Strategieporträt Zygmunt Mierdorf, Vorstandsmitglied des Handelskonzerns Metro

"Investitionskürzungen ergeben keinen Sinn"

15.08.2003
DÜSSELDORF (qua) - Spätestens seit der Eröffnung des "Extra Future Store" gilt Zygmunt Mierdorf, Vorstandsmitglied des in Düsseldorf beheimateten Handelskonzerns Metro Group, als Protagonist der fortgeschrittenen Informationstechnik. Gleich-zeitig ist er ein Hoffnungsträger der Branche: Wo andere die Budgets kürzen, setzt er auf Investitionen.

Wer Mierdorf über Informationstechnik reden hört, mag kaum glauben, dass der Mann eigentlich kein Informatiker ist. Doch vielleicht liegt seine Begeisterung für die Möglichkeiten der IT auch gerade darin begründet, dass er - anders als die meisten Techniker - vor allem deren Nutzen für das Geschäft sieht.

Als Mitglied des vierköpfigen Metro-Group-Vorstands ist der 51-Jährige unter anderem für Personal und Soziales sowie für Immobilien verantwortlich. Daneben übt er auch eine Coaching-Funktion für zwei Geschäftsbereiche aus. Positive Schlagzeilen machte er jedoch vor allem wegen seiner Kompetenz in Sachen Logistik, Informationstechnik und E-Business. Denn die IT-Systeme des Konzerns gelten in der Branche als wegweisend. Großes Aufsehen erregte beispielsweise der mit neuester Kundenkomfort- und Warenflusstechnik ausgestattete "Future Store" in Rheinberg, wo Mierdorf effizientere Prozesse und die sie unterstützenden Systeme unter "Laborbedingungen" testen lässt.

Unternehmensübergreifende Prozesse

Während andere Vorstände ihre IT-Systeme aus Wettbewerbsgründen möglichst hinter verschlossenen Türen halten, geht Mierdorf damit an die Öffentlichkeit. Denn der Metro Group liegt nicht nur daran, ihre internen Abläufe zu verbessern. Vielmehr zielt sie darauf, die unternehmensübergreifenden Prozesse zu straffen. Dazu sind jedoch Standards notwendig - und hier will der Düsseldorfer Handelsriese ein gewichtiges Wort mitreden. "Bezüglich der Administration und der Prozesse sind wir völlig offen", bestätigt Mierdorf, "dicht machen wir erst, wenn es um unsere Konzepte und Geschäftsmodelle geht."

Letztere sind die eigentliche Domäne des Metro-Vorstands, der nichtsdestoweniger auch die Funktion eines Chief Information Officer (CIO) ausübt. Für das operative IT-Geschäft sind hingegen andere zuständig, genauer gesagt: die Metro Group Information Technology (MGI) GmbH, Düsseldorf, eine konzerneigene Querschnittsgesellschaft mit mehr als 800 Mitarbeitern. Deren Geschäftsführer Heinz-Josef Boeck und Dirk Töpfer berichten direkt an Mierdorf.

An die MGI übergibt der Handelsriese etwa 45 Prozent seiner IT-Aufwendungen. Sie zeichnet unter anderem für das Warenwirtschaftssystem, den Aufbau des Data Warehouse und die Anpassung der SAP-Module verantwortlich. Die Anwendungsentwicklung hingegen lässt der Konzern auch schon einmal von den ausländischen MGI-Töchtern in Rumänien oder der Schweiz erledigen.

Die MVS-Rechenleistungen sind seit 2001 in ein Joint Venture mit der IBM ausgelagert. Trotzdem steht Mierdorf dem Thema Outsourcing skeptisch gegenüber: "Wir versuchen, die Synergiepotenziale erst einmal intern zu heben." Ausgelagert werden nur Aufgaben, die andere definitiv günstiger und in mindestens derselben Qualität erledigen können.

Dass der oberste IT-Manager auf der Vorstandsebene angesiedelt ist, erregt in der Banken- und Versicherungsbranche heute keinerlei Aufsehen mehr. Für den Handel dagegen ist das noch nicht alltäglich. Doch gegen das gängige Vorurteil, die Distributionsbranche sei in Sachen IT hinten dran, wehrt sich Mierdorf entschieden: "Der Handel ist ein Volumengeschäft, das sich nur mit IT beherrschen lässt."

Als "Herzstück" der IT-Ausstattung betrachtet die Metro Group ihr Warenwirtschaftssystem. Deshalb hat sie hier auch nicht auf eines der Standardsysteme zurückgegriffen, sondern eine eigene Lösung entwickelt. "Es gab einfach kein System, das unseren Ansprüchen genügt hätte", begründet Mierdorf seine "Make"-Entscheidung. "Buy"-Software kommt hingegen in einem anderen unternehmenskritischen Bereich zum Einsatz: Das Data Warehouse von NCR/Teradata dient aber naturgemäß nur als Management-System für die eigentlichen Kronjuwelen des Unternehmens - die Sortiments- und Kundeninformationen. Deshalb sprach hier nichts gegen ein marktgängiges Softwarewerkzeug. "Wir nutzen Standards, wo immer das möglich ist", lautet Mierdorfs Maxime.

Hinsichtlich ihrer Business-Strategie pendelt die Metro Group beständig zwischen zwei Polen: dem Kunden und der Lieferkette. In beiden Bereichen strebt sie Prozessvereinfachungen an. Um dieses Ziel zu erreichen, spielt Mierdorf gern den early adopter: "Neue Technologien prüfen wir frühzeitig darauf, ob sie für einen dieser beiden Bereiche von Vorteil sind." Fällt die Antwort positiv aus, steigt das Unternehmen ohne Umschweife in den Pilotversuch ein, wie das Future-Store-Beispiel belegt.

Auch im Bereich Human Resources hat Mierdorf ein umfangreiches Projekt gestartet: Die Metro Group investiert hier in ein breit angelegtes Mitarbeiterportal auf der Basis von "SAP Portals". Ziel des Vorhabens ist es, so der Topmanager, "die Arbeitseffizienz unserer Mitarbeiter zu verbessern". Denn ob Portal oder Future Store - jedes Projekt muss seine Berechtigung nachweisen: "Wo Technologie nur Spaß macht, da lassen wir die Finger davon."

Für den gegenteiligen Fall gibt es in aller Regel drei Möglichkeiten: Das Projekt zielt auf einen Rationalisierungseffekt, es handelt sich um eine Ersatzbeschaffung, oder das Vorhaben verspricht einen "Return on Opportunity", wie Mierdorf den viel strapazierten RoI-Begriff auflöst.

Kein Geld zu verschenken

In diesen drei Fällen ist die Metro bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen. Über die tatsächliche Höhe seines IT-Budgets schweigt sich Mierdorf aus, doch beteuert er: "Wir haben unsere IT-Investitionen nicht zurückgenommen. Und ich sehe auch keine Vorteile darin, das Budget zu reduzieren." Das Schlagwort von der antizyklischen Investition hingegen treffe auf den Konzern nicht zu: "Wir investieren nicht antizyklisch, sondern kontinuierlich."

Die Entscheidungen, wofür das IT-Budget ausgegeben wird, fällt Mierdorf nicht allein, sondern gemeinsam mit einem Steering Committee, das alle IT-Verantwortlichen der Gesellschaft einschließt und sich im Zweimonats-Abstand berät. Die übergreifende IT-Strategie ist zudem, so Mierdorf weiter, dokumentiert und für alle direkt Beteiligten transparent; die "Application Roadmap" könne im Intranet eingesehen werden.

Die Metro Group erwirtschaftete im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von 51,5 Milliarden Euro ein Ebitda-Ergebnis von 2,4 Milliarden und einen Überschuss von 500 Millionen. Geld zu verschenken hat sie trotzdem nicht. So nutzt Mierdorf beispielsweise den derzeitigen Kundenmarkt, um Dienstleistungsverträge neu zu verhandeln. "Wir haben gerade den Netzwerkkontrakt neu geschlossen und bekommen nun für weniger Geld mehr Leistung", freut er sich. Letzteres ist für ihn absolut unabdingbar: "Weniger Leistung für weniger Geld wäre keine Option."

Was einen CIO ausmacht

Ein idealer IT-Chef muss nach Ansicht des Metro-Vorstands Zygmunt Mierdorf dreierlei mitbringen: neben "natürlichen" Führungseigenschaften und dem "Spaß an der Technologie" auch ein tiefes Verständnis für das Basisgeschäft sowie für die Grundstrukturen und die Abläufe im Unternehmen. "Wenn Sie etwas über die Geschäftsprozesse eines Unternehmens wissen wollen, müssen Sie in der Regel die DV fragen", weiß der Topmanager - allerdings sieht er darin nicht nur einen Pluspunkt für die IT, sondern in mindestens ebenso hohem Maße ein Armutszeugnis für das Linien-Managment.

Der Chief Information Officer muss - aufgrund seines Wissens über die Zusammenhänge zwischen Geschäft und Technologie - ein "natürlicher Ideengeber" für die Vorstandsetage sein, fordert Mierdorf. Von den Fachbereichsleitern verlangt er auf der anderen Seite, dass sie sich den Nutzen der IT für ihr Geschäft permanent vor Augen halten. Die beste Bestätigung für eine erfolgreiche Arbeit erhalte der CIO dann, "wenn der Marketing-Leiter kommt und sagt, dass er ohne das Data Warehouse sein Geschäft überhaupt nicht mehr machen könnte".

IT als Vorstandssache

Auf den ersten Blick fehlt in Zygmunt Mierdorfs Lebenslauf jeder Hinweis auf das Fach Informatik: Der Metro-Group-Vorstand hat sich augenscheinlich mehr mit dem Geschäft als mit der IT beschäftigt. Trotzdem war er eigenen Angaben zufolge in seinen diversen Führungspositionen immer auch für die DV verantwortlich. Nach Realschulabschluss und Lehre zum Bürokaufmann studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Wiesbaden. Seine berufliche Laufbahn begann er 1977 als Referent für Marketing und Controlling beim Frankfurter Automobilzulieferer Alfred Teves GmbH. Dieselben Aufgaben, aber bereits in leitender Position, erfüllte er ab 1983 bei der Mergenthaler Linotype GmbH und anschließend bei der Black & Decker GmbH. 1988 wechselte er als Group Vice President Finance und deutscher Geschäftsführer zu Leach Relais & Electronic (LRE); zwei Jahre später nahm er die verwaltungstechnische Geschäftsführung des zu Procter & Gamble gehörenden Kosmetikproduzenten Betrix in die Hand. 1991 fand er dann zur Metro Group, für die er sieben Jahre lang die Geschäfte unterschiedlicher Gesellschaften führte, bis er in den Vorstand berufen wurde.