Intuitives Management kann das IT-Potential nicht ausschöpfen

24.07.1992

Bernd Latermann und Wolf W. Habbel Booz-Allen & Hamilton, Düsseldorf/München

Das Image der DV-Beratung gilt im allgemeinen als schlecht. In der Vergangenheit haben die häufig nicht nutzerorientierten Lösungen ihre Klienten zur Verzweiflung gebracht: Lösungen, die ineffektive und althergebrachte Arbeitsabläufe nur simpel eins-zu-eins automatisierten und das nicht einmal zum angekündigten Zeitpunkt und im Rahmen des geplanten Budgets.

Folge: In der Beratungsbranche wurde immer häufiger über Probleme, Fehlinvestitionen und Verluste bei der Realisierung umfangreicher Systementwicklungsprojekte geklagt. Die Frage, inwieweit derartige Systeme überhaupt zuverlässig einen erwarteten Nutzen realisieren können, ist nach wie vor offen.

Die quantitative Messung beziehungsweise Evaluation eines solchen Nutzens (zum Beispiel Effizienzsteigerung) ist sehr komplex und wird häufig unterschätzt beziehungsweise unterlassen. Viele "Megaprojekte" sind erst Jahre über die ursprünglichen Zeitpläne hinaus fertig und haben zusätzliche Kosten in zweistelliger Millionenhöhe verursacht. Zum Teil konnten zwar qualitative Verbesserungen erreicht werden, die erwarteten Produktivitätssteigerungen und die damit verbundenen Kosteneinsparungen blieben jedoch aus.

Gleichzeitig hat der Fortschritt der Informations-Technologie (IT) zu weiteren Leistungssteigerungen bei Hard- und Software geführt, die aber für die Anwender nur selten umgesetzt werden konnten.

Weltweit gilt für die Branche: "Why is credibility not keeping pace with performance?"

Unausgegorene Führungskonzepte, mangelnde Anbindung an die Unternehmensstrategie, unklares Rollenverständnis über die IT-Bereichsverantwortung und fehlende Konsequenz des Managements machen in vielen Fällen mögliche Vorteile zunichte, sodaß oft nur ein Drittel oder weniger des technologischen Potentials realisiert wird.

Auf die Frage, warum das Management diese Optionen nicht wahrnimmt, waren die Antworten in einer 1992 von Booz-AIlen durchgeführten Umfrage unter mehr als 350 CEOs und CIOs weltweit sehr unterschiedlich:

- 25 Prozent argumentieren mit den Kosten der Systementwicklung,

- 25 Prozent glauben, der Nutzen der IT-Investitionen ist nicht quantifizierbar,

- 22 Prozent kritisieren die Unsicherheit von Projektergebnissen,

- 19 Prozent geben ihre eigene Unkenntnis der Systemwelt als Grund an und

- neun Prozent haben andere Einwände.

Das IT-Management der befragten Unternehmen sieht sich häufig trotz höherer Leistungen vom Top-Management nicht ausreichend anerkannt. Das gilt gleichermaßen für die externe DV-Beratung.

In den nächsten Jahren muß sich entscheiden, inwieweit Beratungsunternehmen und IT-Bereiche sich weiterentwickeln können, um ihren Kunden den "value-added" zu bringen, der unter Wettbewerbsdruck Voraussetzung für den Erfolg ist.

In der Untersuchung der Booz-Allen & Hamilton haben mehr als 70 Prozent der Befragten festgestellt, daß ein grundlegend neues Modell für das IT-Management unabdingbar ist. Ein Dienstleistungsmodell, bei dem vor allem reagiert wird, nicht aber aktiv zu den Unternehmenszielen beigetragen, ein derartiges Modell funktioniert nicht mehr beziehungsweise macht seine mangelnde Effektivität deutlich. Kontinuierliche Evolution ist nicht ausreichend.

Daß die Nutzer die Nachfrage kreieren und die IT-Organisation diese im Sinne einer reinen Dienstleistung befriedigt, dieses Modell ist überholt. Spitzenleistungen in der Systemrealisierung liegen dann nur darin, die Erwartungen der Anwender möglichst genau zu erfüllen. Anwender sind sich aber häufig der Möglichkeiten der IT nicht bewußt oder können die für sie relevanten strategischen Potentiale nicht richtig abschätzen.

Darüber hinaus kann ein derartiges Modell die Komplexität heutiger Unternehmensentscheidungen, speziell im Bezug auf technologische Entwicklungen, nicht unterstützen. Das Potential der Informationstechnologie kann, behindert von Unkenntnis und intuitiven Management-Erwartungen, nicht voll ausgeschöpft werden. Meist bilden sich an der Schnittstelle zwischen Nutzeranforderung und Entwicklungsauftrag Erwartungskompromisse, die den realisierbaren Wert einer Lösung für das Unternehmen begrenzen.

Drei grundlegende Voraussetzungen für erfolgreiches IT-Management fehlen häufig:

- die Strategie-Orientierung,

- eine IT-Vision und

- ein quantitatives Investitions-Kostenmanagement.

Nur wenn die gesamte Unternehmensführung sich darauf konzentriert, eine Vision zum Management, zur Finanzierung und Ausstattung der IT-Funktion zu entwickeln und umzusetzen, ist langfristiger Erfolg möglich. Das heißt, nur dann ist "Business Process Reengineering" überhaupt machbar. Dies ist eine der größten Herausforderungen für die DV-Beratung:

- Unternehmensziele verstehen,

- Strategien einbeziehen,

- Geschäftsprozesse gemeinsam mit dem Klienten optimieren und

- gleichzeitig evaluierbar kosteneffizient sein.

Ein neues Modell der Zusammenarbeit und der IT-Funktionen muß demnach vor allem bedürfnisorientiert und nicht wunschorientiert sein. Zwei sehr verschiedene IT-Elemente sollten deshalb innerhalb dieses neuen Modells als völlig gleichwertig behandelt werden: das sogenannte "IT-Kraftwerk" und die herkömmliche "Denkfabrik" .

Eine derartige Konstruktion erfordert völliges Umdenken. Das erwähnte Kraftwerk folgt nämlich anderen Erfolgsfaktoren als die Denkfabrik und zwar nach dem Muster:

- Kosteneffizienz versus Innovationen,

- Skaleneffekt versus Synergien,

- Antwortverhalten versus Initiative,

- Kapazitätsmanagement versus Integration.

Dieser Wandel würde eine völlige Neuausrichtung der EDV/MIS-Organisationen und der beteiligten DV-Beratungen bedeuten. Deutlich müssen die Anforderungen an die IT-Organisation erhöht werden. Auch das Top-Management sollte die Meßlatte höher legen. Und damit werden die Anforderungen an die DV-Beratung ebenfalls weiter wachsen. Dies bedeutet daß konkrete und meßbare Zielvorgaben erarbeitet werden müssen, die die Meßbarkeit von realisiertem Nutzen gewährleisten. DV als Image-Programm oder Selbstzweck wird es dann nicht mehr geben können.

Nur durch die Einbeziehung aller involvierten Unternehmensbereiche macht konkrete strategische Wettbewerbsvorteile möglich. Die direkte Einbindung des Top-Managements bei Systemfragen und -entscheidungen und damit die Fähigkeit, Geschäftsprozesse mit in die Systementwicklungsüberlegungen einzubeziehen, ist eine der größten Herausforderungen für die Branche. Eine DV-Beratung, die strategische Vorteile für Unternehmen erarbeiten will, wird mehr und mehr zur Management- und Technologieberatung. Dieser Aufgabe muß sich die gesamte Branche der DV-Beratung stellen.