Praxistauglichkeit sprach für ISO/OSI-Opponenten

Internet-Protokoll TCP/IP wird 20 Jahre alt

10.01.2003
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
MÜNCHEN (CW) - Eher im Stillen erlebte in den ersten Januartagen vor 20 Jahren ein Protokoll seine Feuertaufe, das später die gesamte Kommunikationsbranche revolutionieren sollte: TCP/IP. In der Version 4 prägt das Protokoll heute das Internet wie auch Unternehmensnetze.

Das Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) löste im Januar 1983 im damaligen Internet-Vorläufer Arpanet das bislang gebräuchliche Network Core Protocol (NCP) ab. Der Protokollwechsel im Arpanet markierte 1983 einen vorläufigen Höhepunkt in der Entwicklung von TCP/IP, an dem die Forscher bereits seit 1974 arbeiteten. An den heutigen Erfolg des Protokolls im Internet und Intranet wagte die Gruppe um die TCP/IP-Väter Vinton Cerf und Robert Kahn damals gar nicht zu denken. Sie wollten schlicht und einfach ein maschinenunabhängiges Protokoll für die Rechnerkommunikation entwickeln.

Bei dieser Arbeit sah sich das Entwicklerteam mit einer fast übermächtigen Konkurrenz konfrontiert. Denn 1977 hatte die International Organization for Standardization (ISO) ein siebenschichtiges Modell zur Open Systems Interconnection (OSI-Modell) verabschiedet. In der Folge arbeiteten alle namhaften IT- und TK-Unternehmen mit Nachdruck daran, in Form des OSI Protocol einen Standard für die offene Kommunikation zwischen Computernetzen zu etablieren. Angesichts dieser massiven Anstrengungen seitens der Industrie räumten damals viele Branchenkenner TCP/IP lediglich eine Überlebensdauer von drei bis vier Jahren ein.

Besonders die Europäer investierten in den 80er Jahren viel Geld und Zeit in den OSI-Traum einer offenen Kommunikation, die auf einem Protokoll mit dem Segen der Standardisierungsorganisation basiert. TCP/IP mit seiner eher anarchistischen Weiterentwicklung in Form von RFCs (Requests for Comments), die via E-Mails unter den Beteiligten ausgetauscht wurden, haftete dagegen bei ernsthaften Netzwerkern der Ruf des Chaotischen an. Noch Anfang der 90er Jahre wurden hierzulande TCP/IP-Verfechter wie etwa die Deutsche Interessengemeinschaft Internet (Digi) als akademische Spinner belächelt. Doch während die OSI-Befürworter in endlosen Gremiensitzungen an Konferenzorten rund um den Globus jede noch so kleine Feinheit einer offenen Kommunikation spezifizieren wollten, reifte TCP/IP in der Praxis heran. Der endgültige Durchbruch für TCP/IP kam dann Mitte der 90er Jahre, als mit dem Browser "Mosaic" und der Seitenbeschreibungssprache HTML ein für die Massenkommunikation geeigneter Service zur Verfügung stand.

Nach 20 Jahren im Alltagsdienst zeigt der Jubilar TCP/IP in der aktuellen Version 4 allerdings Ermüdungserscheinungen: So gehen die Netzadressen aus, und das Protokoll wird den Anforderungen an eine Echtzeitübertragung von Sprache und Video nur bedingt gerecht. Mit der Weiterentwicklung von TCP/IPv6 dürfte das Geburtstagskind jedoch gute Chancen haben, auch das nächste Jubiläum zu feiern. (hi)