Internet-Telefonie bedroht TK-Jobs

17.02.2006
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.
Im Zuge von Voice over IP (VoIP) verschieben sich die Anforderungen im TK-Arbeitsmarkt: Die Anbieter brauchen mehr Mitarbeiter in Marketing und Vertrieb, während Techniker um ihre Stelle fürchten müssen.

Das Telefonieren über das Internet ist derzeit eines der großen Themen der IT- und TK-Branche. Laut einer Studie von Deloitte Consulting nutzen rund 14 Prozent der deutschen Unternehmen die VoIP-Technologie, die auf Basis des Internet Protocol die Sprachübertragung über ein paketvermitteltes Datennetz erlaubt. Das Potenzial der Privatanwender, die ihren Festnetzanschluss zugunsten eines Breitbandanschlusses mit VoIP kündigen könnten, liegt den Marktforschern zufolge bei rund 30 Prozent, Tendenz steigend.

VoIP-Strategien von Unternehmen

Keine derzeitige Nutzung, aber Prüfung aller anstehenden Investitionen auf eine zukünftige VoIP-Verträglichkeit.

Einsparungen durch VoIP (Quick Wins) ohne langfristige Entscheidung für oder gegen VoIP.

Vollständige Umstellung auf VoIP, in der Regel durch schrittweise Migration.

Externe Lösung: Das Unternehmen lässt die IP PBX (PBX = Private Branch Exchange, das heißt Nebenstellenanlage) extern durch einen Dienstleister betreiben. Hier gibt es zwei Varianten: Hosted IP PBX oder IP Centrex. Beim Hosted IP PBX bekommt jeder Kunde eine individuelle, physische IP PBX im Netz des VoIP-Anbieters zugewiesen. Bei IP Centrex stellt der VoIP-Anbieter seine Dienste auf der Basis einer mandantenfähigen Software zur Verfügung, sprich es gibt eine gemeinsame Infrastruktur für viele Unternehmen. Die Kunden haben keine eigene physische PBX. Quelle: Berlecon

Hier lesen Sie …

• warum Voice over IP bestimmte Tätigkeiten überflüssig macht;

• welche Mitarbeiter VoIP-Anbieter suchen;

• wie die Internet-Telefonie klassische Festnetzanbieter unter Druck setzt.

• was gefährdete Mitarbeiter tun können, um sich weiterzubilden.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/go/

566596: Potenziale und Risiken von VoIP;

565679: VoIP mischt Festnetztelefonie auf;

564691: IP-Telefonie erobert Unternehmensnetze.

Dan Bieler, Analyst bei der Beratungsfirma Ovum, bestätigt diesen Trend: "Konvergente Dienstleistungen werden künftig sehr wichtig, da der Sprach- und Datenverkehr zusammenwachsen und langfristig über ein einziges Netz verlaufen wird. Die Unternehmen investieren daher immer mehr in VoIP und IP-VPN (Virtual Private Network)." Deutschland befindet sich im internationalen Vergleich noch weit hinten, so Bieler, in den nächsten beiden Jahren sind aber hohe Wachstumsraten zu erwarten.

Das gleiche Bild ergab eine Umfrage der computerwoche unter Unternehmen, die im VoIP-Markt tätig sind, darunter Telefónica Deutschland, Colt Telecom, T-Online und Cisco. Sie alle rechnen mit einem Umsatzwachstum, das mit einer Neueinstellung von Mitarbeitern verbunden sein wird. Die Prognosen sind allerdings eher verhalten, keines der Unternehmen will sich auf genaue Zahlen festlegen.

Für den Netzwerkanbieter Cisco ist IP-Kommunikation ein interessanter Markt. "Wir wachsen in diesem Bereich, und mit den Umsätzen erhöht sich auch die Zahl der Beschäftigten", erklärt das Unternehmen lapidar. Gesucht würden Mitarbeiter im VoIP-Vertrieb und in der technischen Vertriebsunterstützung, die Qualifikationen aus der Netzwerkwelt mitbringen.

Mehr Umsatz = mehr Mitarbeiter

Auch Colt Telecom hat wegen VoIP Mitarbeiter eingestellt. Es betreibt als Dienstleister die Telefonanlagen seiner Kunden, die diese ausgelagert haben. Die neuen Kollegen sind Marketing-Leute, Produkt-Manager und technische Berater, die VoIP einführen können und sich zudem in der alten TK-Welt auskennen, formuliert Colt seine Anforderungen.

Einer der wichtigsten VoIP-Anbieter auf dem deutschen Markt mit eigenem Backbone ist die spanische Telefónica. Das Unternehmen vermietet sein Netz an Internet-Service-Provider und bietet zugleich für Firmenkunden Virtual Private Networks (VPN), Mehrwertdienste und VoIP an. Telefónica Deutschland sieht sich gut gerüstet für die künftige VoIP-Welt und schätzt, dass der Markt weiter wachsen wird. "2006 werden vor allem mittelständische Betriebe verstärkt von ISDN auf VoIP umstellen. Wenn der Markt wächst, werden wir sicher auch weitere Stellen schaffen", prophezeit Firmensprecher Albert Fetsch.

Ein Spezialfall ist die Deutsche Telekom. Hier besteht durchaus die Gefahr, dass das klassische Telefonieangebot der Festnetzsparte T-Com durch die VoIP-Strategie der Konzernschwester T-Online kannibalisiert wird. Denn T-Online spürt eine immer stärkere Nachfrage nach VoIP-Dienstleistungen und hat dafür auch neue Arbeitsplätze geschaffen. "Wir haben in unserer Access-Abteilung ein gutes Expertenteam aus TK-, Netzwerk- und IT-Spezialisten beisammen, das für die steigende Nachfrage gerüstet ist", freut sich der T-Online-Experte Martin Frommhold. Bei Prognosen mahnt er zur Vorsicht: "VoIP ist ein evolutionärer Markt und bietet eine gute Alternative zum klassischen Festnetz, ist aber kein Ersatz."

Festnetztelefonie unter Druck

Doch VoIP setzt die klassische Festnetztelefonie unter Druck. So steht T-Com stark unter Kostendruck durch Mobilfunk, alternative Carrier sowie seit neuestem auch VoIP-Anbieter wie Skype, Sipgate oder auch AOL und Freenet als Internet-Service-Provider, die breitbandige Festnetzdienste anbieten wollen. Das schlägt sich in einem drastischen Personalumbau nieder. Um effizienter zu werden, will T-Com in den nächsten drei Jahren 19 000 Stellen abbauen.

"Der Stellenabbau hat aber nichts mit der Technik für das IP-basierende Next Generation Network zu tun", stellt T-Com-Mann Mark Nierwettberg klar. Hintergrund: Die Telekom baut derzeit ein neues, auf Glasfaserleitungen basierendes Breitbandnetz auf, das dank hoher Übertragungsraten von bis zu 50 Mbit/s (herkömmliches DSL: 1 bis 6 Mbit/s) hervorragend für konvergente Daten und TK-Dienste geeignet wäre. Es erweitert das Spektrum der Anwendungen und reduziert die Kosten. Andererseits senkt die neue Technik auch den technischen Wartungs- und Verwaltungsaufwand für die Infrastruktur drastisch und macht bestimmte Tätigkeiten überflüssig.

Wartung wird billiger

"Durch VoIP fallen wohl vor allem die Arbeitsplätze weg, die eng mit der Funktion klassischer TK-Anlagen verbunden sind", analysiert Thorsten Wichmann, Geschäftsführer der Marktforschung Berlecon Research. Seiner Meinung nach versprechen IP-basierende TK-Anlagen deutliche Kosteneinsparungen bei der Wartung und auch bei so genannten MACs (Moves, Adds, Changes). "Die Supporter müssen etwa bei einem Umzug eines Mitarbeiters keine Telefonleitungen mehr neu schalten, keine Telefone von Technikern anschließen und keine kryptischen Befehle in TK-Anlagen eingeben. Die IP-Adresse ist nach dem Einstöpseln am neuen Ort sehr schnell zugewiesen", so Wichmann weiter.

Eine Gefahr bestehe vor allem für den Arbeitsplatz von TK-Technikern, die einfache Dienstleistungen verrichten. Der Berlecon-Geschäftsführer geht davon aus, dass in den Unternehmen mittelfristig zahlreiche technisch orientierte Arbeitsplätze der TK-Abteilungen wegfallen, wenn nicht sogar die ganze Abteilung. Für Fetsch von Telefónica ist der Arbeitskräftebedarf abhängig von der Art der VoIP-Lösung, die ein Unternehmen wählt, also Managed-Lösung mit komplettem Outsourcing, interne Lösung, Umstieg auf VoIP oder eine Hybridlösung, bei der Elemente aus der alten TK-Welt mit VoIP parallel bestehen. "Im Falle einer Auslagerung betreibt der Provider die TK-Anlage, so dass in der TK-Abteilung im Unternehmen Arbeitsplätze wegfallen", so Fetsch.

Ovum-Analyst Bieler sieht für diese Mitarbeiter einen Ausweg: "Bei einer Auslagerung kann es sein, dass der Dienstleister Mitarbeiter aus der TK-Abteilung des Unternehmens übernimmt." Niemand könne genau sagen, wie viele Arbeitsplätze dadurch wegfallen.

Neue Berufsbilder

Durch das Ziel der Konvergenz, bei der die komplette Daten- und Sprachkommunikation über ein gemeinsames Netz abläuft, komme es aber auf jeden Fall zu Verschiebungen in der TK-Abteilung. Zu rechnen sei mit einer Transformation von Arbeitsplätzen: Mitarbeiter, die bislang für klassische TK-Anlagen zuständig sind, wechseln in die IT-Abteilung und sind dort für VoIP zuständig. Zudem fallen alte Berufsbilder weg und neue entstehen.

"Ein Arbeitnehmer aus dem klassischen TK-Geschäft wird gefordert sein, sich weiterzubilden, um in die Sprach-Daten-Integration hineinwachsen zu können", heißt es bei Cisco. Zusätzliches Wissen in der VoIP-Technologie hilft demnach, den Arbeitsplatz zu sichern. Themen sind Vor- und Nachteile bestimmter Codecs zur Umwandlung der Sprache in digitale Daten oder Strategien zur Bekämpfung von Spit (Spam over IP Technology).

Marktforscher Wichmann warnt aber davor, bei der Weiterbildung den Akzent nur auf die technische Seite von VoIP zu setzen: "Denn bei der Migration von klassischer TK auf VoIP sind Entscheidungen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffen, unter anderem die klassische Kosten-Nutzen-Abwägung oder Fragen des Return on Investment. Wer solche betriebswirtschaftlichen Fragen mit technologischem Hintergrund beantworten kann, hat auch Chancen, von dem anstehenden Technologiewechsel zu VoIP persönlich zu profitieren." (hk)