklung von automatisierten Informationssystemen, deren Chancen und Grenzen zu unterziehen hat. Es wird eine Aufgabe der 80er Jahre sein - und zwar eine sehr dringliche Aufgabe - hier jene Klärungen zu erarbeiten, die dem Anwender die Entscheidung ermöglichen, welche Informationen er in konventioneller Weise und welche mit Unterstützung der Automation, des Computereinsatzes, für seine Zwecke einzusetzen hat.

Der Kongreß hat diese Frage in zahlreichen Vorträgen erstmalig behandelt, und es ist als generelle Aussage festzuhalten daß die Entwicklung in der Zukunft eine sinnvolle Synthese zwischen logischer verbaler und nonverbaler Kommunikation sowie durch Informationsmöglichkeiten schaffen sollte. Die dazu notwendigen Kriterien werden allerdings, noch zu erarbeiten sein. Als sehr wesentliche Aussage und Ergebnisse des Kongresses ist festzuhalten, daß die früheren Ansätze der oben erwähnten Gegensätze als überwunden gelten und daß ein sinnvolles Informationsangebot eine Ergänzung zwischen maschineller logistischer Informationsbeistellung und menschlicher Informationserarbeitung und -übermittIung darstellen müßte.

Frage 5:

Heißt diese Aussage, daß solche Informationssysteme, wenn man die Synthese der beiden Übermittlungsarten als eine Einheit betrachtet, sich in Zukunft ausschließlich auf die Erfordernisse des Anwendens beziehungsweise des Zweckes, den der Anwender zu verfolgen hat, auszurichten haben?

Diese Frage ist sehr deutlich mit ja zu beantworten und von diesem Ja abgeleitet, sollten alle Entwicklungstendenzen, seien sie hardwartechnischer, softwaretechnischer, aber auch informationstheoretischer Art, abgeleitet werden. Mit anderen Worten bedeutet das daß - ausgerichtet auf den Zweck, zu dem eine Information benötigt wird - die Anforderungen, die ein Mensch an die Bereitstellung der Information stellt, - an die Qualität, an die zeitliche Folge der lnformationsbereitstellung, an die Art der Übermittlung der Information, an die Form des Outputs- absoluten Vorrang vor den technischen und technologischen sowie sonstigen organisatorischen Problemen haben müssen.

Frage 6:

Bedeutet diese Forderung nicht, daß alle Entwicklungen zur automatisierten Informationsverarbeitung - sei es hardwaretechnischer, sei es softwaretechnischer Art, sei es hinsichtlich Textverarbeitung, Outputgestaltung und vor allem aber bezogen auf die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft- von diesem menschlichen Aspekt aus zu beurteilen sein müßten und die entsprechenden Arbeiten immer wieder auf diese Maxime abgestimmt zu werden haben?

Selbstverständlich, und es war ein Anliegen des Kongresses, hinter dem Generalthema "Chancen und Grenzen der Informationsverarbeitung" diese Frage fachbezogen in allen Anwendungsbereichen auszudiskutieren. Diese Diskussion müßte also jetzt in den einzelnen Fachbereichen, wo bereits konkrete Aussagen zu dieser Aufgabenstellung gemacht wurden, permanent weitergeführt werden. Damit automatisierte Informationsverarbeitung auch für den Benützer annehmbar ist, ist die Gestaltung, die Form wichtig, in der die fertige Information angeboten wird (Liste, Schriftstück, Bildschirmdarstellung, Sprachausgabe, grafische Darstellung, Pläne etc.). Hier hat der Kongreß eindeutig eine Forderung für die nächste Zukunft an die Industrie erhoben, daß im Bereich der Textverarbeitung die Verbindung der Textverarbeitungsgeräte mit den großen Computeranlagen in einwandfreier und für den Benützer geeigneter und nutzbarer Weise gelöst wird. Es wird bereits als großer Mangel und als unverständlich bezeichnet, daß sehr viele Hersteller von Textverarbeitungsgeräten diese Verbindung nicht anbieten können. Darüber hinaus wurde auch kritisch festgestellt, daß es sehr wenige Textverarbeitungsgeräte gibt, die jenen Kontakt anbieten, der für eine effiziente Ausnützung der Geräte gefordert werden muß. Hier wirkt sich vielleicht auch eine gewisse Gleichgültigkeit der Benutzer aus, die als besonders tragisch empfunden wird, denn wer anderer als der Benutzer selbst sollte die Entwicklungsindustrie zu neuen Aufgaben führen und zur Verbesserung bestehender Systeme anhalten. Hier hat der Kongreß klare Ergebnisse hinsichtlich der Forderungen an die Entwicklung der Textverarbeitungskoppelung mit Großsystemen gebracht.

Frage 7:

Es ist einleuchtend daß deine logische Kette mit auf den Menschen ausgerichteten Einschränkungen und Bedingungen aufgebaut wird. In welcher Weise werden aber die Belange des Datenschutzes, des Schutzes des Einzelnen, -des Schutzes einer Gesellschaftsgruppe, des Schutzes eines Betriebes oder einer Verwaltung berücksichtigt?

In dieser Frage liegen zwei Aspekte. Einmal der Aspekt der ordnungsgemäßen Verarbeitung schlechthin, wie zum Beispiel in den Buchhaltungsvorschriften unter sachgemäßen und fachgemäßen Verbuchung eine bestimmte Arbeitsweise verstanden wird. Ein anderer Aspekt ist der des Schutzes des Einzelnen vor Mißbrauch der Daten. Beide Aspekte sind zu beachten, und es gibt hier ein Paket von Maßnahmen, um diese Anforderungen erfüllen zu können. Beispielhaft sind, um die Richtigkeit der Verarbeitungen sicherzustellen, Kontrollen, wie Kontrollprogramme von der Erfassung der Daten über die Verarbeitung bis zur Ausgabe einzusetzen, einschließlich Sichtkontrollen durch Menschen. Hinsichtlich der Forderung nach dem Schutz der Privatsphäre, nach dem Schutz von personenbezogenen Daten, sind - über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehend Verfahrensregelungen, Zutritts- und Zugriffsberechtigungen, Raumabsicherungen, Transportsicherungen und Verschlüsselungen heute bereits eingeführt. Diese Sicherungen müssen in Zukunft noch weiter ausgebaut werden. Ein ganz wesentlicher Aspekt der Sicherheit und zwar der Präventivsicherheit ist die Beschränkung des Umfanges der übermittelten Daten wie es bei den Kongreßvorträgen immer wieder gefordert wurde.

Frage 8:

Bedeutet eine Beschränkung im Sinne der Datenschutz- und Sicherungsmaßnahmen nicht überhaupt die Gefahr einer Einschränkung der unternehmerischen Freiheit beziehungsweise eine Einschränkung der Entfaltung in bestimmten Anwenderbereichen?

Wenn eine Aufgabe legitim ist, so ist es legitim, alle Mittel zur Erzielung des Zwecks einzusetzen. Hier wäre allerdings zu Unterscheiden zwischen Datenschutz und Geheimhaltung. Diese Frage ist eine organisatorische Aufgabe, die in jedem Einzelfall gelöst werden muß. In dieser Forderung nach Beschränkung auf Zweck, ist die Forderung nach Selbstbeschränkung der Auftraggeber enthalten und diese kann nicht nur allen auf der Basis von Gesetzen erzwungen werden sondern muß durch ein ethisches Bewußtsein der Auftraggeber noch unterstützt werden. Es hat sich daher bei diesem Kongreß unter dem Schlagwort der Computerethik dieser Aspekt der Selbstbeschränkung durch viele Vorträge durchgezogen. Es wird eine Aufgabe der 80er Jahre sein, bei der Installation von automatisierten Informationssystemen auch vor allem diesen Aspekt der Abgrenzung der Einsatzbereiche und des Datenvolumens - als begrenzenden Faktor - mit zu beachten.

Frage 9:

Eine Schlußfrage zu diesen bis jetzt behandelten Themen: Besteht nicht die Gefahr, daß durch automatisierte Informationssysteme bestehende Machtstrukturen stark verändert werden könnten?

Die Gefahr ist gegeben, man kann ihr jedoch entgegenwirken, wenn unter Beachtung der Ordnungsmäßigkeit, Sauberkeit und unter Beachtung des Datenschutzgesetzes, aber vor allem unter Beachtung ethischer Grundsätze, über die in den nächsten Jahren noch intensiv diskutiert werden muß, diese Informationssysteme eingerichtet werden.

Frage 10:

Bedeutet nicht der Einsatz des Computers für Informationssysteme eine starke Zentralisation ?

Es ist heute für den Auftraggeber, der ein Informationssystem einrichtet, frei zu entscheiden, ob er eine sehr zentralistisch orientierte Organisation, also die Zusammenführung aller Informationen auf einen zentralen Managementbereich wünscht, oder aber in bezug auf seine Aufgaben und seine Organisation ein sehr starkes dezentrales Angebot der Informationen für richtig hält. Diese Frage ist im Einzelfall zu entscheiden und nicht durch Technik und Software vorgezeichnet.