Frühlingsgefühle bei Konvergenz-Propheten - Sorgen um den Nutzer

Internet World: CRM und neue Übertragungstechniken im Fokus

14.04.2000
MÜNCHEN (CW) - Auf der Internet World Spring in Los Angeles gaben in der vergangenen Woche die Vorreiter einer Medienrevolution via Internet den Ton an. Im Business-Bereich standen Lösungen zur Pflege der Kundenbeziehungen im Mittelpunkt.

AOL-Boss Steve Case hatte unter kalifornischer Sonne eine Erleuchtung. Eine zweite Internet-Revolution stehe bevor, und diese werde noch weit stärkere Auswirkungen haben als ihre Vorgängerin. Die Vision des AOL-Managers ist indes so neu nicht und lässt sich unter einen eher trockenen Begriff subsumieren: Medienkonvergenz. Spätestens seit der letzten Funkausstellung in Berlin 1999 war auch hierzulande jedem klar, dass Internet nicht mehr gleich PC ist.

Die Inhalte des World Wide Web erreichen den Endnutzer zunehmend über alternative Zugangsgeräte und -techniken wie Fernseher beziehungsweise Settop-Boxen und Handys via Wireless Application Protocol (WAP). Case hat eine Revolution ausgerufen, die längst in Gang ist, sich aber wundersam mit dem Geschäftsmodell von AOL deckt. Die wichtigste Ankündigung des Mediengiganten überließ der CEO seinem Kollegen Barry Schuler, President of Interactive Services bei AOL. Dieser präsentierte die neue Browser-Generation "Netscape 6" (siehe Seite 1).

Gerüche für des Surfers SpürnaseViel interessanter als die Prophezeiungen des AOL-Chefs waren die zahlreichen, zunächst auf den US-Markt ausgerichteten Produktvorstellungen rund um Breitband- und Mobilfunktechniken. Der Application-Service-Provider (ASP) Everypath Inc. stellte einen neuen Hosting-Dienst für drahtlosen Internet-Zugang und sprachgesteuerte Websites vor. Der Anbieter arbeitet mit namhaften Herstellern wie HP, Engage oder Ericsson zusammen. An Endkunden richten sich die I-Go Corp. und Xypoint Corp. mit mobilem Web-Zugang über PDAs oder per WAP. Oracles Mobiltochter Oraclemobile.com fügte dem Portfolio einen drahtlosen Short-Messaging-Service hinzu.

Auf die wachsende Verbreitung von breitbandigen Internet-Zugängen in Unternehmen und bei privaten Nutzern reagierten Hersteller in Los Angeles mit einer ähnlichen Produktoffensive. Internet Pictures ermöglicht mit seinem "Ipix Viewer" künftig 360-Grad-Ansichten in laufenden Filmen. Bislang ging das nur in Standbildern. On2.com zeigte eine Lösung zur Verbreitung von hochauflösenden Videos via Internet, während Mshow.com mit seiner Konferenz- und Collaboration-Software Video, Instant-Messaging und Whiteboards vereint. Die kalifornische Digiscents offerierte gar Hard- und Software zur Übertragung von Gerüchen im Internet. Kritiker mahnten allerdings in Los Angeles, diese Anbieter könnten ihrer Zeit deutlich voraus sein. Zwar steige die Zahl privater und geschäftlicher Nutzer von Breitbandangeboten, allerdings sei die Basis noch zu gering, um darauf ein ganzes Geschäftsmodell zu begründen.

Ein eigenes Forum im Schatten der Internet World erhielten die Anbieter von Web-basierten Lösungen zum Customer-Relationship-Management (CRM). Der boomende ASP-Markt zeigte auf der E-CRM-Show eine Reihe neuer Hosting-Dienste. Die Startup-Company Neteos startete ihren Dienst "E-CRM-Now", mit dessen Hilfe Unternehmen ihre Kunden- und Partnerbeziehungen direkt über das Internet pflegen können.

Tools haben starken Appetit auf CookiesDer Mietservice lohne sich für Unternehmen mit einem Umsatz zwischen zehn und 350 Millionen Dollar im Jahr, so Neteos-Manager Dave McNamara. Quic Inc. stellte sich in Los Angeles ebenfalls als CRM-ASP vor. Xchange (vormals Exchange Applications Inc.) zeigte mit "Xchange 4.0" ein CRM-Paket, das gleichermaßen als Software- und Hosting-Lösung angeboten wird. An die ASPs selbst oder große Unternehmen richtet sich der amerikanische Anbieter Touchstone Corp. mit "Wintouch E-CRM", einer Java-basierten Kunden-Management-Lösung.

Auch die unendliche Geschichte der Privacy-Diskussion fand auf der Frühjahrs-Internet-World ihre Fortsetzung. Anbieter wie Doubleclick, American Airlines und Pricewaterhouse-Coopers sorgten sich um das Vertrauen der Nutzer in den elektronischen Handel und wollen mit der Gründung eines "Personalization Consortium" gegensteuern. Die Mitglieder sollen sich zu einem besonders sorgfältigen Umgang mit Kundendaten verpflichten.

Nachdenklich stimmt bei dieser Neugründung, dass Branchengrößen wie Yahoo nicht mit ins Boot geholt werden konnten und dass es längst unabhängige Privacy-Initiativen wie Trust-E gibt, denen man sich hätte anschließen können. John Patrick, Vice President of Internet Technology bei IBM, setzte in seinem Vortrag auf der Internet World ohnehin viel mehr auf digitale Identitäten, die den Nutzern die Entscheidungsgewalt über ihre Daten gäben. Anbieter wie Youpowered (www. youpowered.com) wollen Surfer dazu mit Tools ausstatten, die beispielsweise Cookies "essen" oder sofort Alarm schlagen, wenn der Nutzer ausgespäht wird.