Kulturwandel bei der Beschaffung von Büromitteln und C-Teilen

Intranet-Anwendung macht dem Bestellprozess Beine

11.02.2000
MÜNCHEN (qua) - Mit einer Intranet-basierten Anwendung hat die Alcatel Deutschland GmbH, Stuttgart, ihren Beschaffungsprozess für geringwertige Materialien deutlich gestrafft: Durch das Reengineering wurde er nicht nur einfacher und schneller, sondern auch erheblich billiger.

"Warum ist es so teuer, Bestellvorgänge für Kleinteile abzuwickeln?" Diese Frage bewog die deutsche Alcatel vor zwei Jahren, das Projekt "Buy Direct" in Angriff zu nehmen. Diese Intranet- und E-Mail-basierte Anwendung ermöglicht den deutschen Mitarbeitern des Kommunikationsspezialisten seit einem halben Jahr die Direktbestellung von Materialien, die weniger als 2500 Mark kosten, im Fachjargon als "C-Teile" bezeichnet. Diese Bestellungen verursachen bei der deutschen Alcatel rund 60 Prozent der Beschaffungstransaktionen, repräsentieren aber nur drei Prozent der Ausgaben. Trotzdem wurden sie mit demselben Verwaltungsaufwand abgewickelt wie Großauträge im Wert von 100000 Mark. "Der Einkauf muss sich auf höherwertige Bestellungen konzentrieren", lautet der Leitspruch von Stefan Höll, Einkaufsfachberater und Initiator des Projekts.

Dem Kongressveranstalter IIR GmbH, Sulzbach, gefiel die Buy-Direct-Applikation so gut, dass er Alcatel im Rahmen des "RZ- und IT-Leiter-Forums 2000" mit dem "R.I.Z Award" auszeichnete. Wie Bernd Kahlbrandt, Professor für Elektrotechnik und Informatik an der Fachhochschule Hamburg, in seiner Laudatio anmerkte, erfüllt das System alle Kriterien, die gemeinhin an ein Pilotprojekt gestellt werden: Es handelt sich um ein Vorhaben von überschaubarem Umfang, aber unternehmensweiter Sichtbarkeit; es ist nicht geschäftskritisch, wirkt sich aber spürbar aus.

Tatsächlich können sich die Ergebnisse sehen lassen: Vor der Einführung von Buy Direct umfasste ein Bestellvorgang neun Stufen und verschlang rund 150 Mark - oft mehr, als der georderte Artikel wert war. Zudem dauerte es im Durchschnitt zwei Wochen, bis die bestellte Ware eintraf. Buy Direct dampft den Prozess auf vier Stufen ein; das schafft die Voraussetzung dafür, dass sich die Transaktionskosten auf 65 Mark verringern und die Lieferung innerhalb eines Tages nach Auftragserteilung erfolgt. Quasi nebenbei ließ sich auch die Anzahl der fehlerhaften Bestellungen von 25 auf fünf Prozent senken. Die Endanwender wählen jetzt aus einem im Intranet abgelegten elektronischen Warenkatalog die jeweils benötigten Teile aus. Dadurch sinkt - im Vergleich zum Abtippen von Bestellnummern - die Gefahr von Falscheingaben.

Bei der Umsetzung des Systems griff das Projektteam auf das "Alcanet" genannte Intranet des Unternehmens zurück. Buy Direct basiert ferner auf der Standardsoftware "Procure CA", die die Procure Network GmbH ursprünglich für den Flughafen Frankfurt entwickelt hat. Beschaffungssysteme, wie sie von Ariba oder Commerce One angeboten werden, waren vor zwei Jahren noch nicht verfügbar und hätten laut Höll auch ein Vielfaches der 80000 Mark gekostet, die Alcatel für die Nutzung von Procure CA ausgab.

Hinzu kamen die Personalkosten für das sechsköpfige Projektteam, das sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Abteilungen Rechnungswesen, Controlling, Einkauf und Informationstechnik zusammensetzte.

Trotz des Rückgriffs auf Standardsoftware zog sich das Projekt beinahe anderthalb Jahre lang hin. Das lag vor allem an den notwendigen Änderungen der Prozesse und der Unternehmenskultur. Die eigentliche Softwareinstallation habe lediglich vier Wochen in Anspruch genommen, betont Höll. Wesentlich mehr Zeit sei darauf verwendet worden, die Abläufe zu definieren und einen Konsens darüber zu erzielen, dass die Maxime für die Beschaffung von C-Teilen künftig Vertrauen statt Kontrolle heiße. Die wegrationalisierten Prozessschritte waren zumeist überflüssige Kontrollmechanismen. Indem die 200 bis 250 Buy-Direct-Anwender ihr Büromaterial unmittelbar beim Lieferanten bestellen, übernehmen sie Eigenverantwortung. Zwar erhalten zunächst nur die Kostenstellenleiter eine User-ID, doch können und sollen sie die Zugriffsrechte an ihre Mitarbeiter delegieren. Eng gefasste Auswahlmöglichkeiten und die im System abgelegten Sicherheitmechanismen beugen einem Missbrauch vor.

Eine Bestellung aufgeben bedeutet in Buy Direct, durch Anwählen des gewünschten Katalogpostens eine E-Mail mit angehängtem Ascii-Code auszulösen. Der Lieferant schickt die Ware - unter Umgehung des zentralen Wareneingangs - direkt an den Schreibtisch des Bestellers, der den mit Preisinformationen versehenen Lieferschein selbst kontrolliert. Die Finanzbuchhaltung erhält pro Monat und Geschäftspartner eine Sammelrechnung mit vorkontierten Buchungssätzen, die sie automatisch übernimmt und innerhalb des vereinbarten Zahlungsziels begleicht.

Voraussetzung für einen solchen Ablauf ist eine enge Partnerschaft zwischen dem Kunden und dem jeweiligen Lieferanten. Alcatel will für jeden Materialsektor nur noch mit einem einzigen Anbieter zusammenarbeiten. Dadurch lassen sich zum einen höhere Rabatte aushandeln. Zum anderen verringert sich der Aufwand für die Erstellung der elektronischen Warenkataloge, die mit jedem Anbieter gemeinsam gestaltet werden müssen - zumindest, bis sich der vom Bundesverband für Materialwirtschaft und Einkauf (BME) publizierte Multimedia-Standard ("BMEcat") durchgesetzt hat.

Die Applikation fand breite Zustimmung bei Alcatel Deutschland. Jetzt ist es an der Zeit, sie auf die nächste Ebene zu heben - unter anderem durch die Integration mit der betriebswirtschaftlichen Standardsoftware. "Heute merkt das SAP-System erst, wenn die Rechnung kommt, dass da ein Prozess stattgefunden hat", beschreibt Höll den Ist-Zustand.

Darüber hinaus soll die Internet-basierte Bestellung auf höherwertige ("B"-) Teile ausgedehnt werden, beispielsweise auf PCs. Dazu muss jedoch zunächst ein Workflow definiert und abgebildet werden, um die betroffenen Abteilungen, in diesem Fall die Informationstechnik, in den Prozess einzubeziehen.

Die Weiterentwicklungen werden nicht mehr auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene stattfinden. Als Begründung nennt Höll zum einen die beabsichtigte Teilnahme an den internationalen Web-Marktplätzen, zum anderen die Vorteile paneuropäischer Preisverhandlungen. Auf welcher Softwarebasis das erweiterte System laufen wird, ist noch nicht entschieden - und laut Höll sowieso nicht das ausschlaggebende Thema.

DIE FIRMADie Alcatel Deutschland GmbH, Stuttgart, vereint unter ihrem Dach den Telecom-Anbieter Alcatel SEL AG und die Alcatel Kabel Beteiligungs AG. Als zweitgrößte Nationalgesellschaft des französischen Alcatel-Konzerns erzielte die deutsche GmbH im Geschäftsjahr 1998 mit 18 000 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 5,9 Milliarden Mark.

Abb.: Statt neun nur noch vier Stufen: Mit "Buy Direct" sind Bestellvorgänge kürzer und übersichtlicher. Quelle: Alcatel