Interview "Eigentlich sind wir eine Ergaenzung zur Microsoft-Welt"

04.08.1995

CW: Borland will Anfang des kommenden Jahres eine 32-Bit-Version der Entwicklungsumgebung Delphi auf den Markt bringen. Werden Sie neben Windows auch OS/2 bedienen?

Appel: Bei C++ werden wir als Zielplattform wahrscheinlich auch andere Betriebssysteme (als Windows, Anm. d. Red.) unterstuetzen, allerdings nicht als Entwicklungsbasis. Bei Delphi hingegen ist das noch nicht entschieden.

CW: Warum eigentlich nicht? Das kann doch so schwierig nicht sein, nachdem Delphi jetzt bereits 32-Bit-faehig ist.

Appel: Das Portieren stellt nicht die groesste Arbeit dar. Das Produkt muss vielmehr auch vermarktet werden, und vor allem muss die Qualitaet kontrolliert werden. Dafuer haben wir im Augenblick nicht genug Ressourcen - jedenfalls nicht im Hinblick auf einen im Vergleich zu Windows recht kleinen Markt.

CW: Borlands juengste Quartalsergebnisse sind unter dem Strich endlich wieder positiv. Welchen Anteil hat Delphi daran?

Appel: Einen sehr starken. Von dem Geld, das wir eingenommen haben, kam ein grosser Teil durch Delphi herein. Trotzdem waren auch die weltweiten Einsparungen notwendig, um wieder schwarze Zahlen zu schreiben. Wir haben viele Dinge nach aussen gegeben oder anders gemacht und Niederlassungen geschlossen, wenn sie nicht profitabel waren.

CW: Wie hoch ist der Umsatzanteil, den Delphi eingebracht hat?

Appel: Die weltweiten Zahlen kenne ich nicht. Aber in Deutschland waren es um die 40 Prozent. Gut eingeschlagen hat - gerade in Deutschland - die Client-Server-Version. Sie wird im Vergleich zu der normalen Ausfuehrung sehr haeufig gekauft - wegen der Distributionslizenz, die darin enthalten ist. Den Entwickler kommt es im Endeffekt guenstiger, die Client-Server-Version zu nehmen, weil er keine zusaetzlichen Gebuehren zahlen muss, um die fertigen Anwendungen weiterzugeben.

CW: Laesst sich der Anteil der Client-Server-Nutzer beziffern?

Appel: Ja, in Deutschland liegt er bei 17 Prozent der Delphi- Kunden.

CW: An wen verkaufen Sie Delphi eigentlich?

Appel: Das reicht vom Studenten bis zum Grosskonzern.

CW: Ihr aergster Konkurrent ist Microsoft mit Visual Basic. Zudem hat sich Borland lange Zeit ausdruecklich als Alternative zu Microsoft dargestellt. Da mutet es fast schizophren an, dass Sie sich in vielen Punkten einfach nach den De-facto-Standards von Microsoft - VBX, OLE etc. - richten muessen.

Appel: Das Verhaeltnis hat sich in letzter Zeit ein wenig veraendert, weil wir gewisse Produkte nicht mehr besitzen. Ich spreche hier von der starken Marketing-Konkurrenz zwischen "Quattro Pro" (jetzt im Besitz von Novell, Anm. d. Red.) und "Excel". Aber das ist Vergangenheit. Eigentlich sind wir in vielen Bereichen eine Ergaenzung zur Microsoft-Welt. Und das, was vor ein paar Jahren der Fall war, naemlich dass wir gegen Microsoft marschiert sind, das ist in letzter Zeit doch anders geworden. Es gibt mittlerweile auch auf der Entwicklungsseite eine gute Zusammenarbeit.

CW: Ein gespanntes Verhaeltnis herrschte bislang auch zwischen Borland und Lotus - vor allem wegen des Rechtsstreits, den Lotus angezettelt hat. Trotzdem stellt Borland eine Verbindung zwischen Delphi und Lotus Notes in Aussicht.

Appel: Wir haben dieses Tool nicht selbst entwickelt, sondern in Lizenz erworben. Es handelt sich dabei um eine VBX Control, die einen standardmaessigen Zugriff auf die Notes-Datenbank liefert. Notes ist in diesem Bereich schon ein De-facto-Standard. Deshalb sehen wir hier vor allem im Grosskundenbereich einen Markt, auf dem wir eine kostenguenstige Loesung anbieten wollen.

CW: Wieso brauchen Sie eigentlich noch ein halbes Jahr, um Delphi 32 auszuliefern? Beziehungsweise: Wieso stellen Sie es jetzt schon vor?

Appel: Wir wollen noch einiges integrieren, beispielsweise Datenbankkomponenten oder Report-Funktionen. Aber Sie haben natuerlich recht. Normalerweise kuendigen wir unsere Produkte nicht so frueh an. Eine Rolle spielt hier sicher, dass wir den Kunden zeigen wollen, wo es bei uns langgeht. Fuer Borland ist es zur Zeit wichtig, Vertrauen aufzubauen.

*Roland Appel ist fuer das technische Produkt-Marketing der Borland GmbH, Langen, verantwortlich. Das Interview fuehrte CW-Redakteurin Karin Quack.