Internet/Ist das Internet ein Suendenpfuhl? Das Thema Nummer 1: Sex und Pornos in den Datennetzen

20.10.1995

Von Ina Hoenicke*

Computerpornographie ueberschwemmt die Mailboxen, Frauen muessen in Datennetzen mit sexueller Anmache rechnen - negative Schlagzeilen kratzen am Image der Online-Dienste. Auch das Internet haben die Medien zum Suendenpfuhl erklaert. Dabei spielen die Schmuddelstories - am Gesamtnachrichtenaufkommen gemessen - keine allzugrosse Rolle.

Die Geschichte der 15jaehrigen Amerikanerin Donelle war Ende Juli dieses Jahres wichtiger Bestandteil eines ausgedehnten Hearings im US-Senat zum Thema Pornographie in Datennetzen. Bei einer Telefonkonferenz im Internet hatte sie einer der Gespraechspartner in seine elektronischen Privatgemaecher eingeladen. Dort sollte sie zuerst ihre Adresse abgeben. Nach ein paar Tagen kam "Bill" dann zur Sache. Er wollte wissen, welche Groesse ihr BH habe und meldete schliesslich spezielle Wuensche an. Ein paar Tage spaeter sass er vor ihrer Haustuer und wartete auf Donelle. Ihre Mutter rief sofort die Polizei.

Dieser juengste Fall sorgte in den USA fuer Schlagzeilen und emotionsgeladene Diskussionen. Schliesslich wird dort seit Wochen heftig darueber gestritten, wie Kinder und Jugendliche vor sexueller Belaestigung geschuetzt werden koennen.

Im Juni erst hatte der US-Senat einen Gesetzentwurf angenommen, der die Verbreitung von Pornographie in Computernetzen, die Kindern zugaenglich sind, verbietet. Die Vorlage sieht ausserdem vor, die Strafe bei Verstoessen von sechs Monaten Gefaengnis auf bis zu zwei Jahre heraufzusetzen. Sie muss allerdings noch das Repraesentantenhaus passieren.

Welches Recht gilt bei Online-Straftaten?

Doch mit dem Willen zur Bestrafung allein ist es noch nicht getan. Schliesslich stehen die Richter bei Online-Straftaten vor Problemen voellig neuer Art. Haeufig ist nicht einmal geklaert, welche Gerichte zustaendig sind.

So musste sich ein kalifornisches Paar kuerzlich in Tennessee vor Gericht verantworten, weil die beiden Mailbox-Betreiber per Computer Sexfotos versandt hatten. Ein Beamter in dem sittenstrengen Bundesstaat erstattete Anzeige. Obwohl die kalifornischen Behoerden nichts gegen den Service einzuwenden hatten, verurteilten die Richter in Tennessee das Paar wegen Verbreitung von Pornographie zu Gefaengnisstrafen. Nun soll ein Berufungsgericht entscheiden, welches Recht anzuwenden ist.

Fuer amerikanische Kommunikationswissenschaftler steht fest, dass jede nationale Gesetzgebung ins Leere laufen wird. Schliesslich sei die "Mutter aller Netze" weltweit fuer jedermann zugaenglich, und deshalb liesse sich das Problem nur mit internationalen Regeln in den Griff bekommen.

"alt.sex"-Angebote sind der Hit unter Akademikern

Unklar ist auch, wie viele Schmuddelsex-Angebote nun tatsaechlich die Datennetze verstopfen. Unstrittig ist nur, dass sich pornographische Bilder und Texte vielerorts grosser Beliebtheit erfreuen.

Beim akademischen Nachwuchs beispielsweise stehen im Verzeichnis des Internet die Angebote unter "alt.sex" ganz oben auf der Hitliste. Die meisten Bilder und Texte kommen momentan noch aus den USA - wo auch der erste elektronische Pornoskandal fuer Furore sorgte.

Ein Reporter der "Seattle Times" deckte am 15. Oktober 1991 die Verbreitung von Sexprogrammen an den amerikanischen Universitaeten auf. Helle Aufregung unter den Verantwortlichen, die von dem pornographischen Material "keine Ahnung" gehabt haben wollen, einige Nervositaet aber auch bei den Konsumenten der anruechigen Software. Bereits einen Tag spaeter wurde ueber das Datennetz der Universitaeten die Devise ausgegeben: "Kein Wort zu irgendeinem Reporter, sonst wird der Kongress noch ein entsprechendes Gesetz verabschieden."

Im Dezember 1991 berichtete "Emma" ueber Netzwerk-Sex an den amerikanischen Universitaeten - aber auch ueber die akademischen Pornokonsumenten in der Bundesrepublik. Die Story schlug hierzulande hohe Wellen. Bereits sechs Tage, nachdem das Blatt ueber den Skandal berichtet hatte, zogen einige Universitaeten die Konsequenzen und loeschten das Brett "alt.sex".

Doch nur wenige Zeit spaeter haben sich die Wogen offensichtlich wieder geglaettet. "Vier Wochen lang waren bei uns an der Technischen Universitaet in Muenchen die Pornoprogramme aus dem Netz verschwunden", erzaehlt eine Muenchener Informatikdozentin, die lieber nicht genannt werden will. "Inzwischen sind sie alle auf wundersame Weise wieder aufgetaucht."

Doch auch unter den elektronischen Informationsdiensten der Deutschen Bundespost finden sich Services, die die sexuellen Beduerfnisse der Kundschaft befriedigen sollen. Im Gegensatz zu den anderen Angeboten arbeiten die Sexdienste der Post seit ihrer Einfuehrung mit Gewinn.

Das Sexgeschaeft der Telekom blueht

Offeriert werden Kontaktanzeigen, die digitalisierte Darstellung von Bildern nackter Frauen und Listen von Telefonsex-Nummern. Im Hauptmenue von Bildschirmtext ist auch der "Teletreff" zu finden. Von ueber 40 Teledialogen haben sich allein 30 Verbalerotik auf ihre Fahnen geschrieben und machen schon mit ihrem Namen klar, dass dort Konversation im Stile einer Missionsschule kaum angesagt ist.

Die gewinnbringenden pornographischen Dienstleistungen haben zum Leidwesen der Telekom das Image von Btx ziemlich angekratzt. Wesentlich schlimmer noch als Sexangebote oder -Talks ist der Missbrauch des Bildschirmtext-Systems als Kontaktboerse fuer Kinderpornohaendler und ihre Kunden. Hinter elektronischen Annoncen wie "37 Jahre, maennlich, habe eine Vorliebe fuer Junges und Ausgefallenes" verbergen sich naemlich die Versender entsprechender Videokassetten.

Zwar koennte hier die Polizei eingreifen, hat aber nach eigener Aussage zur Bekaempfung "solcher Ferkeleien" einfach zuwenig Personal. Kommentar eines Telekom-Sprechers zu diesem ueber Btx eingefaedelten Handel mit Kinderpornos: "Wir sehen uns lediglich als Informationstransporteur. Sonst koennte man uns ja auch belangen, wenn via Telefon ein Bankueberfall geplant wird."

Bei aller Aufregung ueber das Thema Computerpornographie sollte man allerdings nicht vergessen, dass es sich dabei immer nur um einen Bruchteil des Nachrichtenaufkommens in den Netzen handelt. Geradezu auffallend ist es, dass Berichte ueber Online-Sex ausgerechnet in der Sauregurkenzeit in die Schlagzeilen gerueckt wurden.

Doch so manche Behauptung haelt einer ernsthaften Ueberpruefung nicht stand. Im Juli dieses Jahres sorgte beispielsweise das amerikanische Magazin "Time" mit folgender Aussage fuer Aufsehen: "Sie ist populaer, sie ist pervers, und sie ist ueberall - Pornographie im Internet."

Das Heft hatte eine inzwischen heftig angegriffene Studie der Carnegie Mellon University vorgestellt, nach der 83 Prozent der Bilder, die im allgemein zugaenglichen Usenet verfuegbar sind, pornographisch seien. Inzwischen hat sich das Magazin von seiner eigenen Story distanziert und nennt andere Schaetzungen, die bei weniger als einem Prozent liegen.

Doch die immerwaehrenden Berichte ueber das Pornoparadies im Netz verunsichern viele potentielle User und vor allem Userinnen. "Das Machogehabe im Datennetz ist einer der Gruende fuer die diversen Frauen-Infonetze", meint denn auch Jutta Marke, eine der Gruenderinnen der Mailbox "Femnet", die sich exklusiv an Frauen richtet. Nur nach telefonischem Rueckruf werden Passwoerter fuer das System vergeben - erforderliches Erkennungsmerkmal: eine weibliche Stimme.

Die Betreuerin der Frankfurter Femnet-Mailbox nennt einige Gruende, Maenner draussen zu lassen: Diskussionen wuerden sich im Internet oft auf technische Details beschraenken, zudem seien die Inhalte in vielen Faellen sexistisch und pornographisch. "Der Staerkere setzt sich durch, und der Diskussionsstil ist manchmal sehr ruede", klagt Marke.

Professionelle Netz-Surferinnen halten diese Aussage indes fuer masslos uebertrieben. Darueber hinaus bezweifeln sie, dass ein Infonetz fuer Frauen die richtige Antwort auf ein solches Verhalten ist: "Nur Frauen, die ihre Meinung selbstbewusst im Netz aeussern, koennen langfristig etwas veraendern", wettert beispielsweise die Buchautorin Fredrika Gers.

Die Muenchnerin setzt noch einen drauf: "Ich bin bei meinen vielen Ausfluegen ins Internet noch nie sexuell angemacht worden, wenn ich es nicht wollte." Im Gegenteil: Bei ihren vielfaeltigen Recherchen profitiere sie stets von der Hilfsbereitschaft anderer Internet- Teilnehmer.

Vor allem aergert es sie, wenn alle so tun, als wuerden naive, ahnungslose Benutzer mit pornographischen Texten oder Darstellungen konfrontiert. Gers: "Wer Foren mit eindeutigen Namen wie 'alt.sex' anwaehlt, tut dies selten aus Versehen - das gilt fuer Frauen wie fuer Maenner."

Die Autorin, die in ihrem Roman "Lange Leitung" eine begeisterte Verfechterin von Online-Romanzen ist, beteiligt sich im Internet regelmaessig an weltweiten Online-Konferenzen namens Internet Relay Chat (IRC). Hier koenne es schon einmal vorkommen, dass eine Frau angemacht wird. Gers: "Der einfache Satz 'Lass mich in Ruhe, Du Idiot' wirkt Wunder." Ausserdem wuerden die anderen Teilnehmer des entsprechenden Forums das Ganze mitbekommen und den Betreffenden in die Schranken verweisen.

Aehnliche Erfahrungen hat auch Bigga Rodeck, Informatikstudentin an der Universitaet Hamburg gemacht: "Viele Maenner sind ganz einfach ueberrascht, wenn sich Frauen in ein Diskussionsforum einklinken. Wenn diese dann auch noch eine kontraere Meinung vertreten, glaubt irgendein Macho, sie mit einer 'I-want-to-fuck-you'-Mail abschrecken zu koennen." Ihrer Meinung nach gehoert diese Vorgehensweise in die Rubrik "ganz normaler Sexismus". Schliesslich haette die Eroberung von Maennerdomaenen bei einigen Herren der Schoepfung schon immer zu Aufregung gefuehrt.

Die DV-Spezialistin ist in puncto Computerporno quasi Fachfrau. Im vergangenen Jahr hat sie zusammen mit ihrer Kommilitonin Claudia Henkel eine Studie zu diesem Thema durchgefuehrt. Gefragt wurden die Maenner unter anderem danach, warum sie solche Computerprogramme reizvoll finden.

Das Fazit der beiden Hamburgerinnen: "Fuer den verklemmten Mann bieten Computerpornos die Moeglichkeit, seinen Phantasien nachzuhaengen, ohne dabei beobachtet oder kontrolliert zu werden. Dazu kommt, dass Maenner sowieso zu einer uebertriebenen emotionalen Beziehung zu ihrem Computer neigen." Von sexueller Belaestigung im Datennetz hat Rodeck bei ihrer Untersuchung, die auch Frauen mit einschloss, indes nichts gehoert.

Viele Frauen in den Workshops

Rena Tangens, Paedagogin und Computerkuenstlerin aus Bielefeld, fordert die Frauen sogar auf, sich vornehmlich in gemischten Netzen umzutun. Sie haelt Datennetze fuer ein Medium, in dem gleichberechtigte Kommunikation durchaus moeglich ist: "Da ich mein Gegenueber nicht sehen kann, kann ich mir nur aufgrund des Geschriebenen eine Vorstellung machen."

Tangens versucht Frauen zusammenzubringen, die sich bereits im Netz bewegen oder sich dafuer interessieren. Inzwischen treffen sich in ihren Workshops zahlreiche Frauen - Betreiberinnen von Mailboxen, Programmiererinnen und Informatikerinnen, aber auch andere Neugierige. Die Computerkuenstlerin kurz und buendig: "Das derzeitige Lieblingskind der Medien ist dabei fuer uns kein Thema."

* Ina Hoenicke ist freiberufliche Journalistin in Muenchen.