Interview

"Iris ist die Seele des Unternehmens"

28.01.2000
Mit Al Zollar, dem neuen CEO von Lotus, sprach "Computerworld"-Redakteur Lee Copeland

CW: Welche Qualifikationen bringen Sie für Ihren neuen Job als CEO von Lotus mit?

Zollar: Ich konnte in den 23 Jahren bei IBM viele Erfahrungen im Softwarebereich sammeln. Das fängt bei Datenbanken an und zieht sich über die Applikationsentwicklung bis zum System-Management und Java hin. Kombiniert mit meinem betriebswirtschaftlichen Hintergrund fühle ich mich gut gerüstet für die Aufgabe.

CW: Was unterscheidet Sie von anderen CEOs?

Zollar: Ich habe immer an die Bedeutung der Vielfalt geglaubt. Nicht im Sinne eines breiten Lösungsportfolios, sondern im gedanklichen Bereich. Man muss sich für neue Ideen und Vorgehensweisen öffnen.

CW: Sie genießen in der Branche den Ruf eines Technik-Freaks. Werden Sie auf die Forschung und Entwicklung bei Lotus Einfluss nehmen?

Zollar: Ich sehe mich selbst als guten Entwickler an. Nicht hervorragend, nicht sehr gut, aber ich kann das Potenzial neuer Technologien für die Kunden einschätzen. Es ist allerdings lange her, dass ich persönlich Hand an den Code gelegt habe.

CW: Ihr Vorgänger Jeff Papows wurde dafür kritisiert, dass er die Produktentwicklung vernachlässigt habe. Notes/Domino 5.0 kam mit zwei Jahren Verspätung und kostete die Firma angeblich rund doppelt so viel wie veranschlagt. Werden Sie die Prioritäten im Unternehmen anders gewichten?

Zollar: Die Entwicklung neuer Software ist komplex, und Lotus ist beileibe nicht das einzige Unternehmen mit Problemen, zeitliche Vorgaben zu erfüllen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich mit dem Team die Pläne einhalten lassen. Programme sind in der Regel lange vor ihrem Auslieferungszeitraum fertig. Die Frage ist immer, welchen Stellenwert man der Qualitätskontrolle beimisst.

CW: Können Sie sagen, welche Lösungen Lotus für die Zukunft plant?

Zollar: Das würde ich mir gerne für einen späteren Zeitpunkt aufheben, denn ich habe den Job noch nicht einmal angetreten.

CW: Als nächstes großes Produkt-Release will Lotus mit dem Knowledge-Management-Server "Raven" aufwarten. Wie beurteilen Sie die Chancen für die Software?

Zollar: Der Erfolg von Raven ist eine Frage der Umsetzung. Den wahren Wert der Software bildet nämlich die Möglichkeit, endlich zu erfahren, was für Wissen im Unternehmen schlummert. Danach müssen die Informationen zu den richtigen Mitarbeitern gelangen, die sie benötigen - zum passenden Zeitpunkt. In einem letzten Schritt wird ein Portal errichtet, von dem aus auf das Wissen zugegriffen werden kann. Unsere Business-Partner können hierzu, ebenso wie auch die Anwender selbst, Lösungen entwickeln. Meiner Meinung nach wird die gezielte Wissensverwaltung Unternehmen dabei helfen, in dieser schnelllebigen Welt zu bestehen.

CW: Ihr Raven und Microsofts neues Produkt "Digital Dashboard" sehen sich ziemlich ähnlich. Wie will sich Lotus von der Konkurrenz aus Redmond unterscheiden?

Zollar: Die vermeintlichen Überschneidungen kommen daher, dass wir mit den Kunden gesprochen und unsere Produkte an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet haben. Der fundamentale Unterschied liegt jedoch in der Nutzung des Internet. Egal, ob Sie über Windows NT, Unix, Linux oder S/390 reden, wir verbinden universelle Nachrichtengeräte und Personal Digital Assistants (PDAs) damit. Der Kunde misst die Anbieter daran, wie sie mit der Vielfalt des Internet umgehen. Dort finden sich die gravierenden Unterschiede zwischen Raven und den Angeboten Microsofts.

CW: Nicht nur der Raven, sondern auch die "Smartsuite" soll künftig verstärkt sprachgesteuert ablaufen. Wer steckt dahinter, Lotus oder IBM?

Zollar: Die grundlegenden Forschungsergebnisse zur Spracherkennung stammen aus den IBM-Labors. Dieser Prozess ist ein gutes Beispiel dafür, wie Lotus die Erkenntnisse von IBM nutzen kann, um neue Lösungen für die Kunden zu entwickeln.

CW: Wenn die Grenzen zwischen Mutter und Tochter künftig nicht mehr so scharf gezogen werden, könnte das das Ende der Lotus-Entwicklungsgruppe Iris bedeuten. Wird sie aufgelöst?

Zollar: Definitiv nicht! Iris ist die Seele des Unternehmens und die Seele der Entwicklung, die Lotus zu dem Punkt gebracht hat, wo es heute steht. Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass sich das Team kontinuierlich verbessern und weiterhin innovativ sein kann.