H.O.T stellt Versandhaustradition auf digitale Beine

Internet und TV verschmelzen

22.02.2000
Von VON Helga
Rascher, länger, weiter: Die digitalen Präsentations- und Vertriebskanäle erleichtern den Zugriff der Konsumenten auf die schöne, bunte Warenwelt. Der Shopping-Sender H.O.T. besetzt heute die Nischen von morgen.

Das antibakterielle Matratzenspray kommt das ganze Jahr über an, ebenso der sternförmige Goldanhänger oder die handgefertigten Stoffbären aus Thüringen. Mit Wintermode lässt sich in deutschen Landen häufig auch im Frühjahr noch ein gutes Geschäft machen. Dagegen fällt das richtige Timing für den Verkauf von Strandkörben hierzulande äußerst schwer.

Die Home Order Television GmbH & Co. KG (H.O.T.) in München-Ismaning versteht sich als "elektronisches Handelshaus", das der Kundschaft daheim vor dem Fernseher jahreszeitlich und stimmungsmäßig passende Produkte präsentiert. H.O.T. nutzt dabei das hohe Vertrauenskapital, das der Versandhandel im deutschsprachigen Raum genießt und erweitert das Konzept um neue mediale und informationstechnische Möglichkeiten. Rascher, länger, weiter, ist die Devise: Ständiger Wechsel im Warenkorb, Rund-um-die-Uhr-Angebote zum Aussuchen und Bestellen sowie bundesweiter Vertrieb regionaler Raritäten.

Allerdings sind die denkbaren technischen Entwicklungspfade zu Online-Shopping, interaktivem Fernsehen oder E-Commerce längst noch nicht ausgereizt. Der IT-Leiter des Einkaufskanals, Pascal Radons, erweitert denn auch zielstrebig seine Mannschaft um Internet-Producer, Data-Warehouse-Manager, Web-Designer, Datenbank-Administratoren, Web-Entwickler und Pogrammierer.

Joint Venture von Pro Sieben und Quelle

Vor einer schlichten Steinmauerkulisse bearbeiten der Moderator und sein Gast eine Matratze mit dem desinfizierenden Spray. Im Regieraum steuert ein Fünfer-Team die Live-Show: Kameraperspektiven, Tonqualität, Einspielungen vorgefertigter Sequenzen. Parallel zur Fernsehpräsentation des Artikels erfährt der TV-Producer im Regieraum online, welche Zuschauerfragen sich in den Call-Centern sammeln. Entweder wird ein Anrufer direkt in die Sendung durchgestellt oder der Moderator erfährt über den Knopf im Ohr, welche Frage er an den Firmenexperten weitergeben soll.

H.O.T. wurde 1995 als JointVenture von Pro Sieben und Quelle/Schickedanz gegründet. Inzwischen ist das US-amerikanische "Home Shopping Network" größter Gesellschafter; dazu kommen Thomas Kirch (der Sohn des Mediengiganten Leo Kirch), der scheidende Chef von Pro Sieben Georg Kofler und das Versandhaus Quelle. H.O.T. hat die Geschäftskonditionen des deutschen Versandhandels ebenso übernommen wie seine Vertriebsstrukturen. Der Sender kauft die meisten Artikel bei den großen Konsumgeräteherstellern - von AEG über Dr. Oetker bis zu Sony. Auch mit der Wahl der SAP-Warenwirtschafts-Software griff das Unternehmen auf Erprobtes zurück.

Neu sind der Medienmix, der den klassischen dicken Versandhauskatalog als Werbeplattform ablöst sowie die zentrale Datenverwaltung. Sie ermöglicht ein geschlossenes System von der Präsentation der Waren über Bestellung, Vertrieb, Inkasso, Analyse der Kundenprofile bis hin zur sofortigen Umsetzung der Informationen in der Einkaufsplanung.

Im Zentrum des Medienmix’ steht das Live-Programm im Fernsehen. Unterstützt wird diese Präsentationsform durch Videotext, Internet (www.hot.de) und eine Kundenzeitschrift.

Nun plant der Sender "eine geografische und eine multimediale Expansion", berichtet Unternehmenssprecherin Brigitte Holzapfel. In Italien wird der Einkaufskanal einen Ableger starten. Außerdem bereitet sich H.O.T. schrittweise auf den "E-Kommerz" vor, wie das im hauseigenen Jargon heißt. Gemeint sei, so die Unternehmenssprecherin, "einer konsumfreudigen, aber nicht so technikbegeisterten Klientel die Angst vor den neuen Medien zu nehmen." Bisher reicht ja der Griff zum Telefon.

Perspektivisch will H.O.T. die Kombinationsmöglichkeiten von (digitalem) Fernseher und Computer ausbauen. Da soll man sich beispielsweise aus der laufenden Sendung ins Internet klicken können, um verpasste Produktinfos nachzuholen oder zusätzliche zu erhalten. Ein mit Links gelenkter "Einkaufsbummel" im Netz könnte so aussehen: von der Beschreibung einer formschönen Auflaufform geht es zum Lasagne-Rezept, weiter zu Fotobänden über Italien und danach zu dortigen Modeneuheiten.

Ein weiterer Schritt sind frei wählbare Programme: Wann immer der Kunde etwas Spezielles sucht, kann er "seine" Heimwerkersendung und sie "ihren" Modekanal abrufen und direkt bestellen. Und demnächst vielleicht auch nach den Regeln des "richtigen" E-Commerce bezahlen. Spätestens dann wäre H.O.T. ein elektronisches Warenhaus, in dem der Kunde nicht nur per Zufall etwas findet, sondern auf selbstgewählten Wegen das Richtige suchen kann.

Um den bevorstehenden Aufgaben in den Bereichen E-Commerce und Internationalisierung gewachsen zu sein, will IT-Leiter Radons zusätzliche Mitarbeiter einstellen. "Am schwierigsten ist es, im Internet-Bereich die richtigen Leute zu finden", sagt er. Er setzt auf Berufseinsteiger, "die objektorientiert denken können" und die sich in "gemischten Teams" mit erfahrenen Fachkräften berufsbegleitend weiterbilden. Das betrifft auch die IT-Aufgaben an der Schnittstelle zwischen Live-Fernsehen und digitaler Datenverwaltung. "Dieses Feld ist so neu, dafür müssen wir unsere Leute schon selbst qualifizieren", betont Radons. Und empfiehlt interessierten jungen Informatikern ein Praktikum bei H.O.T. als "sehr guten Einstieg".

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.