IP-Telefonie erobert Unternehmensnetze

20.07.2005
Der Siegeszug von Voice over IP ist nicht aufzuhalten. Immer mehr CIOs entscheiden sich für IP-PBX-Systeme und geben der traditionellen TK-Anlage den Laufpass.
Spätestens im Jahr 2008 werden in den europäischen Büros mehr IP-Phones als klassische Telefone im Einsatz sein.
Spätestens im Jahr 2008 werden in den europäischen Büros mehr IP-Phones als klassische Telefone im Einsatz sein.
Cisco hat sich im IP-PBX-Markt etabliert, obwohl der Hersteller nicht aus dem klassischen TK-Geschäft kommt.
Cisco hat sich im IP-PBX-Markt etabliert, obwohl der Hersteller nicht aus dem klassischen TK-Geschäft kommt.
2004 wurden weltweit rund sechs Millionen IP-Telefone verkauft.
2004 wurden weltweit rund sechs Millionen IP-Telefone verkauft.

Die auf dem Internet Protocol (IP) basierende Sprachkommunikation ist unbestritten auf dem Vormarsch. Vor wenigen Jahren noch wegen technischer Defizite argwöhnisch beäugt, gewinnt Voice over IP (VoIP) unterdessen zunehmend das Vertrauen der CIOs. Dass VoIP-Technik salonfähig geworden ist, belegen wegweisende Projekte etwa bei Boeing, Airbus, Ford oder Merrill Lynch. Der Flugzeughersteller Boeing hat zum Beispiel Cisco Systems beauftragt, in 70 Ländern der Erde sowie 48 amerikanischen Bundesstaaten eine VoIP-Infrastruktur auf die Beine stellen und das klassische Telefonnetz abzulösen. Konkurrent Airbus zieht jetzt ebenfalls mit Cisco-Beteiligung nach. Auch bei Ford kamen die Kalifornier zum Zug, während Merrill Lynch Wettbewerber Avaya den Zuschlag gab.

Hier lesen Sie …

• wie groß der Marktanteil von VoIP-Systemen heute ist;

• welche Hersteller im Geschäft mit Nebenstellenanlagen den Ton angeben;

• warum große IP-PBX-Systeme besonders gefragt sind;

• wer das Business mit IP-Telefonen beherrscht.

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www.computerwoche.de/go/

*78151: VoIP-Projekt von Airbus;

*76140: Schwacher Carrier-Markt;

*73274: VoIP für den Massenmarkt;

*72561: VoIP im Servicemarkt;

*71568: Migrationsprojekt bei Allessa Chemie;

69731: IP-Telefonie mit Tücken.

Doch nicht nur Großkonzerne befassen sich mit VoIP. Immer mehr Unternehmen ziehen bei Ausschreibungen neben klassischen Telefonsystemen auch VoIP-Lösungen in Betracht. Zu dieser Haltung in den IT-Abteilungen trägt nicht nur die mittlerweile hohe Funktionalität und Zuverlässigkeit der Systeme bei, sondern auch der zu erwartende Kostenvorteil durch die Integration von Sprach- und Datennetz.

Wie sehr die Firmen auf den VoIP-Zug aufspringen, beweisen die jüngsten Zahlen der Marktforscher. So haben zum Beispiel die auf Networking spezialisierten Analysten von Dell’Oro ermittelt, dass 2004 der Anteil der IP-Verbindungen bei verkauften Nebenstellenanlagen (PBX = Private Branch Exchange) gegenüber 2003 um 72 Prozent auf 14,2 Millionen Anschlüsse zunahm. Umgerechnet auf den gesamten PBX-Markt macht dies einen Anteil von rund 31 Prozent aus. Damit liegt in der Absatzstatistik zwar immer noch die klassische Analog- und Digitalanschlusstechnik vorne, allerdings hat VoIP deutlich Boden gutgemacht. Fast ein Drittel Marktanteil dokumentiert, dass IP-Telefonie in Unternehmensnetzen kein Nischendasein mehr führt, sondern sich zu einem Massenmarkt entwickelt - ein Trend, der sich auch deutlich im Consumer-Bereich abzeichnet. Alle Analysten erwarten dieses Jahr aufgrund der steigenden Akzeptanz sowie des wachsenden IP-Produktportfolios der Hersteller einen erneuten Schub für VoIP. 2007, so die Prognose vieler Beobachter, wird das Marktvolumen der IP-BBX-Systeme das der klassischen TK-Anlagen übertreffen.

Umsatzwachstum durch VoIP

Dass der VoIP-Markt boomt, ist auch den Bilanzen der Anbieter zu entnehmen. So steigerte zum Beispiel Cisco im zurückliegenden dritten Quartal seinen Umsatz in diesem Produktsegment gegenüber dem Vorjahr um 35 Prozent und im Vergleich zum zweiten Quartal um 15 Prozent.

Bei einer Betrachtung des gesamten Nebenstellenmarktes muss jedoch zwischen drei Produktkategorien unterschieden werden: erstens klassische TK-Anlagen ohne IP-Funktionalität. Zweitens hybride Lösungen, in der Regel Nebenstellenanlagen mit IP-Modulen. Drittens schließlich reine IP-PBX-Systeme. Alle drei Segmente zusammengerechnet, hatte nach Berechnung von Dell’Oro im vergangenen Jahr Nortel die Nase gemessen an vermarkteten Nebenstellenanschlüssen vorne. Dahinter folgen Avaya, Alcatel, Siemens, NEC, Cisco und EADS Telecom. Die Dominanz der traditionellen TK-Anlagenbauer überrascht in dieser Gesamtschau nicht, weil sie einerseits noch vom klassischen Bestandsgeschäft leben, andererseits aber auch hybride Lösungen sowie reine IP-PBX-Systeme zur Migration auf VoIP anbieten. Cisco, das aus der Datenwelt kommt, hat hier das Nachsehen.

Anders sieht es aus, wenn man den Blick auf das Marktsegment der leistungsstarken IP-PBX-Maschinen richtet. Hierbei handelt es sich entweder um Anlagen, die durch ihre IP-Packet-Switching-Matrix rein für den Einsatz in IP-Umgebungen konzipiert sind, oder um so genannte Converged PBX-Systeme. Letztere enthalten zusätzlich Time-Division-Multiplexing-Switching-Module und liefern damit Schnittstellen zu analogen und digitalen Telefonen.

Bei den großen IP-PBX-Systemen für den Betrieb in Unternehmensnetzen rangiert Cisco mit dem "Call Manager" an erster Stelle. In dieser Liga treten beispielsweise auch Nortel mit dem "Communication Server 2100", Ericsson mit der "MX-One" und Siemens mit "Hipath 8000" mit neueren Produkten an. Hinter Cisco führen die Analysten von Dell’Oro in der Rangfolge der Line Shipments Nortel, Avaya, Alcatel, Mitel und Siemens auf.

In den Unternehmen ist die Nachfrage nach größeren IP-PBX- beziehungsweise Converged-PBX-Produkten derzeit kräftiger als nach kleineren Systemen, wie sie zum Beispiel 3Com liefert. Der Grund: Die Anwender installieren an ihren zentralen Standpunkten große Maschinen und betreiben über diese auch die IP-Sprachkommunikation mit den Außenstellen. Außerdem treiben große Companies die Migration zu VoIP bisher stärker voran als kleine und mittelständische Betriebe. Derzeit entfallen zwei Drittel aller IP-Verbindungen auf leistungsstarke Enterprise-Lösungen.

In dem Segment der großen IP-fähigen PBX-Systeme, also reine IP- sowie Converged-Anlagen zusammengerechnet, war Avaya laut Dell’Oro im Jahr 2004 mit einem Umsatz von 498,5 Millionen Dollar sowie 33,1 Prozent Marktanteil die Nummer eins. Rang zwei belegt Cisco, das in diesem Produktbereich 314 Millionen Dollar erwirtschaftete und sich 20,8 Prozent des Kuchens sicherte, dicht gefolgt von Nortel mit 19,3 Prozent und 291,3 Millionen Dollar Umsatz. Platz vier geht an Siemens mit Einnahmen von 114,2 Millionen Dollar und einer Marktquote von 7,6 Prozent. Mitel liegt mit sechs Prozent knapp vor dem französischen Equipment-Provider Alcatel. Das gesamte weltweite Geschäftsvolumen betrug im vergangenen Jahr rund 1,5 Milliarden Dollar und verdoppelte sich damit nahezu gegenüber 2003, als die Anbieter 785 Millionen Dollar erwirtschafteten. Im Jahr zuvor waren es 321 Millionen Dollar.

Unangefochtener Marktführer bei IP-Telefonen ist Cisco mit einem Anteil von 31 Prozent. Mit deutlichem Abstand folgen Nortel, Avaya, Mitel und Alcatel. Insgesamt gingen letztes Jahr sechs Millionen Endgeräte im Wert von einer Milliarde Dollar über den Ladentisch. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs das Geschäft mit IP-Telefonen damit um 77 Prozent. Für dieses Jahr erwarten die Auguren einen Absatz von über zehn Millionen Apparaten.

CIOs bevorzugen alte Lieferanten

An der Spitze der Abnehmer steht der nordamerikanische Markt, der 45 Prozent aller verkauften Endgeräte bestellte. Europa, der Nahe Osten und Afrika (Emea) orderten 35 Prozent der Produkte, der asiatische und pazifische Raum 16 Prozent. Vier Prozent entfallen auf andere Regionen der Welt.

In Deutschland ist zu beobachten, dass die CIOs in vielen Fällen dazu tendieren, den Umstieg innerhalb derselben Herstellerwelt zu vollziehen. Davon profitieren die ursprünglichen Anbieter von TK-Anlagen. Anders sieht es bei Projekten aus, die mehr oder weniger von der grünen Wiese aus aufgezogen werden. In diesen Fällen ist die klassische Telefonie in der Regel kein Thema mehr und stehen die Chancen für einen Herstellerwechsel besonders gut, häufig zugunsten von Cisco.

Obwohl die IP-PBX-Systeme stark proprietäre Zuge tragen, ist die Verbindung der unterschiedlichen Herstellerwelten und somit eine schrittweise Migration auf einen anderen Lieferanten dennoch möglich. Hierzu unterstützen die Anbieter in ihren Anlagen das QSIG-Protokoll, das in Sachen VoIP einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Systemen herstellt und die wichtigsten Funktionen sichert.