Interview

Interview "Europa holt beim E-Commerce rasch auf"

05.03.1999
Mit Patrick McHugh, Vice-President der Londoner EDS- Beratungstochter AT Kearney Ltd., sprach CW-Redakteur Hermann Gfaller

CW: Wie realistisch sind die hohen Erwartungen an E-Commerce?

McHugh: In zwei Jahren werden rund eine halbe Milliarde Menschen Internet-Zugang haben. Schon im laufenden Jahr werden auf Basis des Internet rund 50 Milliarden Dollar umgesetzt. Der Hype hat also eine gesunde Basis.

CW: Aber selbst das Vorzeigeprojekt Amazon.com macht bislang keinen Gewinn.

McHugh: Richtig. Trotzdem hat Amazon.com einen Vorbildcharakter für eine vielversprechende zweite Welle von Web-Geschäften. Die über das Bücherverkaufen hinausreichenden Dienste von Amazon.com gehören dazu, aber auch Web-Auktionen oder automatische Einkaufssysteme für Menschen mit wenig Zeit. Derartige Ideen gibt es viele.

CW: Hand aufs Herz: Wieviele E-Commerce-Projekte betreuen Sie als Unternehmensberater?

McHugh: Nicht viele. Wir wissen ganz einfach noch nicht genau, welche Dienste die Kunden in diesem Bereich brauchen. Wir empfehlen das Web jedoch immer wieder als Feld für neue Geschäftsideen.

CW: Sind die etablierten Unternehmen kreativ genug für eine solche Zukunft?

McHugh: Wirklich neue Ideen entstehen sicher bei Newcomern, aber sie werden von den bestehenden Firmen rasch kopiert. Man braucht Durchhaltevermögen, sprich: Geld, um ein erfolgreiches Geschäft im Web aufzubauen.

CW: Widersprechen Sie damit nicht allen Fachleuten, die das Web gerade als Chance für Einsteiger preisen?

McHugh: Jeder kann für wenig Geld eine Web-Seite einrichten. Für ernsthafte Geschäfte geht aber nichts unter einer Viertelmillion Dollar, allein für die DV-Infrastruktur.

CW: Bei der Infrastruktur für das Internet haben die Europäer den Zug inzwischen verpaßt. Haben sie beim E-Commerce bessere Karten?

McHugh: Natürlich profitieren derzeit vor allem die US- Unternehmen. Europa, zumindest die nördlicheren Regionen, holt jedoch mit rasanter Geschwindigkeit auf. Die romanischen Staaten Frankreich, Spanien und Italien haben hier aus vielerlei Gründen mehr Probleme.

CW: Woher kommen die Chancen der Europäer?

McHugh: Amerika profitiert von einem riesigen Binnenmarkt mit einer einheitlichen Sprache, einer Währung, einem ausgebauten Kommunikationssystem und einer engen Verflechtung der Bereiche, die für den Warentransport zuständig sind. Die Europäische Union ist aber schon länger dabei, die Infrastruktur-Nachteile abzubauen. Es ist wichtig, Zollschranken zu beseitigen, Telecom- Gesellschaften zu privatisieren und den Euro einzuführen.

CW: Mit solchen Maßnahmen erleichtert Europa aber auch den US- Mitbewerbern das Geschäft.

McHugh: Trotzdem. Gerade die Nordeuropäer haben durchaus Chancen, die US-Wirtschaft zu überrunden.

CW: Wie?

McHugh: Durch die Schaffung von Interessengemeinschaften. Das Web ermöglicht die einfache Schaffung solcher Communities, weil sich die Kosten für die Kommunikation nahe beim Nullpunkt bewegen.

CW: Ist das Denken in Communities nicht sehr amerikanisch?

McHugh: Amerikaner denken traditionell in kleinen, geschlossenen Gemeinschaften. Die Europäer, insbesondere die Deutschen, haben dagegen eine stark föderale Kultur. Damit lassen sich weit größere Interessengemeinschaften bilden. Das könnte ein Erfolgsrezept für die Zukunft sein.

CW: Würden Sie das bitte genauer erklären?

McHugh: Lassen Sie mich ein US-Beispiel bringen. Dort sind vergangenes Jahr 15 Prozent aller Neuwagen via Internet verkauft worden. Auf Europa übertragen, könnte sich hier zum Beispiel eine europaweite Gemeinde der BMW- oder Porsche-Fahrer aufbauen lassen. Dadurch ließen sich an den Händlern vorbei Geschäfte machen.

CW: Ich kaufe mein Auto bei einem Händler mit einer vertrauenswürdigen Werkstatt. Ist das in den USA anders?

McHugh: Tatsächlich lassen sich die US-Kunden die Autos beim Händler vorführen und kaufen sie dann, wo sie am billigsten sind. Das erfahren sie im Web.

CW: Eigentlich wollten Sie die speziell europäischen Chancen beschreiben...

McHugh: Stimmt. Aber noch ist Europa etwas im Hintertreffen. Es könnte hilfreich sein, sich US-Beispiele anzusehen.