IT in Versicherungen

Internet macht Umbau der Strukturen zwingend

09.12.1998
Fusionen, Produktvielfalt und der Einfluß neuer Technologien - allen voran das Internet -, dies sind die Hauptthemen, mit denen sich IT-Manager der Versicherungswirtschaft derzeit auseinandersetzen müssen. Manfred Feilmeier* skizziert Probleme und Veränderungspotential.

Nur wenige Branchen haben in den vergangenen Jahren eine so drastische Veränderung ihres Geschäfts erfahren müssen wie die Versicherungswirtschaft. Drei Bereiche wandelten sich grundlegend:

-Mit der Liberalisierung und der Deregulierung dieses Markts entstand ein komplett neues Umfeld. Wettbewerb und Kunden zwingen jetzt zu einer wesentlich größeren Produktflexibilität, die sowohl Auswirkungen auf den Lebenszyklus des Produkts als auch auf die "Time-to-Market" und die Produktverwaltung hat.

-Fusionen bestimmen heute die Schlagzeilen, "Economies of Scale" verlangen immer größere Unternehmen.

-Die dritte große Veränderungswelle wurde und wird durch den technologischen Wandel und die damit verbundenen neuen Prozesse und deren aktive Steuerung ausgelöst.

Jenseits von Euro und Jahr 2000 sind es vor allem diese drei Themenbereiche, von denen die Informationstechnologie der Versicherungen derzeit massiv beeinflußt wird.

"One size fits all" - was noch bis vor wenigen Jahren für viele Versicherungsprodukte galt, ist mehr und mehr Vergangenheit. Wir erinnern uns: Im regulierten Markt war eine Differenzierung durch Produkte nicht oder nur schwer möglich, der Geschäftserfolg beruhte damals im wesentlichen auf der Zugkraft des Unternehmensimages und der Effizienz der Vertriebskanäle. Für definierte Zielgruppen wurden in aller Ruhe im Rahmen der durch die Aufsicht gesteckten Spielräume Tarife entworfen, die dazugehörigen Systeme programmiert und die fertigen Tarife dann über die Vertriebseinheiten plaziert.

Zwei voneinander unabhängige, aber fast parallele Entwicklungen haben heute diese Rahmenbedingungen eklatant verändert. Mit der Liberalisierung der Versicherungsmärkte entfiel der Zwang zur Gleichheit der Versicherungsprodukte, eine theoretisch unendlich große Zahl an Varianten ist jetzt möglich.

Gleichzeitig begann sich das Konsumentenverhalten auch bei Versicherungen grundlegend zu wandeln. Die Zeit der relativ homogenen Zielgruppen ist vorbei. Durch die völlig heterogenen Anforderungen und Bedürfnisse in selbst kleinsten statistischen Einheiten ist eine sinnvolle Definition von Produkten für Zielgruppen immer weniger möglich. Im Extremfall heißt das heute oder in naher Zukunft, daß ein spezifisches Produkt nur für einen einzelnen Kunden existiert und auch einzelvertraglich entsprechend geprüft und verwaltet werden muß.

Dieser Umstand stellt Extremforderungen an die heutige IT und wirft die grundsätzliche Frage nach der Beherrschbarkeit der DV auf. Die beiden heute diskutierten Lösungsansätze, einerseits die Steuerung über die Daten, andererseits die Nutzung abstrakter Modelle, können einen relativ niedrigen Grad an Funktionalität - beispielsweise bei Sachversicherungen - gut abdecken, stoßen aber bei erforderlicher hoher Funktionalität wie bei Lebensversicherungen an ihre Grenzen.

Die Funktionalität der Produktentwicklung kapseln

Wem es hier gelingt, bei der Produktentwicklung mit qualitativ anspruchsvollen Produkten schnell zu agieren, wird den heutigen Versicherungskunden auf seine Seite ziehen. Schnelligkeit, Flexibilität und individuelle Bedarfsorientierung garantieren den entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Ein mittlerweile in der Versicherungswirtschaft allgemein anerkannter Lösungsansatz ist beispielsweise die Kapselung der Produktentwicklungs-funktionalität in einem zentralen Server, die es erlaubt, Produkte datenbankgestützt zu definieren und sie anschließend aus verschiedenen erfolgsrelevanten Blickwinkeln zu analysieren.

Die wirtschaftliche Analyse, unter anderem des Cash-flow, durch Profit-Tests ferner der Auswirkungen des vorgegebenen Neugeschäfts auf Bilanz und GuV wird so ebenso problemlos möglich wie die Analyse aus Kundensicht oder aus dem Blickwinkel der Versicherungsmathematik. Auch ein Wettbewerbsvergleich von Produkteigenschaften ist möglich.

Vor allem der direkte Zugriff auf operative Produktsysteme und die damit verbundene Durchgängigkeit machen ein ausgereiftes System zu einem professionellen Instrument einer Produktentwicklung, die iterative Prozesse verkürzt und schnell sowie mit hoher Qualität auf das eingehen kann, was der Kunde wirklich will.

Eine der Reaktionen auf den zusehends steigenden Wettbewerbs-, Markt- und Kostendruck ist die Konzernbildung. Im Rahmen von Fusionen wird die DV-Problematik oftmals direkt und ausschließlich auf das Zusammenführen der Systeme, primär unter Kostenaspekten, beschränkt. Wichtiger aber ist die Frage, ob es nicht über die Kostenersparnis hinaus weitere Ziele geben muß, die erst den Weg zur optimalen Lösung weisen.

So unterscheiden sich die Ausgangslagen ganz wesentlich, je nachdem ob es sich um einen neugebildeten Konzern handelt, ob der Konzern selbst wächst oder ob man bei stagnierendem Wachstum die Informationstechnologie zur Neustrukturierung des Geschäfts nutzt. Mit der Zielsetzung, eine konzernweite Produktpolitik einzuführen, kann und muß eine gänzlich andere Vorgehensweise gewählt werden, als wenn das Ziel beispielsweise heißt, zur Optimierung der DV-Infrastruktur in bezug auf Pflege, Wartung und verfügbare Ressourcen die Verwaltungssysteme zu vereinheitlichen.

Viel entscheidender für den Fusionserfolg ist jedoch, ob es zu einem "Kampf der Systeme" kommt oder ob die unterschiedlichen Welten konstruktiv genutzt werden. Will man aktives Kapital aus einer nun zur Verfügung stehenden größeren DV-Einheit ziehen, um Wettbewerbsvorteile für die Zukunft zu erreichen, stellen sich Fragen wie:

-Wie lernt und nutzt man verteilte Arbeitsweisen?

-Nutze ich meine DV auf Holding-Ebene oder operativ, oder gliedere ich die DV komplett aus?

-Wie löse ich die entstehenden menschlichen und sozialen Probleme?

Vor allem die Fähigkeit, dezentrale Organisationen über die IT effizient zu managen, wird eine der zentralen Herausforderungen, die vor allem große Konzerne lösen müssen, wenn ihnen die neue Größe nicht zum Hindernis werden soll.

Neben den Veränderungen im Markt sind es neue Technologien, die das Versicherungsgeschäft ganz entscheidend beeinflussen werden. Sogenannte disruptive Technologien wie das Internet machen auch vor altbewährten Geschäftsprozessen nicht halt und zwingen die Assekuranz zum Umbau von Strukturen. Heute kann und muß etwa das Internet auch für Versicherungen mehr sein als nur eine Kommunikations- und Imageplattform. Mit Hilfe effizient eingesetzter Internet-Technologie lassen sich Geschäftsprozesse kundennah an den Point of Service verlagern. Versicherungsvertrieb über das Web ist dabei ein Aspekt; Self-Service-Funktionalitäten wie Abfragemöglichkeiten zu Schadensregulierungen oder Rückkaufwert sind andere Beispiele, wie sich Versicherungen über den Service vom Wettbewerb abheben können.

Innovative Internet-Technologien können mit verhältnismäßig geringem Aufwand und Zeitbedarf als eine effektive POS-Steuerung in ein Versicherungsunternehmen implantiert werden. Java und Internet gehört die Zukunft im kundenorientierten Prozeß-Management.

Die Integration von Computer und Telefonie bietet Versicherungen ebenfalls die Möglichkeit, einen Sprung nach vorn zu machen. Im Bereich der telefonischen Kundenbetreuung und Akquisition ist ebenfalls ein technologisch verursachter Bewußtseinswandel zu bemerken: Die Aufgabe von Call-Centern besteht nicht mehr nur in der Abwicklung einer möglichst hohen Anzahl von Telefonanrufen. Vielmehr rückt die Interaktion mit dem Kunden immer stärker in den Vordergrund. Softwarelösungen, die Informationen aus DV-Systemen direkt an die Arbeitsplätze der Agenten bringen, unterstützen den gesamten Kundenzyklus von der Akquise bis zur After-sales-Betreuung.

Durch die Verfügbarkeit dieser neuen technologischen Möglichkeiten ist heute ein schon lange formuliertes Ziel der Versicherungswirtschaft realisierbar: Die Trennung zwischen Innendienst- und Außendienstsystemen läßt sich bei vernünftigen Kosten mehr und mehr aufheben.

IT-Manager, die angesichts dieser Herausforderungen nach Lösungswegen suchen, müssen sich vor allem mit drei Aspekten auseinandersetzen:

Auf der Suche nach Lösungen steht der Einsatz eines Standardprodukts häufig an erster Stelle. Stellt man das Unternehmensziel voran, ist hier eine differenzierte Betrachtung nötig: Selbstverständlich ist Standardsoftware die richtige Lösung für nicht oder wenig wettbewerbskritische Bereiche. Wer würde heute ein System für Finanzbuchhaltung oder Rechnungswesen denn noch selbst entwickeln? Für einen solchen wettbewerbsseitig völlig unkritischen, standardisierten Bereich ist eine Standardlösung die richtige Wahl.

Das Customizing immer wieder neu optimieren

Prinzipiell denkbar sind natürlich auch Standardprodukte für wettbewerbssensible Bereiche. Die Frage stellt sich, wie dabei dann die Kosten-Nutzen- und die Sicherheitsrelation aussieht, vor allem aber, wie sich damit die unternehmerischen Ziele unterstützen lassen. Die Erfahrung der Versicherungsbranche zeigt deutlich, daß in unternehmenskritischen Bereichen, wenn es also wirklich um die Schaffung und den Ausbau von Wettbewerbsvorteilen geht, ein Standardprodukt nur erfolgreich eingesetzt werden kann, wenn es professionell in die bestehende Umgebung eingepaßt wird. Dieses professionelle Customizing bezieht sich nicht nur auf die DV-technischen Arbeiten, sondern vor allem auf die versicherungsfachliche Einbindung und Optimierung.

Die gleiche Frage stellt sich beim Thema Outsourcing. Nicht die Frage, ob es grundsätzlich möglich ist, interessiert, sondern ob Outsourcing aus betriebswirtschaftlicher und Wettbewerbssicht sinnvoll ist. Kann meine IT mir das für meinen Markterfolg notwendige Maß an Funktionalität und Unterstützung zu niedrigeren Kosten bieten?

Das dritte Thema ist eine Frage des Selbstverständnisses der IT. Für den IT-Bereich in der Versicherung gilt, daß vom Funktionsdenken Abschied genommen und zum Ablauf- und Ergebnisdenken gekommen werden muß. Bei einer an den Unternehmenszielen orientierten Lösungsentwicklung gehören alle beteiligten Unternehmensteile zum Interaktionsnetzwerk im Sinne einer Lieferanten-Kunden-Beziehung, ebenso müssen die externen Partner in diesen Prozeß insgesamt einbezogen werden. Die Vision heißt hier medialer Ausbau der Beziehungen zwischen allen beteiligten Funktionen und damit verbunden die weiter verstärkte Integration in den Prozeß der Lösungserstellung. Virtuelle Teambildung erscheint hier vielversprechend. Synergien lassen sich dadurch noch besser nutzen, Projektumfang, -dauer und -kosten im Rahmen halten und Know-how-Transfer frühzeitiger gewährleisten.

Die IT wird mehr und mehr Wettbewerbsvorteile ermöglichen, die dann durch Produkte und Vertriebskanäle umgesetzt werden.

*Professor Dr. Manfred Feilmeier ist Sprecher der Geschäftsführung der FJA Feilmeier und Junker GmbH in München.