Entgegen der weitläufigen Meinung, daß Deutschland das ISDN-Schlaraffenland schlechthin darstelle, haben zahlreiche hiesige ISDN-Anwender nach wie vor mit Problemen vielfältigster Art zu kämpfen. So erlebten vor allem Nutzer der deutschen Ausführung von Windows 95 eine unerfreuliche Überraschung: Im Lieferumfang sind lediglich rudimentäre 32-Bit-Treiber enthalten, die, so einige Anwender, in manchen Fällen überhaupt nicht laufen - und, falls doch, am besten dazu dienen, sich in den Acotec-Server einzuwählen, um dort eine aktuelle Ausführung zu erhalten. Wer dabei nicht erfolgreich ist, bleibt auf Bekannte oder den guten Willen des Herstellers angewiesen, ihm den Treiber auf Diskette zuzuschicken.
Gerade im Hinblick auf ISDN beinhaltet Windows 95 zudem weiteren Zündstoff, der immer wieder für Überraschungen sorgt: So ist beispielsweise eine Unterstützung für aktive ISDN-Karten gar nicht vorgesehen, fehlen schlichtweg geeignete Treiber. Stolze Besitzer etwa einer AVM-B1-Karte mußten also in die Röhre schauen.
Zwar hat das Gros der Hersteller Windows-Treiber auch für seine aktiven ISDN-Karten fertiggestellt, doch ob dem tatsächlich so ist und auf welche Weise sich die Software beziehen läßt, fördert meist erst eine Rückfrage zutage. Selbst, wenn ein geeigneter Treiber existiert, stellt sich dem Anwender alsbald die Frage, was er damit denn alles anstellen kann. Spätestens jetzt tritt Ernüchterung ein: Die bei der deutschen Ausführung von Windows 95 mitgelieferten Komponenten erlauben nicht etwa eine Einwahl in BTX oder das Internet, sondern gestatten lediglich den Aufbau von Verbindungen zu anderen, ebenfalls mit ISDN ausgestatteten Windows-95- oder Windows-NT-Rechnern. Wer eine solche Funktionalität sucht, muß unweigerlich ein Zusatzpaket wie Acotecs "ISDN für Windows 95" erwerben.
Zu allem Überfluß bietet Microsoft inzwischen selbst ein gleichnamiges, über das Internet frei erhältliches Add-on an - das aber dem deutschen Windows-95-Anwender wenig bringt, da es eine NDIS-LAN-Verbindung über ISDN abwickelt, was bereits die bei der deutschen Windows-95-Variante serienmäßig mitgelieferten ISDN-Komponenten beherrschen.
ISDN-Hersteller im Kleinkrieg
Zudem führen deutsche ISDN-Hersteller noch einen Kleinkrieg untereinander, da die in der deutschen Fassung von Windows 95 integrierte ISDN-Unterstützung von Acotec stammt. Und dies schien einigen Herstellern offensichtlich nicht zu schmecken: Allen voran der Konkurrent AVM bringt Treiber und Programme auf den Markt, die sich zwar konform zu der mit Windows 95 ebenfalls eingeführten CAPI 2.0 (CAPI = Common Application Protocol Interface), nicht aber zur ISDN-Unterstützung von Acotec verhalten.
Immerhin: Immer mehr Applikationen, die nach dem neuen CAPI-Standard arbeiten, gelangen langsam, aber stetig auf den Markt. Dies ist auch notwendig, da die überwiegende Zahl der bisherigen ISDN-Applikationen für die alte CAPI 1.1 geschrieben war, die in Windows 95 aber keine Unterstützung findet.
Leidtragender ist der Anwender
Einige Hersteller wie AVM oder Teles zeigen mit ihrer Dual-CAPI-Implementierung, daß es doch geht - unverständlich also, warum die Acotec-Programmierer dies nicht für die Windows-95-ISDN-Serienausstattung realisiert haben. Leidtragender ist wieder einmal der Anwender, der darauf achten muß, daß die von ihm eingesetzten ISDN-Programme auch mit der "richtigen" CAPI-Version zusammenarbeiten können.
Beim großen Bruder Windows NT sieht es noch schlechter aus: Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen sich mit Digi International lediglich ein amerikanisches Unternehmen rühmen konnte, eine ISDN-Unterstützung zu bieten. Doch nach wie vor zieren sich viele Hersteller, Treiber für den von Microsoft in Windows NT integrierten Remote Access Service (RAS) zu schreiben, da dieser nicht zum hochgelobten CAPI-Standard kompatibel sei. So können nur wenige Hersteller wie etwa Diehl oder Stollmann (siehe auch Marktübersicht) bis dato Treiber für ihre ISDN-Karten bieten, die neben RAS auch CAPI (natürlich nur Version 2.0) unterstützen. Das zu erwartende Interesse an Windows NT 4.0 Workstation wird diese Misere in den nächsten Monaten hoffentlich ändern.
Doch auch in der Nicht-Windows-Welt sind nach wie vor Treiberprobleme beziehungsweise nur eine proprietäre Unterstützung zu finden.
Bestes Beispiel hierfür ist Novells Netware: So arbeiten beispielsweise die unter diesem Netzwerk-Betriebssystem laufenden ISDN-Multiprotokoll-Router von AVM oder Diehl nur mit den hauseigenen aktiven Karten zusammen. Anfragen wegen einer Unterstützung der Netware-basierten CAPI-Implementierung, die auch den Ein- satz von beim Kunden eventuell schon bereits vorhandenen ISDN-Karten der Konkurrenz erlauben würde, weisen die betreffenden Hersteller gern mit dem Hinweis auf dann mögliche Kompatibilitäts- und Performance-Probleme zurück. Ein Produkt, das die auf einem Netware-Server laufende CAPI-Schnittstelle nutzt, stellt die Netware-basierende Faxlösung "Tobit Faxware" dar.
Karten müssen genau abgestimmt sein
Mehr oder weniger offen empfiehlt die Softwareschmiede ihren Kunden jedoch, die aktive ISDN-Karte von ITK zu verwenden (inzwischen von Tobit auch als OEM im Angebot) - hiermit seien die besten Resultate zu erzielen, während ISDN-Karten anderer Hersteller entweder langsam im Faxbetrieb oder aber trotz Netware-CAPI-Treiber doch nicht kompatibel seien.
Was bleibt, ist Ernüchterung. Wer nicht den sowohl auf das Betriebssystem als auch auf die ins Auge gefaßte Anwendung abgestimmten Treiber für seine ISDN-Karte besitzt, hat schlechte Karten.
Für viele Hersteller von ISDN-Hard- und Softwarelösungen herrscht in diesem wichtigen Bereich immer noch ein erheblicher Nachhol- oder Nachbesserungsbedarf.
ISDN-Anschlüsse (weltweit)
BaAs PMxAs B-Kanäle BaAs PMxAs B-Kanäle
Deutschland 925000 36900 2957000 1934000 48000 5308000
Belgien 45000 750 102500 75000 1050 181500
Dänemark 12500 200 31000 24000 310 57300
Finnland 5000 350 20500 7000 500 29000
Frankreich 340000 25000 1430000 556000 32000 2072000
Großbritannien BT 170000 40000 1540000 210000 50000 1920000
Mercury keine 13000 390000 keine 18000 540000
Irland 1000 100 5000 2500 200 11000
Italien 51000 2400 174000 110000 5000 370000
Luxemburg 1500 75 5250 3500 150 11500
Niederlande 22000 2700 125000 50000 5000 25000
Norwegen 15000 500 45000 30000 850 85500
Österreich 9000 400 30000 15500 600 48000
Polen 400 keine 800 700 keine 1400
Portugal 4000 500 23000 6000 75 34500
Schweden 40000 800 104000 80000 1600 208000
Schweiz 55000 2300 179000 85000 3300 269000
Spanien 55312 2853 196214 100000 3400 302000
Ungarn 500 100 4000 800 140 5800
Japan NTT 450000 8500 1095500 600000 10000 1430000
KDD 1200 50 3550 1500 80 4840
Singapur 1200 200 8400 1500 250 10500
Südafrika 190 70 2480 210 90 3120
Südkorea 4800 185 13855 5500 220 16060
Taiwan 1900 285 10355 2200 320 11760
Thailand 950 keine 1900 1200 keine 2400
USA RBOCs 1400000 5500 2926500 1600000 6600 3351800
AT&T keine 4500 103500 keine 5400 124200
MCI keine 1400 32200 keine 1650 37950
Sprint keine 1850 42550 keine 2200 50600
Quellen: Deutsche Telekom Telecomeuropes ISDN Newsletter Gerhard Kafka*
UNBESTRITTENER MARKTFÜHRER ist die Deutsche Telekom, was die Zahl der installierten sowie bereits verkauften ISDN-Anschlüsse angeht. Allein 100 000 neue Kunden konnte die Telekom im Mai dieses Jahres verbuchen. Der aktuelle Stand bei Basisanschlüssen beträgt laut Telekom-Auskunft 1317000, bei Primärmultiplex-Anschüssen 41500. Nun steht die weitere europäische und weltweite Ausbreitung des Übertragungsverfahrens an (siehe Grafik auf Seite 37). Obige Tabelle gibt einen Überblick über die bereits installierten ISDN-Anschlüsse - Stand Ende 1995 - sowie die geplanten Anschlußzahlen bis zum Ende dieses Jahres. BaAs = Basisanschlüsse PMxAs = Primärmultiplex-Anschlüsse
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ISDN-Programme unter Windows 95 und Windows NT bedürfen spezieller Treiber, die wiederum von den unterschiedlichen Versionen der CAPI-Schnittstelle abhängig sind. Gleiches gilt für Betriebssysteme sie müssen auch uneinheitlich unterstützt werden. Mehr als Horrorshow denn als Schlaraffenland präsentiert sich hier zur Zeit immer noch die deutsche ISDN-Szene.
*Gerhard Kafka ist Journalist und Kommunikationsberater in Egling bei München.