DV und Umwelt/Hamburger Pilotprojekt: hydrografisches Informationssystem

Intergrierte Software soll Schiffe und Umwelt schützen

20.09.1996

Der Hamburger Hafen zählt mit zirka 3000 Hektar Wasserfläche und einem jährlichen Gesamtumschlag von knapp 70 Millionen Tonnen (1994) zu den größten Häfen Europas. Wegen seiner Lage zwischen Norder- und Süderelbe unterliegt er als offener Tidehafen teilweise einer erheblichen Verschlickung. Um die Verkehrssicherheit der über 24 000 jährlich ankommenden Handels- und Binnenschiffe zu gewährleisten, müssen die abgelagerten Elbsedimente ausgebaggert werden. Dabei gilt es, kostensparend, das heißt so wenig und so rationell wie möglich, zu baggern.

Das schadstoffbelastete Baggergut wird in einer mechanischen Großanlage in unbelasteten Sand und Schlick getrennt, der Schlick entwässert und in Form von Hügeln in Francop und Feldhofe gelagert.

Die Peilschiffe messen regelmäßig

Zirka 2000 Menschen arbeiten für Entwicklung, Planung, Ausbau, Instandhaltung und Betrieb der Hafeninfrastruktur beim Amt für Strom- und Hafenbau, bei der technischen Verwaltung des Hafens Hamburg und Teilen der Wirtschaftsbehörde. Der Bereich Peil- und Vermessungsdienst erfüllt dabei die Aufgaben der ingenieur- und bautechnischen sowie der hydrografischen Vermessung wie auch der Überwachung und Peilung von Wassertiefen. Für diese Aufgabe befinden sich insgesamt sechs Vermessungstrupps sowie vier Peilschiffe (ein Flächen- und drei Profilpeilschiffe) im Einsatz.

Die Peilschiffe - in Hamburg Deepenschriewer (plattdeutsch für Tiefenschreiber) genannt - messen regelmäßig die Wassertiefen und damit die morphologischen Veränderungen der Gewässersohle im Hafen.

Die Peilleistung der Deepenschriewer entspricht mit zirka 7700 Hektar pro Jahr mehr als einer zweimaligen Vermessung der gesamten Wasserfläche des Hafengebietes. Dabei werden besondere Stellen, beispielsweise mit hohen Sedimentationsraten, häufiger gemessen.

Für jeden Vermessungsauftrag erhalten die vier Peilschiffe Auftragsdaten und aktuelles Kartenmaterial.

Nach erfolgter Messung werden die Daten der Peilauswertedienststelle zum Erstellen von Peilplänen, Baggerplänen und Arbeitsgrundlagen für die Baggerarbeiten auf Magnetbandkassetten oder Disketten übergeben.

Daraus berechnete aktuelle Wassertiefen dienen als Informationsgrundlage für die Lotsen und das Oberhafenamt als Schiffahrtsbehörde zur Beurteilung der Verkehrssicherheit, um auch Schiffe mit großem Tiefgang zur richtigen Zeit und über den richtigen Weg zu ihren Liegeplätzen zu führen. Bauliche Veränderungen in den Ufer- und Kajenbereichen sind dabei ebenfalls berücksichtigt.

Aus zwei Anwendungen wird eine Lösung

Angesichts eines täglichen Datenvolumens von bis zu zirka 1,5 Millionen Meßpunkten und Erstellens von zirka 450 Peilplänen pro Jahr, war die Installation einer leistungsfähigen DV-Lösung, die sowohl die wasser- als auch die landseitige Datenverarbeitung abdeckt, nur noch eine Frage der Zeit. Basierend auf einer Studie entstand ein Pflichtenheft. Danach folgte 1992 die europaweite Ausschreibung des Projekts. Doch kein Anbieter konnte eine derartige Lösung komplett aus einer Hand liefern. So wählte das Amt für Strom- und Hafenbau für die wasserseitige Datenverarbeitung das Produkt "Hypomap" von der STN Atlas Elektronik GmbH und das geografische Informationssystem Sicad-Open von SNI für die landseitige Datenverarbeitung.

Die Münchner erhielten den Auftrag, unter dem Projektnamen Hydro- CAD die Softwarepakete beider Anbieter aufeinander abzustimmen, um einen durchgängigen Funktions- und Prozeßablauf zwischen wasser- und landseitiger Datenverarbeitung zu gewährleisten. Insbesondere sollten die Benutzer eine einheitliche Bedieneroberfläche vorfinden.

Die hydrografische Standardsoftware von Atlas prüft, korrigiert, vergleicht und wertet die unter anderem von den Peilschiffen erfaßten Meßdaten über die Wassertiefen aus. Als Ergebnis stehen dann zur Verfügung: Peilpläne, Solltiefenpläne, Baggerpläne, Profile, Baggermassen etc.

Sicad, das geografische Informationssystem von SNI, nutzen bereits verschiedene Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg für Anwendungen mit geografischem Bezug, etwa für die Vermessungs- und Katasterverwaltung. So wird beispielsweise die digitale Stadtgrundkarte von Hamburg, in der auch die Hafengebiete enthalten sind, damit bearbeitet.

Der erste Schritt zur Software- Integration erfolgte bereits im Oktober 1992: in Form eines Feinkonzepts. Am Ende der ersten Stufe standen bereits im März 1994 die grafische Auswertung der Meßdaten. Im Juli konnte dann mit der Installation des landseitigen Teils die zweite Stufe beendet werden. Die dritte Phase, die Verschmelzung der beiden Programme, schloß sich unmittelbar an. Beide Systeme waren an die Anforderungen der Hafenbehörde so anzupassen, daß sich dem Anwender unter Hydro-CAD die geforderte einheitlich gestaltete interaktive Benutzeroberfläche präsentierte. Diese Aufgabe und die nötige Qualitätssicherung verzögerten allerdings den geplanten Endtermin, so daß sich die Projektabnahme bis Anfang 1996 verschob.

"Wir waren einer der ersten Anwender der neuen Software, die seinerzeit erst angekündigt war, und hatten dadurch Verzögerungen, die vorher so nicht absehbar waren", berichtet Dieter Seefeldt, Referatsleiter für den Peil- und Vermessungsdienst von der Strom- und Hafenbau. "Auf unsere Mitarbeiter ist eine enorme Arbeitsbelastung zugekommen, weil viele Auswertungsarbeiten parallel laufen mußten." Insgesamt sind zwei Mitarbeiter in der Peilauswertung sowie zwei DV-Mitarbeiter an dem Projekt beteiligt gewesen. Von SNI und Atlas Elektronik wurden je nach Projektabschnitt jeweils drei bis fünf DV-Spezialisten gestellt.

Datenhaltung in zwei Datenbanken

Beide Programme nutzen das relationale Datenbanksystem Informix, so daß Speicherung und Austausch von hydrografischen und geografischen Daten gewährleistet ist. Einerseits unterliegen die Daten, die mit anderen Dienststellen ausgetauscht werden, einem hohen Sicherheitsanspruch. Andererseits ist das Peilbüro gehalten, Auswertungen schnell und situationsbezogen durchzuführen. Diese beiden gegensätzlichen Anforderungen wurden durch eine zweiteilige Funktionsgliederung des Systems gelöst. Zum einen durch die geografische Datenbank (GDB-X). Die Stadtgrundkarte wird beispielsweise vom Vermessungsamt auf Datenträger geliefert und in das geografische System eingespielt. Zum anderen durch die hydrografische Datenbank (HDB), die mit der GDB-X verbunden ist und temporär alle jeweils erforderlichen Daten aus der GDB-X halten kann. Dadurch lassen sich alle Änderungen der geografischen Daten in der HDB schnell und flexibel vornehmen.

PC mit X-Emulation als Auskunftssystem

Neben der Standardabfragesprache SQL ist die weitverbreitete Sicad-Schnittstelle SQD implentiert. Damit haben die Hamburger eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit anderen Systemen Daten auszutauschen.

Wegen der Relevanz der so generierten Daten für die Sicherheit der Schiffahrt und damit der Umwelt, ist eine Reihe von Funktionen zur Qualitätssicherung wie Benutzerrechte, Bestätigungsmechanismen, Prüfungsmechanismen und Arbeitsprotokolle Bestandteil des Systems.

Das Peilbüro verfügt derzeit über insgesamt sechs Arbeitsplätze für das System: Zwei Rechner, die man bereits vorher für den Datenaustausch mit den Meßschiffen und der Einsatzplanung verwendete, zwei SNI-Workstations, Modell RW420SX, dienen als Clients am Arbeitsplatz und zwei weitere SNI-Rechner, Modell RW460EC, als Server. Auf einem Server ist neben Sicad-Open auch die geografische Datenbank vorhanden, auf dem anderen Server befindet sich die HDB. Die SNI-Systeme laufen mit dem Unix- orientierten Betriebssystem IRIX. Zusätzlich werden zwei Personalcomputer mit einer X-Emulation als Auskunftssystem und für die Schlußprüfung der Analyse von Meßwerten genutzt.

"Die Rechenleistung ist nicht auf einen Zentralrechner konzentriert, sondern über alle Rechner verteilt. Dadurch wird das Ausfallrisiko begrenzt, und die meisten Funktionen, etwa die Berechnung verschiedener Geländemodelle, lassen sich von jedem Arbeitsplatz aus durchführen", so Kai Wessel, Referatsleiter der technisch-wissenschaftlichen Datenverarbeitung bei der Strom und Hafenbau.

Dieses Jahr steht das Ende der letzten Projektstufe bevor. Die Integration der landseitigen Daten wurde noch nicht vollzogen, da die Datenbasis derzeit noch nicht vollständig ausgebaut ist. Dadurch ist die Nutzung des Systems bislang erst eingeschränkt möglich. Wenn aber demnächst alle Daten in der geografischen Datenbank vorliegen und Solltiefenmodelle integriert sind, erschließt sich das ganze Spektrum der Auswertungsmöglichkeiten.

Trotz der bei einem Projekt dieser Größenordnung unvermeidbaren Hürden kommt Kai Wessel zu einem positiven Fazit: "Dieses System ist die Grundlage für ein umfassendes geografisches Informationssystem und damit die Basis für weitere Projekte."

Und Dieter Seefeldt resümiert: "Unterm Strich haben die praktischen Erfahrungen gezeigt, daß die Entscheidung, das Projekt in dieser Komplexität durchzuführen, richtig gewesen ist. Die Zusammenarbeit ist bisher konstruktiv verlaufen".

Angeklickt

Schiffe, Wasser, Fische und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Hamburg profitieren jetzt von einem langwierigen Pilotprojekt der Hafenbehörde. Zwei Softwareprodukte wurden zu einem hydrografischen Informationssystem verschmolzen, das den Schiffen in den bewegten Hafen- und Flußgewässern, abhängig von Tiefgang und Wasserstand, den optimalen Weg weist. Wirtschaftlichkeit und Sicherheit waren gleichwertige Ziele des Projekts.

*Anne Christina Remus ist freie Journalistin in Kuddewörde bei Hamburg.