RISC UND UNIX

Investmentbank verdient ihr Geld mit RISC-Workstations

26.03.1993

Sind in Frankfurt 15 Sparcstations 2 beziehungsweise Sparcstations 10 mit einem Sparc-Server 470 verbunden, so finden rund um dem Globus mehr als 20 Sun-Sparc-Server und rund 340 Sparcstations in den Filialen in London, New York, Zuerich, Tokio, Sidney und Hongkong ihren Einsatz.

Als die Firmenleitung sich Ende der 80er Jahre entschloss, dem Swap-Business verstaerktes Augenmerk zu widmen, wurde Keith Wood als System-Manager der weltweiten Swap-Division damit beauftragt, ein Systemnetz aufzubauen. Damals standen den Mitarbeitern der Swap-Division in London 15 PCs zur Verfuegung, in New York wurde auf acht PCs gearbeitet. Die Datenuebertragung zwischen beiden Haeusern erfolgte per Modem.

In den rund 17 bis 18 Stunden taeglicher Handelszeit gelang es den Brokern, ungefaehr 200 Transaktionen in fuenf Waehrungen abzuwickeln. Heute, vier Jahre spaeter, nimmt die Swap-Division weltweit jeden Tag 30 000 komplexe Transaktionen in 23 Waehrungen vor. "Wenn wir auf der damals installierten Technologiebasis aufgebaut haetten, also PCs als Hardwareplattform beibehalten haetten, waeren wir laengst nicht mehr in diesem Geschaeft taetig", urteilt Keith Wood rueckblickend.

30 000 Transaktionen in 32 Waehrungen

Das Swap-Geschaeft ist ein recht junges Segment der Finanzwelt, das in den 80er Jahren rasch an Bedeutung gewonnen hat. Die wichtigsten Auspraegungen, auf die sich auch die Merrill Lynch Bank AG konzentriert, sind Devisen- und Zins-Swaps. Sie dienen der Kurssicherung bei Geschaeften in fremder Waehrung. Jeder Unternehmer, der Forderungen oder Verbindlichkeiten in auslaendischer Waehrung hat, muss damit rechnen, dass der Wechselkurs zum Zeitpunkt der Faelligkeit und damit des Umtausches unguenstiger liegt als gegenwaertig.

Dieses Risiko laesst sich durch ein Kurssicherungsgeschaeft ausschalten. Gleichzeitig mit dem Entstehen der Forderung vereinbart der Unternehmer mit der Bank einen Umtausch der Devisen in Mark oder umgekehrt per Termin, das heisst fuer den Tag der Faelligkeit. Der Unternehmer kann dabei ueber die Boerse seinen Kurs absichern und zahlt dem Spekulanten eine Versicherungspraemie.

Die geplante Ausweitung des Swap-Handels war einer der Hauptpunkte, die Keith Wood bei der Systemanalyse zu beruecksichtigen hatte. Auch wenn Merrill Lynch bereits mit Mainframes arbeitete, schreckte Wood davor zurueck, mit seinem Projekt auf diese Technologie zu setzen. Lange Entwicklungszyklen fuer die zu erstellenden Anwendungspakete, fehlende Adaptionsfaehigkeit, mangelnde Flexibilitaet und ungenuegende Interaktivitaet sprachen gegen die Grossrechner.

PCs schnitten in diesen Punkten zwar viel besser ab, Wood war jedoch von vornherein ueberzeugt, dass die Geraete nicht die Rechenleistung bieten konnten, die fuer die neuen Aufgaben benoetigt wurden.

Das Swap-Geschaeft ist extrem dynamisch und entwickelt sich tagtaeglich weiter. Fortlaufend werden neue Arten von Transaktionen kreiert, die hoehere Rechenleistung und Funktionalitaet der Systeme erforderlich machen.

Auch die Personalstruktur der Organisation ist nicht starr, sondern staendigen Umstrukturierungen oder Expansionen ausgesetzt. Da ein Boersenmakler auf den Anschluss an das Computernetz angewiesen ist, muss der Systemverbund postwendend an die modifizierte Organisationsstruktur angepasst werden koennen.

Weltweites Netz modular verbundener Systeme

Fuer den Londoner System-Manager war die Loesung ein modularer Systemverbund von RISC-Workstations und -Servern unter Unix, der - ueber ein Client-Server-Modell lokal ueber Ethernet TCP/IP gekoppelt an ein weltweites Netz angeschlossen werden sollte.

Nach ausgiebigem Studium der Angebote, die alle etablierten Unix- Systemanbieter vorgelegt hatten, fiel die Entscheidung auf die RISC-basierenden Sparc-Systeme von Sun und dessen Unix- Betriebssystem-Umgebung Solaris. "Ich wollte mich fuer ein Produkt entscheiden, von dem ich sicher war, dass es in zehn Jahren noch auf dem Markt sein wuerde.

Die von Sun verfolgte Strategie hatte mich ueberzeugt: eine einzige Hardwareplattform, naemlich Sparc, und ein einziges Betriebssystem, die Unix-Umgebung Solaris", kommentiert Wood seine Wahl.

Hilfestellung bot dem System-Manager das Beispiel der Universitaeten. Diese hatten damals schon bewiesen, wie problemlos viele Unix-basierende Systeme unabhaengig von ihrem jeweiligen Standort kommunizieren koennen. Wood sah die Moeglichkeit, dieses Modell auf seinen Geschaeftsbereich zu uebertragen.

Die Broker aller Merrill-Lynch-Niederlassungen muessen saemtliche Informationen, egal ob aus Sidney, Hongkong oder einem anderen Boersenstandort stammend, staendig uneingeschraenkt verfuegbar haben.

Die Entscheidung fuer einen Unix-basierenden Systemverbund sieht auch Flavio Bartmann, Vorstand der deutschen Merrill Lynch Bank AG, als Schritt in die richtige Richtung: "Bei uns trifft in vorbildlicher Weise zu, was vielerorts als Slogan missbraucht wird: The network is the computer, also das gesamte Netz arbeitet wie ein einziger, kompletter Computer. Wir verfuegen nicht ueber mehrere lokale Netze, sondern haben ein einziges, weltumspannendes System. Dies verschafft uns einen enormen Wettbewerbsvorteil."

Die guten Netzeigenschaften der Sparc-Systeme sind nicht ihr einziger Pluspunkt. Ihre Multiwindow- und Multitasking-Faehigkeiten und die grafische Benutzeroberflaeche Open Look, die hohen Bedienkomfort gewaehrleistet, sind den Brokern bei ihrer taeglichen Arbeit eine grosse Hilfe. Der strahlungsarme Grossmonitor ermoeglicht es, ueber diverse, stets aktive Bildschirmfenster Informationen von Datendiensten wie Reuters oder Telerate zu verdichten.

Auch wenn als die weltweit wichtigsten Finanzzentren noch immer London, New York, Tokio oder Zuerich genannt werden, sieht Flavio Bartmann den Finanzmarkt in Deutschland mit nicht minder harten Bandagen umkaempft. Als amerikanisches Investmenthaus hat Merrill Lynch hier gegen etablierte, harte Konkurrenz anzutreten.

"Um gegen die grossen deutschen Banken zu bestehen, muss ein Haus wie Merrill Lynch einen klaren Interessenschwerpunkt haben. Wir richten unseren Fokus auf Derivate und setzen auf erstklassige Mitarbeiter sowie modernste Technik", erlaeutert Bartmann, der in den 80er Jahren an der New Yorker Wall Street mit einer Sun 3 einer der ersten Anwender von Sun-Systemen im Finanzbereich war. "Die zuverlaessige Versorgung mit aktuellsten Marktinformationen ist fuer unser Geschaeft ueberlebenswichtig. Meine Mitarbeiter und ich muessen uns auf unsere Computertechnologie verlassen koennen. Stabilitaet und hohe Verfuegbarkeit der Systeme sind schlichtweg Bedingung."

Die leistungsfaehigen Systeme ermoeglichen es Merrill Lynch, die Swap-Division auf ein kleines Team zu begrenzen. Um die Aufgaben nicht noch komplexer zu machen, will die Geschaeftsfuehrung die Swap-Beschaeftigtenzahl so niedrig wie moeglich halten. Je weniger Mitarbeiter, desto besser ist die Kommunikation und desto transparenter fuer die Bank das Gesamtrisiko. "Ohne die Sparcstations", so Bartmann, "wuerden wir das Vier- bis Fuenffache an Brokern benoetigen, um den gleichen Umsatz zu erzielen."

Nach den guten Erfahrungen mit dem Unix-Systemverbund war es nur ein logischer Schritt, Sparc-Systeme unter Unix in saemtlichen Geschaeftssegmenten einzusetzen, also nicht nur im Handelsbereich, sondern auch in den Administrationsbueros. Auf diese Weise koennen auch die Assistentinnen und Assistenten auf die unternehmensweiten Daten zugreifen. "Vielerorts wird geglaubt - meist aus Kostengruenden -, ein PC wuerde fuer diese Aufgaben auch ausreichen. Diese Rechnung geht nicht auf, wenn ich den erforderlichen Administrationsaufwand vernetzter PCs in Betracht ziehe", meint Keith Wood.

Keine isolierte Loesung

Als Anwendungssoftware laeuft in den Bueros: das Textverarbeitungs- System Frame Maker, das Tabellenkalkulations-Programm Lotus 1-2-3 und die Buerokommunikations-Software Asterix, die die Automatisierung von Routineablaeufen und die Erstellung anwenderspezifischer Programme ermoeglicht. Alle einschlaegigen Applikationen werden in den Sprachen Fortran und C++ entwickelt. Auf ihnen basieren die in London geschriebenen Anwendungen, die netzwerkweit angewandt werden. Zur Verwaltung der Daten dient das relationale Datenbanksystem von Sybase.

Selbstverstaendlich fungiert der RISC-Systemverbund nicht als isolierte Inselloesung der Investmentbank. Der Zugriff auf Daten anderer Geschaeftssegmente von Merrill Lynch ist durch den Einsatz von Standard-Hard- und Softwarekomponenten sichergestellt. Auf diese Weise kann - falls erforderlich - von den Sun-Systemen ueber 3270-Emulation auf die Daten der IBM-Mainframes zugegriffen werden. Die Verbindung zu den installierten MicroVAX-Systemen ist ueber Sun-Decnet-Software realisiert. PC-NFS schliesslich ermoeglicht den Zugriff auf die individuellen PC-Netze der Investmentbank. Die Interoperabilitaet aller Systeme ist somit garantiert.

*Keith Wood ist System-Manager der Global Swap Group bei Merrill Lynch in London. Norbert Wieneke ist Swap-Haendler der Merrill- Lynch-Bank AG in Frankfurt/Main.

Die Merrill Lynch & Co. Inc.

Die Merrill Lynch & Co. Inc. (ML) ist eine als Holding organisierte, international taetige Investmentbank. Ihre Tochtergesellschaften sind in allen Bereichen des Wertpapiergeschaefts aktiv. Als Broker ist ML eines der groessten Unternehmen in der Branche und deckt das gesamte Spektrum des Wertpapiermarktes ab. So handelt die Bank unter anderem mit Wertpapieren, Staatsanleihen, Optionen, Futures und mit Rohstoffen. Auch im Handel mit Finanzinnovationen - auch Derivate genannt - hat sich die Bank einen Namen gemacht.

Die ML-Gruppe gilt darueber hinaus als eines der fuehrenden Emissionshaeuser der Welt, 1991 kam sie auf 111 Milliarden Dollar Emissionsvolumen. In dem genannten Jahr wurden 13 Prozent der weltweit ausgegebenen Wertpapiere unter Konsortialfuehrung von ML an den Markt gebracht. Die Bank betreute 1991 ein Kundenvermoegen von 435 Milliarden Dollar. Diese Mittel entsprechen annaehernd 2,5 Prozent des gesamten Vermoegens der Privathaushalte in den USA.

Auch bei der deutschen Merrill Lynch Bank AG liegt einer der Schwerpunkte in der Emission von Wertpapieren. Darunter befinden sich insbesondere Schuldverschreibungen und Optionsscheine in Mark auf deutsche und oesterreichische Aktien sowie verschiedene Aktienindizes. In diesem Zusammenhang hat ML Wertpapiere deutscher und internationaler Unternehmen an den deutschen Boersen eingefuehrt. 1991 waren das zum Beispiel die Aktien der Landwirtschaftlichen Rentenbank und des Banco di Napoli. Insgesamt hat ML 1991 72 Emissionen durchgefuehrt.

Abb: Global Connection

Weltweit tauschen die Broker von Merrill Lynch Informationen und Milliarden ueber Sparc-Rechner aus. Quelle: Merrill Lynch & Co. Inc.