IT im Automobilbau/Verweigert sich die Online-Gemeinde?

Internet im Auto - Wunsch und Wirklichkeit

14.09.2001
Von null auf hundert in vier Sekunden, glänzende Karossen, Formel 1 und Pferdestärken. Dazu ein satter Sound aus allen Röhren. Das ist es, was rund eine Million Menschen auf die Internationale Automobilausstellung IAA nach Frankfurt zieht. Jetzt sollen Internet-Dienste den jungen Autofahrer begeistern - ob er aber auch im Auto surfen will? Von Gerda von Radetzky*

Zu Beginn des Sommerlochs und nach etlichen Dotcom-Pleiten und damit sinkenden Werbeeinnahmen freuten sich die Zeitungen über die Automobilbranche. BMW, Daimler-Chrysler und VW lieferten sich eine Anzeigenschlacht um die Frage, wer denn der Erste mit Internet-Zugang im Auto sei. Daimler verwies die Konkurrenz in die Schranken - denn schon seit Oktober 2000 surfen Smart-Fahrer per Handy und PDA (Personal Digital Assistent). Im Vergleich dazu mutet VWs Golf "eGeneration" nicht sehr internetig an, gibt es doch lediglich Handy und PDA samt Halterung und Kabel; auf den Fahrer bezogene Dienste lassen auf sich warten.

Das Geschäft kriechtLaut VW-Sprecher Jens Bobsien ist das Besondere denn auch die geringe Zahl von 1000 Stück und die Art des Verkaufs: Die Autos können nur online bestellt werden, zu einem Festpreis mit festgelegter Ausstattung. Seit 15. Juni im Netz, waren bis Mitte August 200 Autos reserviert worden. Opel protegiert schon seit März für mehrere Modelle den Online-Kauf. Belohnt wird der Kunde mit einem Preisnachlass. Doch kriecht das Geschäft, nur rund 70 Wagen waren bis Mitte August verkauft.

Der Deutsche will sein liebstes Kind offenbar nicht aus der Retorte. Er will es sehen, anfassen, hören, riechen. Das freut die IAA, in Frankfurt gibt es Zubehör aller Art. Dass sich ein Käufer brennend für Internet-Technik interessiert, darf vorerst bezweifelt werden. Denn Internet über das Handy per WAP ist ein Flop - zu langsam, zu teuer. Zwar hat sich die Zahl derer, die sich Autoinformationen online holen, laut einer Studie von Jupiter MMXI (www.jupitermmxi.com) innerhalb eines Jahres verdoppelt, und nach einer Untersuchung von Media Transfer (www.mediatransfer.de) halten 79 Prozent Telematikdienste für sinnvoll. Aber nur 28 Prozent wünschen sich einen mobilen Online-Zugang im Wagen. Kosten darf ein Gesamtsystem höchstens 4 000 Mark. Laut Auto Scout 24 (www.autoscout24.de) stehen bei Kaufüberlegungen niedrige Betriebskosten mit Abstand an erster Stelle, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und ein schönes Design folgen auf den nächsten Plätzen.

All-in-One-Systeme ZukunftsmusikAll-in-One-Systeme, welche die Route ständig aktualisieren, die billigste Tankstelle anzeigen, dem Geschäftspartner eine spätere Ankunft mitteilen, die Musik dort einsetzen lassen, wo man sie unterbrochen hat, den neuesten MP3-Titel abspeichern und das Licht im Büro ausschalten, sind Zukunftsmusik. Und der Zukunft von Radio plus PDA plus Handy gibt auch die EU kaum eine Chance. Der "Grundsatzkatalog zur Mensch-Maschine-Schnittstelle für On-board-Informations- und Kommunikationssysteme" schreibt vor, "dass der Fahrer nicht durch den Kommunikationsprozess beziehungsweise die von diesen Geräten gelieferten zusätzlichen Informationen abgelenkt, gestört oder überlastet" werden darf.

Wie bereits heute ein Radio für dynamische Navigation und Pannenhilfe genutzt werden kann, zeigten auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) Ende August in Berlin die CarHiFi-Hersteller. Der Vorteil: Ein Radio kann in jedes Auto in den dafür vorgesehenen Schacht eingebaut werden, wie etwa das "Online Pro" von Harman/Becker Automotive Systems (www.becker.de). Über das voreingestellte "Becker Diensteportal" lassen sich auch Wetter oder Nachrichten hören. Die Routenführung integriert automatisch TMC-(Traffic Message Channel-)Verkehrsmeldungen, die von den Rundfunkanstalten ausgestrahlt werden. Bei einer Verkehrsstörung wird eine Alternativ-Route berechnet und der Fahrer per Stimme geführt. Er kann sich die Änderungen auch auf dem Display anzeigen lassen. Eine integrierte Text-to-Speech-Funktion lässt das Vorlesen von E-Mails und SMS zu. Das 4500 Mark teure Gerät beherbergt einen 32-Bit-Prozessor, der die Anwendungen berechnet und kontrolliert. Das für die Telefonie notwendige GSM-Modul mit SIM-Kartenhalter sitzt in einer externen Box. Damit soll das Umrüsten auf die kommenden Mobilfunkstandards GPRS oder UMTS problemlos möglich sein.

Navigieren im weltweiten NetzKaum ein Autofahrer dürfte die Internet-Features, die BMW oder Daimler auf der IAA vorführen, wirklich intensiv nutzen. BMW müsste das eigentlich freuen, wirbt man doch mit dem Leitsatz "Hände ans Steuer". Beim neuen Siebener wurden deshalb sämtliche für das Fahren notwendigen Bedienhebel ans Lenkrad montiert. Dort, wo einst der Steuerknüppel saß, prangt ein silberner Knauf (siehe Bild oben). Um auch das Navigieren im weltweiten Netz zu erleichtern, entwickeln die Bayern zurzeit in Kalifornien gemeinsam mit dem Suchdienst Google (www.google.de) eine mobile Online-Findmaschine. Motorola erhielt den Auftrag, eine modellübergreifende Telematikplattform für BMW-Fahrzeuge in Europa, USA und Japan zu entwickeln.

Mercedes kommt mit einer Kombination aus Radio mit Display, Telefon und PDA, bedienbar nur mit einem D1-Handy, daher. Im Daimler kostet jede individuelle Anfrage Geld. Peter Mertens, Geschäftsführer der zu je 50 Prozent Daimler und der Deutschen Telekom gehörenden Tegaron, die den Mercedes-Dienst abwickelt - daher vermutlich der D1-Zwang -, ist überzeugt, dass "Kunden bereit sein werden, für mobile Dienste zu zahlen, wenn sie einen Mehrwert bedeuten. Das betrifft die Bereiche Sicherheit und Pannennotruf ebenso wie die dynamische Navigation."

Vorteil der SprachsteuerungAuch bei Opel gibt es nichts umsonst. So auch Onstar (www.onstar.com), der Telematikdienst von General Motors (GM), der laut GM in weit mehr als einer Million Fahrzeugen imstalliert ist. Schon das Abrufen der Verkehrsinfos kostet wie bei Konkurrent Passo von Vodafone (www.passo.de) neben der Telefongebühr einen Obolus. Für den Opel-Fahrer bringt ein Onstar-Radiotelefon mit GPS wie beim Becker-Produkt den Vorteil der Sprachsteuerung.

Drückt der Fahrer auf die Onstar-Taste, antwortet ein Mitarbeiter in einem Call-Center. Der kann beispielsweise auf die Daten des Autors, von dem aus angerufen wird, zugreifen und die Fahrroute korrigieren. Bei einer Panne ruft das System automatisch den nächsten Abschleppdienst, bei einem Unfall die Polizei. Die Kombination aus Ortung über GPS und Mobilfunk lässt auch ortsbezogene Dienste zu: Das nahe Restaurant meldet sich automatisch mit der aktuellen Speisekarte, das Call-Center steuert den Fahrer ins nächstgelegene Parkhaus. Zur diesjährigen IAA hat es noch nicht geklappt, aber im nächsten Jahr will Opel ein PDA von Compaq an das Radio andocken.

Ein Multi-Media-InterfaceKonkurrent Ford will GMs Onstar überholen, aber erst 2002, und zeigt deshalb in Frankfurt noch keine neuen Dienste zu mobilem Internet und Sprachsteuerung. Die werden in einem Entwicklungszentrum in San Diego vom Ford-Qualcomm-Joint-Venture Wingcast (www.wingcast.com), in das jüngst Oracle einstieg, erst noch ausgetüftelt.

Schade, dass Audi nur einen Prototypen mit Internet-Zugang vorfährt. Gemeinsam mit IBM haben die Ingolstädter wesentliche Teile der Funk- und Internet-Technik entwickelt. Knöpfe am Lenkrad steuern ein Multi-Media-Interface. Online geht es dann über Tasten in der Nähe eines Bildschirms. Die interne Fahrzeugkommunikation läuft über das Standardprotokoll TCP/IP. Die mobile Anbindung soll über die Kanalbündelung HSCSD (High Speed Circuit Switched Data) erfolgen, einen Dienst, den bisher nur D2 und E-Plus offerieren. Käuflich soll die neue Technik im nächsten Jahr sein.

Erich Nickel, verantwortlich für den Vertrieb von Telematic Solutions bei IBM, wundert sich, dass die Hersteller die Online-Chancen so wenig für sich selbst ergreifen: "Online-Dienste, die im Hintergrund, in einer ''Black Box'', laufen, wie Ferndiagnose, Diebstahlmeldung oder Kunden-Management, werden noch kaum eingesetzt."

Der IBM-Direktor weist auf den Nutzen für Ferndiagnose, Fehler-Früherkennung und Prognostik hin: "Teure Rückrufaktionen werden vermieden, wenn der Produzent Fehlerwarnungen erhält, sobald bestimmte Werte im Grenzbereich liegen." Eben nicht erst dann, wenn ein Typ x-mal liegen geblieben ist. "Der Hersteller kann schneller reagieren, das bedeutet Kostensenkung. Und bei niedrigen Garantiekosten trägt sich auch Telematik für den Massenmarkt."

Eines der größten Probleme ist das Fehlen von Standards und damit die mangelnde Kompatibilität von Geräten und Diensten. Das soll sich ändern. Ericsson, Daimler-Chrysler, Sony und T-Nova arbeiten am Projekt Comcar (www.comcar.de), unterstützt mit Geldern aus dem Forschungsministerium, innerhalb von UMTSplus, mit dem "Universalität und Mobilität" erreicht werden sollen. Ein Multifunk-Endgerät unterstützt alle Mobilnetze (GSM, GPRS), die digitalen Rundfunknetze (DVB, DAB) und lokale Breitbandzugänge. Das Gerät sucht sich die jeweils beste Funkschnittstelle, die Anwendungen adaptieren sich an die verfügbare Bandbreite. Bis es so weit ist, dürfte die nächste IAA in zwei Jahren ihre Tore geöffnet haben. Um erneut mit PS zu glänzen.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.