Ende der Halbleiterkrise in Sicht?

Internet und Mobilfunk lassen Chipindustrie hoffen

21.01.2000
von Beate Kneuse* MÜNCHEN - Die extremen Schwankungen im Halbleitergeschäft, speziell bei Speicherchips, sorgten in den vergangenen Jahren bei den einschlägigen Herstellern mal für Festtags-, mal für Untergangsstimmung. Derzeit steht das Barometer wieder auf "hoch". Marktbeobachter versprechen sich mittelfristig vor allem aufgrund der horrenden Nachfrage nach TK-Equipment kräftige Zuwachsraten.

Das Tal der Tränen ist erst einmal durchschritten. Für die nächsten Jahre ist der Weltverband SIA (Semiconductor Industry Association) optimistisch gestimmt und prophezeit ordentliche Wachstumsraten. Im laufenden Jahr soll das Marktvolumen um 21 Prozent auf 174 Milliarden Dollar steigen, 2001 schließlich soll die 200-Milliarden-Dollar-Grenze übersprungen werden. Erst im Jahr darauf, so die SIA, dürfte der Höhenflug wieder etwas abflachen. Doch auch dann sehen die Prognosen noch ein Wachstum von zwölf Prozent auf 234 Milliarden Dollar vor.

Der schlimme Absturz des Halbleitermarkts 1998 - mit einem Umsatzrückgang von acht Prozent musste die Branche das schlechteste Jahr seit 1985 (damaliges Minus: 15 Prozent) verkraften - ist allerdings allen Firmen noch in guter Erinnerung. Sämtliche Hersteller hatten sich 1995 auf die seinerzeit euphorischen Prognosen der Auguren verlassen, die bis zur Jahrtausendwende dem Markt aufgrund der zu erwartenden hohen Nachfrage aus allen Industriebereichen ein Umsatzvolumen von 300 Milliarden Dollar vorhersagten. Mit fatalen Folgen: Die Anbieter, gleich in welchem Erdteil angesiedelt, gerieten ins Investitionsfieber und stampften eine Chipfabrik nach der anderen aus dem Boden. Milliarden flossen dabei vor allem in die Errichtung von Produktionsstätten für Speicherchips. Unmengen von DRAMs kamen auf den Markt, die dann doch nicht benötigt wurden. Die immensen Überkapazitäten führten zum freien Fall der Preise. Gleichzeitig entwickelte sich die Nachfrage nach Spezialchips vor allem für die TK-Industrie, die Unterhaltungselektronik oder den Automobilbereich zäher als erwartet. Das Übrige tat schließlich die Asienkrise. Keiner der unter den Top Ten der Weltliga platzierten Hersteller blieb vom Markteinbruch verschont. Halbfertige Werke wurden nicht weitergebaut, neue Fabriken geschlossen. Spektakulärstes Beispiel war Siemens. Mit großem Aufwand und Pomp hatten die Münchner 1997 eine moderne Halbleiterfabrik in britischen North Tyneside eröffnet und 1100 Arbeitsplätze geschaffen.

Ein Jahr später war sie nicht mehr zu halten. Das Werk wurde geschlossen, die Leute entlassen, rund zwei Milliarden Mark waren in den Sand gesetzt.

Am schlimmsten aber erwischte es die japanischen Elektronikriesen, deren Hauptumsatzbringer das Massenspeichergeschäft ist. Bei ihnen waren Umsatzeinbrüche von durchweg mehr als 20 Prozent die Regel. Teilweise kam man sogar in die roten Zahlen (Toshiba). Manch einer der US-Branchenveteranen mag sich insgeheim darüber gefreut haben - waren es doch gerade NEC, Hitachi, Toshiba & Co., die 1985 mit rüden Preisdumping-Praktiken für Turbulenzen im Markt gesorgt hatten. Reihenweise mussten US-Produzenten damals das Handtuch werfen. Auch Intel, Mikroprozessorkrösus und unangefochtene Nummer eins im weltweiten Halbleitermarkt, stieg seinerzeit aus der Produktion von Memory-Chips aus.

Jetzt aber stehen die Zeichen wieder auf Aufbruch. Schon im Laufe des vergangenen Jahres zeigte sich der weltweite Halbleitermarkt deutlich erholt. Die jüngste SIA-Prognose geht für 1999 von einem Wachstum um 15 Prozent auf rund 144 Milliarden Dollar aus. Dabei war das Geschäft mit Speicherbausteinen erneut von starken Preisschwankungen geprägt. So sackte der Preis für einen 64-Megabit-Chip in den Sommermonaten August und September auf nur noch vier Dollar ab. Für die Hersteller war damit, wie Ulrich Schumacher, Vorstandschef der mittlerweile ausgegliederten Siemens-Tochter Infineon Technologies, betont, die Schmerzgrenze überschritten: "Kein Chipproduzent hat damals Geld verdient." Und wer weiß, wie die Konzernbilanz 1999 diverser Anbieter ausgesehen hätte, wäre Taiwan nicht Ende September von einem heftigen Erdbeben heimgesucht worden. Die nach der Naturkatastrophe auf dem Inselstaat ursprünglich befürchtete weltweite Verknappung von Speicherchips, die dann aber doch nicht eintrat, führte zu Hamsterkäufen und damit zu wieder steigenden Preisen. Im Dezember pendelte sich der Preis für 64-Megabit-Chips zwischen neun und zehn Dollar ein.

Kaum aus dem Gröbsten raus, schlagen deshalb viele der zuletzt leidgeprüften Chipgiganten wieder andere Töne an. "Das Jahr 2000 wird das Comeback der Halbleiterindustrie erleben", haute bereits im November Brian Halla, Chef von National Semiconductor (Natsemi), aufs Blech. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Marktforscher aller Couleur bescheinigen sämtlichen Segmenten des Halbleitermarkts dank der immer intensiveren Internet-Nutzung und dem Boom bei Mobilfunkgeräten wieder einmal Wachstum ohne Ende. Neben den Speicherchips und den gewohnt absatzträchtigen Mikroprozessoren dürften dabei vor allem die Kommunikationschips, auch Digital-Signal-Prozessoren (DSP) genannt, kräftig profitieren.

Zu blindem Aktionismus - sprich: ungezügelter Akquisitionstätigkeit - haben sich die Halbleiterriesen bislang dennoch nicht hinreißen lassen. Offenbar hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und sucht nun sein Heil in Kooperationen. Allen voran die Japaner: So kooperieren Hitachi und NEC künftig bei der Entwicklung neuer Speicherchips. Einen ähnlichen Deal vereinbarten Toshiba und Fujitsu. Ausnahme Taiwan: Dort versuchen es die einschlägigen Produzenten mit Fusionen. So hat sich der landesweit führende Halbleiterhersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) mit der jüngsten Übernahme von Worldwide Semiconductor Manufacturing nicht nur einen Kontrahenten vom Hals geschafft, sondern auch seine Fertigungskapazitäten erweitert. Auch der zuletzt angeschlagene Philips-Konzern hat sich mit VLSI einen US-Wettbewerber einverleibt. Ungeachtet der von Unternehmenschef Cor Boonstra eingeleiteten Restrukturierung gehören die Felder Halbleiter und Bauelemente weiter zum Kerngeschäft, heißt es bei den Niederländern, die sich in diesem Marktsegment sogar noch weitere Übernahmen vorstellen können.

Probates Mittel fast aller Hersteller war es zuletzt auch, die Produktpalette zu bereinigen und sich auf alte Stärken zu besinnen. Natsemi beispielsweise zog im Sommer vergangenen Jahres den 1997 zugekauften Mikroprozessor-Spezialisten Cyrix aus dem PC-Geschäft zurück, nachdem man sich im Wettbewerb mit Intel und Advanced Micro Devices (AMD) förmlich zerrieben hatte und hohe Verluste ausweisen musste. Seither konzentrieren sich die Kalifornier auf Chips, die unter anderem Anwendung in Settop-Boxen, Internet-Zugangsgeräten und Handys finden. Texas Instruments wiederum verscherbelte seine DRAM-Chip-Aktivitäten an Micron Technology und richtet sein ganzes Augenmerk nunmehr auf den DSP-Bereich.

Selbst Chipriese Intel hat sich neu aufgestellt. 1999 ging die Andrew-Grove-Company in der Kommunikationsindustrie kräftig auf Einkaufstour. Der Grund: Künftig will man auch bei Kommunikationsbausteinen den Ton angeben. Wichtigster Schachzug war dabei die Übernahme von Level One. Der Netzwerkprozessor dieses Herstellers bildet das Herzstück von Intels neuer Internet Exchange Architecture zur Entwicklung zeitgemäßer Netz- und TK-Ausrüstungen. Die Suche nach neuen Standbeinen beim Marktführer kommt nicht von ungefähr. Die Kalifornier können in Zukunft nicht ausschließlich auf ihre Vormachtstellung im PC-Geschäft vertrauen. Zum einen schrumpfen die Margen dort stetig. Der PC-Markt, da sind sich Marktbeobachter einig, steht weltweit vor einer Sättigungsphase. Zum anderen schickt sich Erzrivale AMD mit seiner neuen Prozessorgeneration "Athlon" einmal mehr an, Intel Paroli zu bieten.

Bleibt die Frage nach den europäischen Halbleiterherstellern - allen voran Infineon. Im Gegensatz zu ihren japanischen und US-amerikanischen Mitstreitern konnten sowohl Philips als auch ST Microelectronics und Siemens im Krisenjahr 1998 Umsatzsteigerungen vorweisen - getrieben durch ein starkes europäisches PC- und Mobilfunkgeschäft. Dafür brachen die Gewinne ein - vor allem in der Halbleitersparte von Siemens. Im Geschäftsjahr 1997/98 musste Vorstandschef Heinrich von Pierer den Aktionären für den damals noch als Geschäftsfeld im Konzern angesiedelten Chipbereich einen Nettoverlust von 790 Millionen Mark beichten. Von Pierer geriet mächtig unter Beschuss, zog die Notbremse und schickte im April 1999 Infineon in die Selbstständigkeit mit dem Ziel, die Tochter spätestens im Frühjahr 2000 an die Börse zu bringen.

Die neue Freiheit ist Infineon bislang gut bekommen. Auf der ersten Bilanzpressekonferenz als eigenständiges Unternehmen im Dezember 1999 wollten die Erfolgsmeldungen nicht abreißen. So steigerte sich Infineon im Geschäftsjahr 1998/99 beim Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 33 Prozent von 3,2 auf 4,2 Milliarden Euro und wuchs damit doppelt so schnell wie der Gesamtmarkt. Der Auftragseingang legte gar um 43 Prozent auf knapp 4,9 Milliarden Euro zu. Die roten Zahlen sind passé, wenngleich mit den erzielten 69 Millionen Euro noch kein Blumentopf zu gewinnen ist und die Business Unit Speicherbausteine noch im Minus steckt. Aber: Infineon ist nach vorläufigen Berechnungen des Marktforschungsinstituts IC Insight auf Platz acht geklettert und hat sein zuletzt verlorenes Ranking unter den Top Ten zurückerobert.

Fast noch wichtiger scheint aber zu sein, dass es den Münchnern quer durch alle Marktsegmente gelungen ist, langfristige strategische Partnerschaften und Lieferbeziehungen aufzubauen. Ein Credo, das in der gesamten Branche immer wichtiger werden zu scheint. Infineon ist beispielsweise bei Halbleitern für die Mobilkommunikation Lieferant aller großer Handy-Hersteller, vor allem für Nokia. Im Bereich der Automobil- und Industrieelektronik kann man sich mit Namen wie Daimler-Chrysler, BMW, VW, Audi oder Bosch und natürlich der Konzernmutter Siemens schmücken. Zusammen mit Motorola wurde die Fertigungstechnik für 30-Millimeter-Wafer entwickelt, die signifikante Kostenvorteile verspricht. Mit IBM betreibt man zu je 50 Prozent das Joint Venture Altis Semiconductor, das im französischen Werk Corbeil-Essonnes mittlerweile Logikbausteine fertigt.

Doch bleiben Unsicherheiten in diesem von jeher stark von Angebot und Nachfrage abhängigen Markt, dessen riesige Schwankungen in Anlehnung an die Landwirtschaft respektlos "Schweinezyklus" genannt werden. Zwar wird Infineon wie alle übrigen Wettbewerber von der neuen Aufschwungphase kräftig profitieren, dennoch dürfte sich einmal mehr die Spreu vom Weizen spätestens dann trennen, wenn es darum geht, die hohe Nachfrage nach Chips kosteneffizient zu befriedigen.

DATAQUEST-PROGNOSE

Optimistisch in Sachen weltweites Halbleitergeschäft gibt sich auch das US-Marktforschungsunternehmen Dataquest. Nach inoffiziellen Schätzungen - eine entsprechende Studie wird in Kürze veröffentlicht - gehen die Auguren in diesem Jahr von einem Marktwachstum zwischen 17 und 18 Prozent auf ein Volumen von über 160 Milliarden Dollar aus. Neben dem Boom bei neuen Kommunikationschips werde sich dabei auch das Business mit traditionellen Speicherbausteinen nachhaltig erholen und somit zu einer guten Geschäftsentwicklung der Hersteller beitragen, heißt es weiter. Auch in den kommenden Jahren dürfte sich dieser Trend "stabilisieren". In ihrer Rückschau auf 1999 präsentieren die Auguren wenig Neues: So gelang es Intel, seine führende Position zu behaupten, gefolgt von NEC, Toshiba und Texas Instruments. Das mit Abstand größte Wachstum (50 Prozent) konnte allerdings Samsung verbuchen.

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.