Thema der Woche

Intranets versprechen Transparenz und Ordnung

04.10.1996

Deutsche Unternehmen zeigen zunehmend Interesse am Aufbau von Intranets, wenngleich sich erste Projekte überwiegend auf relativ simple Anwendungen beschränken. E-Mail-Eigenschaften werden genutzt, Informationsmaterialien für Mitarbeiter ins Netz gestellt und erste Online-Verbindungen zu DV-Herstellern aufgebaut. Die Abwicklung von Geschäftstransaktionen ist noch die Ausnahme.

So sieht etwa die Lufthansa die reibungslose Online- Kommunikation mit IT-Herstellern wie Siemens-Nixdorf oder der SAP AG als eine der wichtigsten Aufgaben ihres Intranet. Siemens- Nixdorf bietet der Fluggesellschaft ebenfalls Zugriff auf eine "Consult-Datenbank", die Intranet-Teilnehmer mit Hilfe einer Volltextrecherche nach Produktinformationen aller Art durchstöbern können.

Pilotkunde für SAPs Info-Datenbank

Auf Basis von Internet-Standards baut die Lufthansa gemeinsam mit der SAP AG ein Online-Informationssystem auf. Es wird benötigt, um die an der R/3-Einführung beteiligten Projektmitarbeiter sowie künftige Anwender auf Produktinformationen, White Papers, Schulungsunterlagen etc. zugreifen zu lassen. Die Lufthansa- Mitarbeiter selbst können diese Datenbank ebenfalls zur Verwaltung eigener Informationen nutzen, die sie im Rahmen der SAP-Einführung hinterlegen möchten.

Kernbestandteil dieses Systems ist die R/3-Informationsdatenbank, eine Architektur, an der die Walldorfer noch arbeiten. SAP verfolgt dabei das Ziel, ihren Kunden die Datenbank in sehr kurzen Abständen aktualisiert und in replizierter Form zur Verfügung zu stellen, ohne daß die Nutzer ihre individuellen Einträge verlieren. Mit Hilfe dieses Datenpools hofft die Lufthansa, die schwierige und kostspielige Umstellung der internen Datenverarbeitung von R/2, Version 4.3, auf das R/3-System schneller bewerkstelligen zu können.

"Wir versuchen, gezielt Herstellerinformationen zum jeweiligen Mitarbeiter im Konzern zu bringen, der unmittelbar mit dem Problem zu tun hat", beschreibt Meinhard Holle das Anliegen der Unternehmensleitung. Als SAP-Verantwortlicher im Konzern- Informations-Management der Lufthansa liegt ihm daran, die Projektbeteiligten je nach zugewiesener Berechtigung und Interesse mit Materialien zu versorgen.

Die Intranet-Visionen des Lufthansa-Managers enden jedoch nicht bei der Kommunikation mit Herstellern. Weitergehende Ideen betreffen beispielsweise hausinterne Produkt- und Presseinformationen, die ebenso per Intranet an die Mitarbeiter verteilt werden könnten wie Presseartikel, Betriebsvereinbarungen oder die Unternehmenszeitung "Lufthanseat".

Ein Telefonverzeichnis, so der Vertreter der größten deutschen Fluggesellschaft weiter, lasse sich einrichten, indem das einzuführende R/3-Modul Human Resources (HR) von SAP mit einem Intranet gekoppelt werde. Sämtliche Namen der Mitarbeiter einschließlich der Telefon-, Fax- und Mail-Nummern sowie eines aktuellen Paßbildes könnten im Netz verfügbar gemacht werden. Auch Personalservices wie Stellenausschreibungen oder Bescheinigungen stellt sich Holle als Intranet-Anwendungen vor.

Nicht nur die Lufthansa erliegt derzeit dem Charme des Intranet (siehe auch diese Ausgabe Seite 33). Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, unternehmensinterne Netze auf der Basis von Internet- Standards wie TCP/IP, HTTP, HTML oder Java aufzubauen. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die fehlende Anwenderakzeptanz der bisher eingesetzten Programme die Firmen zum Handeln zwingt.

In den Unternehmen befindet sich in der Regel eine Reihe von unterschiedlichen Front-end-Tools für diverse IT-Anwendungen im Einsatz. Das führte immer wieder zu Komplexität, hohen Kosten und schlechter Laune am Arbeitsplatz. Hinzu kommt, daß weder externe Mitarbeiter noch Lieferanten und Kunden bisher in das unternehmenseigene Netz und damit in die individuellen Geschäftsprozesse einzubinden waren. Und schließlich bereitete es großen Aufwand, die heterogenen Desktop-Umgebungen kostengünstig zu administrieren.

Vom Intranet wird nun erwartet, daß es unternehmensweit ein "universales Terminal" etabliert, das einfach zu nutzen und zu verwalten ist und mit dem alle Mitarbeiter arbeiten können. "Altbekannte Lösungsansätze wie Workflow- oder Management- Informationssysteme, die bisher nur von einer Minderheit angenommen wurden, könnten sich auf Intranet-Basis wirklich etablieren", zeigte sich Diebold-Seniorberater Dieter Sinn in seinem Vortrag zuversichtlich.

Via World Wide Web erhielten die Mitarbeiter eines Unternehmens künftig einen einheitlichen Zugriff auf alle Daten. Gleichzeitig könnten leichter als bisher mobile Mitarbeiter, Außendienstler, Filialen, Kunden und Partner an die verschiedenen Verfahren angebunden werden.

Die Möglichkeiten, IT-Lösungen per Intranet zu realisieren, reichen sehr weit. Oft fehlt es den Unternehmen jedoch an der Phantasie oder der Bereitschaft, sich auf das Abenteuer einzulassen. Da die erforderlichen Softwareprodukte zum Gutteil preiswert über das Netz zu beziehen sind, kommt es immer häufiger vor, daß Mitarbeiter in den Fachbereichen damit beginnen, eigene Lösungen zu entwickeln. Marktforscher berichten bereits von einer Schatten-Datenverarbeitung, die in manchem Unternehmen entsteht.

Auf dem Diebold-Kongreß wurden denn auch vielfältige Möglichkeiten der Intranet-Nutzung genannt. Marketing und Vertrieb beispielsweise können interne und externe Bestellvorgänge erledigen, Marktinformationen verbreiten oder Kunden- beziehungsweise Partnerdatenbanken einrichten. In der Verwaltung ließen sich interne Bestellungen, das Formularwesen, Organisations- und Terminpläne, Adreß- und Telefonverzeichnisse oder auch die Auftragsabwicklung über ein Intranet realisieren.

Fortschritte beim Kundenservice

Geradezu revolutionäre Fortschritte werden beim Kundendienst erwartet Netscape-intern bezeichnet man den Customer-Service sogar als die "Killerapplikation", die dem Internet zum endgültigen Durchbruch verhelfen könnte. Soforthilfemaßnahmen lassen sich per elektronischer Hotline oder Archiv ebenso treffen wie Manuale, Anleitungen oder Teilelisten verfügbar machen.

Wie von Lufthansa-Manager Holle bereits erwogen, kann im Personalwesen ebenfalls einiges bewegt werden. Warum sollte die Genehmigung von Weiterbildungsmaßnahmen oder Reisekostenabrechnungen nicht über das Intranet abgewickelt werden - immer vorausgesetzt, der Workflow wird so organisiert, daß das jeweilige Dokument vom verantwortlichen Vorgesetzten abgezeichnet werden kann?

Auch für Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung liegen die Vorteile auf der Hand - externe Informationsbeschaffung in Newsgroups und die Kommunikation mit Fachleuten auf der ganzen Welt sind hier längst gang und gäbe. Doch ließen sich im Rahmen eines Intranet auch das Know-how verschiedener Forschungsbereiche in einem Großkonzern zusammenführen und Forschungsergebnisse intern verbreiten. Ferner könnten Know-how- und Projektdatenbanken aufgebaut werden.

Schließlich würden nach Meinung von Diebold-Berater Sinn auch Einkauf und Produktion von einem Intranet profitieren.

Beschaffungsvorgänge und Bestellungen ließen sich automatisieren, die Kommunikation mit Zulieferern verbessern. Und warum sollten nicht auch Angebote über das Internet eingeholt werden? Selbst in die Produktion könnte das Intranet Einzug halten. Nicht nur für die optimale Kommunikation mit Zulieferen und Kunden wäre es - auch als Ersatz für Electronic Data Interchange (EDI) - geeignet, ebenso ließe sich das Engineering Data Management (EDM) theoretisch über ein Intranet abwickeln.

"Die Chancen des Standortes Deutschland liegen im kundennahen Geschäft", betonte Sinn in seinem Vortrag. Vorteile entstünden dort, wo die Arbeitsabläufe der an einem Wertschöpfungsprozeß beteiligten Firmen von der Zulieferung über die Produktion bis zur Auslieferung verzahnt würden. Das Internet ermögliche es, eine technische Plattform für unternehmensübergreifende Kooperationen aufzubauen - bis hin zu virtuellen Unternehmen.

Besuchern der Diebold-Konferenz, die meinten, einen Großteil dieser Ziele auch mit ihren vorhandenen Informations- und Kommunikationssystemen erreichen zu können, hielt Berater Sinn das Argument des universalen Client an jedem Arbeitsplatz entgegen. Auch bringe die homogene Kommunikationsinfrastruktur enorme Vorteile - nicht zuletzt weil sie eine unkomplizierte und kostengünstige Betreuung der Anwender ermögliche und die Kommunikation mit Intranets von Partnerunternehmen erleichtere ("Extranet").

Und schließlich, so wurde aus den Ausführungen des Consultant deutlich, haben die Hersteller definitiv beschlossen, in Zukunft mit Internet-Produkten Geschäfte zu machen. Beispielsweise werden sämtliche E-Mail-Tools über kurz oder lang auf Internet-Standards wie SMTP oder POP 3 aufsetzen. Auch Groupware- und Messaging- Lösungen wie Lotus Notes, Microsoft Exchange oder Oracle Interoffice sind mehr oder weniger ausreichend auf den weltweiten Durchbruch der Internet-Techniken vorbereitet.

Die neueste Notes-Version "Domino" etwa ermöglicht den Zugriff auf Notes-Anwendungen über WWW-Browser oder mit Notes-Clients auf WWW- Angebote. Außerdem hat eine Öffnung zu Internet-Mail- und Messaging-Standards stattgefunden. Voll auf das Medium Internet setzt Oracles neue Groupware "Interoffice" auf, die E-Mail, Workflow-, Dokumenten-Management und Archivierung in sich vereint. Das von Diebold-Berater Sinn sehr hoch eingeschätzte Produkt könnte dem Netzcomputer als "Killerapplikation" zum Durchbruch verhelfen - sofern Oracle den entsprechenden Marketing-Aufwand betreibt. Microsoft dagegen stellt mit seiner Exchange-Lösung in erster Line Internet-typische Mechanismen wie Hyperlinks für die eigene Architektur (OLE, Active X, COM) zur Verfügung. Internet- Standards werden nur soweit unterstützt, wie vom Markt diktiert.

Für reine Netz-Betriebssysteme wie Novell Netware scheint die Uhr abzulaufen, da deren File- und Print-Services auch vom Internet zur Verfügung gestellt werden. Auch die Anbieter von Datenbank- Servern bereiten sich gezwungenermaßen auf die Internet-Zukunft vor, denn zur Zeit sind die WWW-Server noch unintelligente File- Server: Datenbankfunktionalität ist hier dringend gefragt - und wird wohl auch geliefert, indem die gängigen Systeme ein WWW- Front-end erhalten. Selbst im EDI-Bereich rechnet Diebold über kurz oder lang mit einem allmählichen Austausch der jetzigen gegen preiswerte Intranet-Lösungen.

Längst haben sich auch die Hersteller von großen kaufmännischen Anwendungssoftware-Paketen auf das Thema eingelassen. Wie Diebold- Consultant Helmut Bremicker in einem weiteren Vortrag ausführte, müssen diese Hersteller auf den dringenden Kundenwunsch reagieren, die Auftragsabwicklungszeit zu verkürzen, neue Vertriebskanäle zu erschließen und das Leistungsangebot auszubauen.

Schwer vereinbar: Internet und Standardsoftware

Die Herausforderung liegt unter anderem darin, daß beispielsweise bei Bestellungen über das Internet die Aktualisierung von Daten unmittelbar in der operativen Anwendung stattfinden muß. Kein Online-Kunde würde stundenlang warten, ehe ihm eine Bestellung bestätigt wird. Liefer- und Feinabrufe müssen durchgeführt, Mengen und Terminänderungen übermittelt und ad hoc realisiert werden. Auf diese Anforderungen sind die meisten Standardsoftwarepakete noch kaum vorbereitet, wenngleich die ersten Pilotanwendungen für das Internet bereits laufen.

SAP beispielsweise trennt das R/3-Kernsystem von den Anwendungsteilen, die über das Internet nutzbar sind. Auf dem Web- Server bietet das Unternehmen die Schnittstelle "Automation" an, mit deren Hilfe unabhängige Softwarehäuser ihre eigenen Web- Lösungen mit dem "Bildschirm"-Datenstrom in Verbindung bringen können. Der Zugriff auf Daten des Kernsystems erfolgt über sogenannte Business-APIs, während die Web-Anwendungen auf der Basis von Java oder Visual Basic realisiert werden.

Laut Bremicker ist dieser Ansatz insofern typisch, als er die Koexistenz von Kern- und Web-Systemen vorsieht. Damit die Hersteller Internet- und Intranet-Unterstützung bieten können, koppeln sie ihre vorhandenen Systeme mit objektorientierten Sonderlösungen für das Web. Dabei spielt sich die Prozeßunterstützung zunehmend über Web-Systeme ab - und zwar im Intranet.

Der Diebold-Berater fand nicht nur Zustimmung mit seinem Abschluß- Statement, nachdem es weder die Performance noch die Sicherheitsbedingungen erlauben, unternehmenskritische Anwendungen im Internet laufen zu lassen. Das Beispiel der Großbanken spricht gegen diese Aussage.