IT im Anlagenbau/Überwachung kleiner und mittelgroßer Anlagen

Intelligentes Diagnosesystem für prototypische Anwendungen

21.02.1997

Damit das Bedienpersonal technischer Anlagen in kritischen Situationen trotz der wachsenden Anforderungen noch den Überblick behält, benötigt es zum Erkennen, zur Diagnose und Behandlung von Störungen Unterstützung durch geeignete Informationssysteme. Wissensbasierte Lösungen haben in vielen prototypischen Anwendungen bewiesen, daß sie dazu in der Lage sind. Sie erkennen sich anbahnende Störungen frühzeitig, weisen auf mögliche Folgefehler hin, bereiten Alarmmeldungen zu einer prägnanten Fehlerbeschreibung auf und geben Hinweise für die Störungsbehebung. Sie ermöglichen so auch ungeübten Bedienern eine wesentlich schnellere Instandsetzung und damit eine höhere Anlagenverfügbarkeit.

Trotz dieses Potentials findet man wissensbasierte Überwachungs- und Diagnosesysteme in der Praxis gerade für kleine und mittelgroße Anlagen recht selten. Ein Grund dafür sind die heute noch recht hohen Entwicklungskosten. Sie können sich nur dann amortisieren, wenn sie im Vergleich mit den Gesamtkosten der Anlage nicht zu sehr ins Gewicht fallen, wenn die Anlage in genügender Stückzahl verkauft wird oder die Anforderungen an ihre Sicherheit und Zuverlässigkeit einen höheren Preis rechtfertigen.

Im Projekt India ist man optimistischer. Unter diesem Namen haben sich Industrieunternehmen, Softwarehäuser und Forschungsinstitute zusammengeschlossen, um "intelligente Diagnose" in die industrielle Anwendung zu bringen. Gefördert wird das Projekt im Rahmen des Forschungsprogramms "Intelligente Systeme" vom Bundesforschungsministerium (BMBF). Nähere Informationen finden sich zum Beispiel im World Wide Web unter http://lki-www.informatik.uni-hamburg.de/india/Deutsch/homepage.html. Das Spektrum der Anwendungsgebiete reicht in India von mechatronischen Systemen im Automobilbereich (Bosch, Stuttgart) über Gabelstapler (Still GmbH, Hamburg) bis hin zu Färbereianlagen.

Dieser letzte Bereich wird von der Firma Then Maschinen- und Apparatebau GmbH in Schwäbisch Hall vertreten. Während einer Färbung müssen in der Regel drei- bis viermal verschiedene Mischungen von Farbstoffen, Chemikalien und Hilfsstoffen zur Färbemaschine geleitet werden. Then stellt unter anderem Farbküchensysteme her, die diese Versorgung automatisieren. Wie die Abbildung zeigt, sind die Lagerbehälter der Chemikalien dazu mit den Färbemaschinen über ein weitverzweigtes Rohrleitungssystem mit Sammel- und Verteilerknoten verbunden. Ein Chemikalientransport wird entweder von einem Bedienpult oder vom Leitsystem der Färberei angestoßen. Das Farbküchensystem mißt nun automatisch die benötigten Mengen ab, schaltet mit Hilfe von Ventilen einen Weg durch das Rohrsystem zur entsprechenden Maschine und befördert dann die Mischung mittels Wasser oder Druckluft ans Ziel. Anschließend werden die benutzten Leitungen mit Wasser gespült. Daß ein Ausfall dieses Transportsystems die gesamte Färberei lahmlegen kann, ist leicht einzusehen. Solche Fehler sind zwar selten und in der Regel einfach zu beheben, aufgrund der Weitläufigkeit und Unzugänglichkeit des Leitungssystems aber oftmals schwer zu finden. Gelangen in der Zwischenzeit Chemikalien nicht rechtzeitig zu den laufenden Maschinen, kann es zu hohen Produktionsverlusten kommen.

Trotzdem ist die Automatisierung des Chemikalientransports für eine Färberei sehr attraktiv, weil dadurch in erheblichem Umfang Personalkosten eingespart werden können. Then ist daher an Methoden, mit denen der Chemikalientransport besser überwacht und das Färbereipersonal bei der Fehlersuche besser unterstützt werden kann, sehr interessiert.

Während die Überwachungsaufgabe von der R.O.S.E. Informatik GmbH in Heidenheim übernommen wurde, widmet sich das Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung der Bedienerunterstützung. Zur Zeit entwickeln die Karlsruher Forscher einen ersten Prototypen.

Das fertige Produkt soll auf einem PC laufen, um relativ einfach in das vorhandene Leitsystem integriert werden zu können. Seine Informationen über den Zustand der Anlage bekommt es sowohl vom Überwachungsprogramm als auch vom Bedienpersonal. Als einem anwendungsorientierten Forschungsinstitut geht es dem IITB bei dieser Arbeit auch um die Frage, wie sich die Entwicklungskosten intelligenter Überwachungs- und Diagnosesysteme generell senken lassen. Dabei verfolgen die Wissenschaftler verschiedene Ansätze.

So basiert das Diagnoseverfahren auf Informationen von Struktur und Verhalten der Anlage, wie sie in Form von CAE-Modellen und Steuerungsprogrammen bei Anlagenherstellern vielfach bereits existieren. Im Rahmen von India soll untersucht werden, inwieweit man zumindest jene Informationen automatisch für die Diagnose auswerten kann, die in standardisierten Beschreibungssprachen wie Step/Express oder IEC1131-3 vorliegen.

Als Ergänzung dazu sollen die Werkzeuge zur Entwicklung von Diagnosesystemen stärker auf die verschiedenen Anwendungsbereiche zugeschnitten werden. Die Entwickler im Anlagenbau könnten solche Programme dann ohne den kostspieligen Umweg über einen sogenannten Wissensingenieur in ihrer Fachsprache und mit den dort üblichen Merkmalen erstellen. Das Projekt läuft im Sommer 1999 aus.

Bis dahin will das Fraunhofer-Institut Methoden entwickeln, die einem breiteren Anwenderkreis die kostengünstige Erstellung intelligenter Diagnosesysteme ermöglichen. Anlagenbauer könnten ihr Service-Know-how ihren Kunden so vor Ort zur Verfügung stellen und in vielen Fällen eine Ferndiagnose per Telefon oder sogar Technikerreisen vermeiden.

Damit bieten solche Systeme gerade für den weltweit operierenden deutschen Maschinen- und Anlagenbau die Chance, vorhandene Servicekonzepte durch einen leistungsfähigen Baustein zu ergänzen und dadurch Pluspunkte im Wettbewerb zu sammeln. Das Bedienpersonal hat also durchaus Grund zu Optimismus.

Angeklickt

Die automatische Kontrolle automatisierter Abläufe ist im Großanlagenbau selbstverständlich, wenn auch nicht immer von absoluter Zuverlässigkeit. Für kleine und mittlere Anlagen sah es bisher nicht so gut aus. Vom Bundesforschungsministerium unterstützt, hat sich das Fraunhofer-Institut (zusammen mit Softwarehäusern) dieses Marktsegments angenommen. Mit dem Pilotprojekt "India" soll eine klaffende Lücke geschlossen werden.

*Thomas Guckenbiel ist Leiter der Gruppe Anlagendiagnose und Service am Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung in Karlruhe