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Internet-Überwachung: In den Niederlanden ist nicht alles liberal

07.04.2004

In Deutschland wird heftig über die Möglichkeiten der Exekutive bei der Überwachung von Kriminellen nachgedacht. Eine Rechtsprechung, die den Strafverfolgungsbehörden vergleichsweise weit gehend freie Hand bei der Observierung von Telefonaten etc. ließ, hat der Bundesgerichtshof erst vor kurzem kassiert und Modifikationen der Rechtsprechung gefordert. In den Niederlanden scheint man da sehr viel weniger zimperlich zu sein. Dort hat die Polizei große Freiheiten, auch im Internet die Bürger zu überwachen und zu verfolgen.

Einmal mehr ins Gedächtnis gerufen wurden die vielfältigen Verfolgungsoptionen der niederländischen Exekutive, als im vergangenen Jahr Frans van Laarhoven der Polizei ins Netz ging. Laarhoven hatte die Bevölkerung über Wochen in Atem gehalten mit seinen Drohungen, Joghurt in Supermärkten zu vergiften. Schließlich hatte er Lösegeldforderungen an den Lebensmittelkonzern Campina gestellt. Die Übergabe dachte sich Laarhoven scheinbar ausgefuchst aus, indem er das Internet als Kommunikationsmittel zwischen ihm und der Polizei nutzte: Laarhoven wollte, dass die Behörden ein Bankkonto einrichteten, von dem er das Lösegeld abheben würde. Alle Informationen hierzu sollte die Polizei in einer Volkswagen-Golf-Werbung verstecken, die in eine Online-Anzeige eingearbeitet wurde. Die Informationen sollten die Übergabekonditionen darlegen.

Um seiner habhaft zu werden, holte sich die Polizei von möglichen Internetprovidern Listen mit den Internet-Adressen (IP) der Surfer, die die Werbung angeklickt hatten. Eher durch Zufall erwischte die Polizei Laarhoven, der über den US-amerikanischen Service-Provider Surfola.com kommend die präparierte Golf-Werbung herunter geladen hatte. Surfola ist einer der Provider, der es seinen Mitgliedern erlaubt, ihre Online-Identität anonym zu halten. Laarhoven hatte zur Bedingung gemacht, dass die Polizei die Informationen auf der in den Niederlanden sehr beliebten Internetseite von AutoTelegraaf platzieren müsse. Nachdem die Polizei seine Identität aufgedeckt hatte, überwachte sie ihn so lange, bis Laarhoven begann, Geld von dem abgesprochenen Konto abzuheben. Dann schlug die Polizei zu.

Die Episode machte den Bürgern im Nachbarland einmal mehr klar, dass in den Niederlanden jede Polizeidienststelle eine Überwachung des Internet bei der Justiz beantragen kann, um alle örtlichen Internet Service Provider (ISP) zur Mitarbeit bei Schnüffelaktionen aufzufordern. Im beschrieben Fall hätte die Polizei theoretisch jeden niederländischen Internetsurfer überwachen dürfen, der auf die Web-Anzeige des Golfs von Volkswagen klickte.

Die Regierung hatte 1998 ein neues Gesetz eingebracht, dass ISPs zwingt, Überwachungssoftware auf ihren Rechnern zu installieren, auf die die Polizei zugreifen kann. Seinerzeit hatte es deswegen heftige Diskussionen nicht nur von Menschenrechtsgruppierungen gegeben. Die weitgehenden Überwachungsbefugnisse waren in der Öffentlichkeit sehr umstritten. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 flaute der öffentliche Diskurs aber merklich ab.

In Deutschland sind die Bestimmungen noch nicht so weit gediehen wie in den Niederlanden. Zwei Bundesländer erst haben der Polizei ähnliche Internet-Überwachungsbefugnisse eingeräumt wie bei den Nachbarn. Allerdings gibt es auch in den restlichen Bundesländern Überlegungen, die Rechtsprechung zu ändern.

Die Niederlande haben in Sachen Überwachung auch in anderer Hinsicht bereits eine lange Historie: Bereits seit den 70er Jahren, schreibt das "Wall Street Journal", observieren die Exekutivorgane die Telefone von inkriminierten Bürgern ab. Das US-Wirtschaftsblatt zitiert Behörden mit der Angabe, pro Jahr würden in den Niederlanden rund 10.000 Telefonate abgehört. Dies bei einer Gesamtbevölkerung von 16 Millionen Menschen. (jm)