Einführung des neuen Netzes nicht ohne gesellschaftliche Risiken:

ISDN: Informatiker warnen vor Überwachung

28.10.1988

HAMBURG (ih) - "ISDN schafft eine entscheidende Voraussetzung für den Orwell'schen Überwachungsstaat." Mit dieser Warnung ging die dreitägige Jahrestagung des FIFF "Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" in Hamburg zu Ende.

Die FIFF-Jahrestagung, zu der rund 450 Informatiker anreisten, fand heuer zum vierten Mal statt und stand unter dem Motto "Computerarbeit - Täter, Opfer - Perspektiven". Die Schirmherrschaft hatte Professor Joseph Weizenbaum übernommen, der bis vor kurzem am Massachussets Institute of Technology (MIT) tätig war. Die FIFF-Mitglieder forderten auf ihrer Tagung, daß die notwendigen Voraussetzungen für moderne Technikentwicklung sowie deren Folgen gründlich untersucht und öffentlich diskutiert werden müssen. Technische und politische Möglichkeiten einer anderen, mehr an menschlichen Bedürfnissen orientierten Technik benötigen ihrer Meinung nach eine Richtungsänderung im Denken, in der Forschung, Entwicklung, Produktion und in der Anwendung von Informationstechnik. Dies sei nur über eine umfassende Demokratisierung in den Bereichen Forschungspolitik und Technikentwicklung zu erreichen.

Als ein Beispiel dafür, wie beim Technik-Einsatz die Bevölkerung übergangen wird, führten die Informatiker die Einführung von ISDN an. Obwohl das neue Fernmeldenetz alle Bundesbürger betreffen wird, fand die Entwicklung und Festlegung des ISDN-Konzeptes laut FIFF ohne Mitwirkung der Öffentlichkeit statt - selbst die Länderparlamente und der Bundestag waren nicht daran beteiligt. Die wichtigsten Kritikpunkte lauten: Mit ISDN entsteht ein gewaltiges Rationalisierungsinstrument, das zur Vernichtung von Arbeitsplätzen genutzt werden könne. Ferner werde es technisch möglich sein, umfassende Kommunikationsprofile ganzer Bevölkerungsgruppen zu erstellen. Fazit der FIFF-Mitglieder: "Mit ISDN wird eine entscheidende Voraussetzung für den Orwell'schen Überwachungsstaat geschaffen."

Das FIFF sieht seine vordringliche Aufgabe darin, über ISDN zu informieren und die damit verbundenen Konsequenzen aufzuzeigen. Die bundesweite Informatiker-Vereinigung will die Technik-Diskussion in alle gesellschaftlich relevanten Gruppen tragen sowie sich an Alternativen zu ISDN beteiligen.

In insgesamt elf Arbeitsgruppen mit Themen wie "Neue Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung", "Isolation der Informatik-Ingenieure" sowie "Informatik in der Schule" nahmen die Informatiker ferner drei Tage lang ihre eigene Arbeitswelt unter die Lupe. Darüber hinaus analysierten sie die Gefahren des Mißbrauchs der Informationstechnik. Weitere Schwerpunktthemen der Veranstaltung waren die Verflechtung militärischer und ziviler Interessen in Forschung, Entwicklung und Produktion sowie deren Auswirkungen auf Funktion und Qualität der Produkte.