Salestech 2000: Auf dem Weg zum elektronischen Kunden-Management

Internet ist nur ein weiterer Vertriebskanal

16.06.2000
WIESBADEN (bs) - Für Anwender wird die Auswahl einer passenden Software für das Customer-Relationship-Management (CRM) immer schwieriger. Technisch gibt es keine gravierenden Unterschiede, und auch die wichtigsten Trends wie mobiles Computing, Verschmelzung von analytischem und operativem CRM sowie E-Business haben die Anbieter erkannt.

Es schien so, als hätten sich die 140 in Wiesbaden anwesenden Aussteller von CRM-Software untereinander abgesprochen und die Marschrichtung für dieses und das nächste Jahr gemeinsam festgelegt. Neben den Hype-Themen mobiles Geschäft (M-Commerce) sowie Marktplätze und Portale waren vier Trends auszumachen: Erstens ähnelt sich die technische Plattform der CRM-Pakete immer stärker. Dabei setzt das Gros der Anbieter auf Microsoft-Techniken, sowohl am Frontend mit "Visual Basic" oder "Visual Basic for Applications" als auch bei Server-Komponenten, Middleware und der Datenbank mit dem "SQL Server". Hier bieten eine Reihe von Herstellern allerdings Oracles Datenspeicher als Alternative an.

Randerscheinungen dagegen sind Produkte, die auf dem Komponentenmodell Corba fußen oder vollständig in Java entwickelt sind, wie etwa die CRM-Suite "Oceans" von TPS Labs, München, die im Frühjahr von der Hüfinger ERP-Schmiede Bäurer geschluckt wurde. Als Microsoft-Erzrivale meidet Oracle die Technologien aus Redmond natürlich wie der Teufel das Weihwasser.

Eine zweite Strömung ist, dass Generalisten wie Siebel Software oder Onyx Software branchenspezifisch vorgefertigte Module (Templates) im Programm haben. Musterlösungen für die Hightech-Industrie, das Gesundheitswesen oder Finanzdienstleister sollen helfen, die Projektdauer zu verkürzen, versprechen die Anbieter.

Als sinnvoll, aber relativ nüchtern werden von den meisten Anbietern, ob Marktführer Siebel oder nationale Größen wie Orbis, CAS und Team Brendel und selbst ERP-Titan SAP, die Möglichkeiten gewertet, die das Internet für den Bereich Kunden-Management birgt: "Das Web ist ein weiterer Vertriebs-Channel, mehr nicht", lautet Trend Nummer drei. Auch wenn zukünftig mit steigenden Umsätzen in diesem Kanal zu rechnen sei und mit dem neuen Schlagwort E-CRM geworben werde (E-Business + CRM = E-CRM), dürfe man nicht in eine Web-Hysterie verfallen und die klassischen Vertriebswege (Laden, Außendienst etc.) vernachlässigen, darin sind sich die Anbieter einig.

Zurückzuführen ist die gedämpfte Euphorie hier wahrscheinlich auf das unentschlossene Verhalten vieler Betriebe. Eine jüngst von Arthur D. Little und dem VDI vorgelegte Studie zum Thema "E-Business" belegt dies: Von 334 befragten deutschen Unternehmen seien zwar fast 80 Prozent drin im Internet, aber nur rund die Hälfte plane, Produkte direkt über das Web zu verkaufen. "50 Prozent der Befragten gaben an, Ziele für das Geschäft im Internet zu haben, aber nur 25 haben eine klare Strategie wie sie diese erreichen möchten", erklärte Matthias von Bechtholzheim, Consultant bei Arthur D. Little.

Einige Hürden sind aus Sicht der Anbieter zu nehmen, um das Internet als vollwertigen Vertriebskanal zu etablieren. Zunächst sei es eine Herausforderung, Kunden über das Web hochwertig zu beraten und zu bedienen. Schließlich soll ja auch der Kauf via Web zum Erlebnis werden - neudeutsch "Interactive Selling". Dazu stehen Produkt- und Angebotskonfiguratoren (Camos, Trilogy, Firepond, Selectica, Cincom etc.) bereit, doch ist deren Implementierung nicht trivial, da Kaufprozesse vorgedacht und Geschäftsregeln (Preisfindung, Angebotserstellung etc.) elektronisch abgebildet werden müssen.

Kunden schätzen es zudem, online zu erfahren, ob, wann und zu welchem Preis die gewünschten Waren verfügbar sind. Dafür ist eine Integration der Web-Stores mit Informationen aus den Back-Office-Lösungen zwingend erforderlich, die aufgrund unterschiedlichster Schnittstellen ebenfalls kompliziert und aufwändig ist.

Wie sich in Wiesbaden zeigte, ist die Mehrheit der CRM-Werkzeuge bereits über das Web zu bedienen oder bietet zumindest dringend nötige Komponenten wie mobilen Vertrieb oder Service als Internet-Module an. Die Web-Fähigkeit ist auch eine Grundvoraussetzung, um im wachsenden Markt für Application-Service-Providing (ASP) Geschäfte machen zu können (siehe Kasten "CRM mieten").

Zum Standard vieler CRM-Suiten gehört es mittlerweile, Softwarefunktionen über das Wireless Application Protocol (WAP) abzurufen. Doch ist die Erwartung der Anbieter in diesen Standard eher gedämpft: Die Übertragungsrate für Daten des zugunde liegenden GSM-Standards sei zu gering, ebenso die Nachfrage, die WAP-Displays seien zu klein, und außerdem spiele WAP nur auf dem europäischen Markt eine Rolle. Zudem seien leistungsfähigere Technologien wie Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) oder General Packet Radio Service (GPRS) in Sicht.

Einen Spitzenplatz in puncto Web-Fähigkeit haben die Tools von Onyx und Pivotal. Deren Suiten sind konsequent als Standardprodukte konzipiert und in Komponentenweise gebaut. Dadurch lassen sich technische Neuheiten rasch ergänzen. Ferner sind beide Unternehmen seit einigen Jahren in den USA erfolgreich tätig, demzufolge kapitalstark und verfügen über große Entwicklungsteams.

Kleinere nationale Anbieter dagegen, deren Lösungen oft auf Basis von Individualprojekten entstanden sind, tun sich schwer, jeden Technologiewandel mitzumachen. Sie setzen wie die Pirmasenser CAS auf eine schrittweise Migration in Richtung Internet-Architektur. So bietet CAS mit dem Modul "CP Management Cockpit" einen ersten Web-fähigen CRM-Baustein für das Key-Account-Management und Marketing.

Trend Nummer vier schließt den Kreis. Gemeint ist die Verbindung zwischen operativen und analytischen CRM-Anwendungen. Auch wenn Anwender heute noch nach dem Motto "Think big, start small" mit Punktlösungen aus dem gesamten CRM-Portfolio beginnen - etwa für den Außendienst oder das Call-Center - wächst der Wunsch, Kundeninformationen auszuwerten, die in den operativen Systemen erfasst sind. Konkret bedeutet das, Front-Office-Lösungen mit Data-Warehouse-Tools zu verknüpfen, um dem Außendienst oder Call-Center-Agenten hochwertige Daten über Kunden an die Hand zu geben.

Marketing- und Entwicklungsvereinbarungen zwischen CRM- und Analysesoftwareanbietern markieren diesen Trend. So verbinden künftig Onyx und der Data-Warehouse-Spezialist Hyperion ihre Lösungen. Mit der Kombination beider Produkte sollen Unternehmen einfacher auf ihre Kundendaten zugreifen und diese analysieren können. Auch die CRM- beziehungsweise Analysesoftwareanbieter Epiphany und Octane haben fusioniert und Applix koppelt seine CRM-Suite "I-Enterprise" mit der eigenen Olap-Engine "TM1". Ebenso bietet die Walldorfer SAP die CRM-Bausteine gekoppelt mit dem hauseigenen Data-Warehouse "Business Information Warehouse" (BW) an.

Thesen, welchen Strömungen der CRM-Markt in den nächsten Jahren folgt, gleichen derzeit eher einem Blick in die Kristallkugel als einer handfesten Prognose. Softwareagenten sollen die Konfiguration der Pakete selbst sowie die individuelle Gestaltung von Arbeitsplätzen erleichtern, vermuten einige Anbieter. Marktplätze im Internet, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen, werden künftig stärker nach Branchen oder Interessen strukturiert und dadurch überschaubarer. Am stärksten ist jedoch der Wunsch, unterschiedliche Applikationen, die für ein vollständiges Kunden-Management erforderlich sind, künftig per Knopfdruck und möglichst online verbinden zu können. Laut Analysten wird dies aber mindestens noch drei bis fünf Jahre dauern.

Abb: Fast alle Unternehmen sind drin im Internet, doch verkaufen über das Web will gerademal die Hälfte. Quelle: Arthur D. Little