Wendezeit in der Hardware-Architektur:

Intel setzt von auf eine Zukunft mit dem 80386er

23.06.1989

Wenn es nach Intel geht, werden 386- und 386SX-Rechner in ein bis zwei Jahren die Aufgaben der professionellen 8086/8088- und 286-Computer übernommen haben. Der 80286 ist. was die Produktpolitik betrifft. derzeit auf dem Weg von der "Cash Cow" zum "Dog" - vielleicht sogar in den Home-Bereich.

- Dipl.-Volkswirtin Angelika Schrader Ist freie DV-Journalistin in München.

Die Branche hat mal wieder ihren Religionskrieg. Die 286er-Systeme reichen für die nächsten fünf, sechs Jahre völlig aus, sagen die einen. In den 386er-Systemen liegt die Zukunft der Datenverarbeitung, sagen die anderen. Wozu braucht man überhaupt die bereits angekündigten 486er?

Was ist dran an der Auseinandersetzung? Welches sind die Maßstäbe, an denen sich ein Anwender bei der Entscheidung für ein Rechnersystem heute ausrichten sollte? Wer besteht darauf, mit dem Jumbo nach New York zu fliegen, wenn es auch die Concorde sein könnte?

Die PC-Prozessoren wurden stetig weiterentwickelt

"Endlich keine Hardware-Restriktionen mehr", atmete so mancher Anwender auf, als vor einigen Jahren die 80286- und 80386-Prozessoren angekündigt wurden. Die Architekturen der Intel-Prozessoren, die die Ära der Personal Computer eingeläutet und letzten Endes die gesamte Datenverarbeitung revolutioniert haben, hat der Hersteller seit Anfang der achtziger Jahre kontinuierlich weiterentwickelt - aufwärtskompatibel, wohl gemerkt, so daß einmal entwickelte Software auch auf leistungsfähigeren Rechnermodellen laufen kann. Mittlerweile wird ein Softwarebestand im Wert von 16 Milliarden Dollar von das unterstützt, der auch unter OS/2 lauffähig ist. Schritt für Schritt wurden nicht nur "Hardware-Restriktionen" beseitigt: Der 80386-Prozessor stellt im Weltbild des Herstellers Intel eine Zäsur in der Produkt- und Marktentwicklung dar, die sich aus der Entwicklung der vergangenen Jahre erklärt.

Die x86-Prozessoren wurden für den kommerziellen Markt konzipiert, während Intel mit Produkten wie dem 80960 in Risc-Architektur auf den Markt für industrielle Applikationen abzielt, wie sie bisher typischerweise zum Beispiel von Digital Equipment mit den VAX-Systemen abgedeckt werden. Im Februar 1989 hat Intel den ersten Chip mit einer Million Transistoren angekündigt - die Linie i860. Der Prozessor ist auf Floating-Point-Operationen optimiert, umfaßt Grafikoptionen für dreidimensionale Grafik und ist damit für den technisch-wissenschaftlichen Bereich ausgelegt.

Zurück zum kommerziellen Bereich. Als IBM 1982 den ersten Personal Computer mit 8088-CPU für Anwendungen im kommerziellen Bereich auf den Markt brachte, war das System "state-of-the-art". Der 16-Bit-Mikroprozessor ist leistungsfähig und kostengünstig, denn er kann intern Datenformate mit 16 Bit auf einmal verarbeiten, operiert extern jedoch mit einem 8-Bit-Bus, der den Anschluß einfacherer und damit preiswerterer Peripherie erlaubt. In diesem Punkt unterscheidet sich der 8088 vom 8086, der einen 16-Bit-Bus nutzt. Es gilt die Faustregel: Je höher die Busbreite, desto höher auch der Aufwand im peripheren Bereich für externe Hardware, die mit der hohen Busbreite arbeiten kann. Darauf ist in Zusammenhang mit der "abgespeckten" Version des 80386 noch zurückzukommen.

Die Mikroprozessoren 8086, 8088 und 80286 sind 16-Bit-Prozessoren, während es sich bei 80376, 80386SX 80386 und 80486 um 32-Bit-Prozessoren handelt. Was die Restriktionen der 16-Bit-Rechner betrifft, so ist zunächst der physikalische Adreßraum zu nennen, der mit 20 Adreßbits, also einem Megabyte, angesprochen werden kann. Je komplexer jedoch Die Software-Strukturen wurden, die die Entwickler auf die Systeme legten, bedeutete der maximal adressierbare Arbeitsspeicher von MB doch eine Beschränkung, die immer wieder zu umgehen versucht wurde - "der Speicher sollte aufgebohrt werden." Zumal von dem MB großen Speie her unter dem Betriebssystem MS-DOS für Anwendungsprogramme gerade die Hälfte, die viel zitierten 640 KB maximale adressierbarer Speicher, übrig bleiben. Bestimmte Funktionen wie die Ansteuerung von Peripherie per Basic-Input/Output-System (BIOS), Bildschirm oder Speicher-BIOS beanspruchen den Rest des Speichers.

Die zweite wesentliche Limitierung der 16-Bit-Prozessoren liegt in der Unterteilung des adressierbaren 1-MB-Speichers in Blöcke zu 64 Kilobyte. Reicht bei umfangreicheren Anwendungen, zum Beispiel bei Floating-Point-Operationen, ein solcher Block im Hauptspeicher nicht aus, muß auf einen weiteren Block übergegangen werden, was Zeit kostet und die Programm-Performance reduziert. Je häufiger ein Blockwechsel vorgenommen werden muß, desto langsamer wird der ganze Ablauf.

Die logische Folge dieser beiden Beschränkungen war es, den physikalischen Adreßraum eines 16-Bit-Rechners von 1 MB zu vergrößern. Mit dem 80286-Prozessor, 1983 angekündigt, ging es in den 16-MB-Bereich. Der Prozessor verkörpert dabei einen neuen Weg - nämlich Betriebssystemfunktionen zu übernehmen, um die Gesamtleistungsfähigkeit des Systems zu erhöhen. Zudem ist er von kompatibel zu 8086 und 8088, den Vorgänger-Prozessoren.

Eine solche Software-Integration hat Intel bei der Entwicklung der neueren Prozessor-Architekturen in immer höherem Maß vollzogen. Zu den Funktionen, die vom Betriebssystem auf die Hardware übertragen werden, gehören zum Beispiel reine Schutzfunktionen, die für Multiuser-/Multitasking-Operationen von Bedeutung sind. Der 80286-Prozessor unterliegt zwar nicht mehr der Beschränkung auf MB Adreßraum, dafür allerdings immer noch der Segmentierung in Adreßblöcke von 64 KB. Im "real mode", im normalen Betriebszustand, kann nach wie vor nur 1 MB und nicht die durch die Prozessorarchitektur möglichen 16 MB adressiert werden. Im Real Mode ist der 80286 wie der 8086 programmiert.

Im "protected mode" schützt der Prozessor einen bestimmten Teil des Speichers so, daß der Speicherplatz in der Zeit von keinem anderen Programm angesprochen werden kann. Die 64 KB großen Bereiche werden entsprechend den zugedachten Funktionen geschützt. Geschwindigkeit und effizientes Multitasking durch viele Betriebssystemfunktionen im Chip sind die Vorteile der 286-Generation. Zudem ist wiederum die Aufwärtskompatibilität gewahrt: XT-8088-Software kann auf einen 80286-AT-Rechner portiert werden und läuft wegen des größeren Speichers um ein Vielfaches schneller.

Die Hardware-Beschränkung der 64-KB-Segmentierung bringt aber auch den 286 bei bestimmten, komplexen Anwendungen an Grenzen - Intel tat den Schritt in die 32-Bit-Welt, aus dem sich ein adressierbarer Speicher von 4 GB ergibt - zweifellos mehr, als die meisten Anwendungen heute brauchen. Die 64-KB-Blöcke sind nicht mehr erforderlich, weil der Prozessor die flexible Definition von "Units of protection" erlaubt.

OS/2 kann den 80386er noch nicht von nutzen

Ein Exkurs in andere Betriebssystem-Welten: Mit der Verbreitung von Unix- und Xenix-Betriebssystemen sind die Anwendungen der Minicomputerwelt ein Stück weiter in die PC-Welt gerückt - mit einem deutlich größeren Speicherbedarf. Virtuelle Speichertechnik, bei der Programmteile bei Bedarf in den Hauptspeicher "geswappt" werden, sind ein Muß für diese Betriebssysteme. Die 32 Adreßleitungen des 80386-Prozessors erlauben die Adressierung von ganzen 64 Terabyte virtuellem Speicher - optimale Einsatzvoraussetzungen für Unix. Damit unterstützen Rechner mit 80386SX-, 80386DX- und i48S-Prozessor unter anderem die Betriebssysteme: MS-DOS, OS/2 und Unix. Ein "Virtual-8086-Mode" ermöglicht den anwendungsbedingten Wechsel in den Protected Mode, wo dann wahlweise 32-Bit- oder 16-Bit-Anwendungen ablaufen können. Der 386er-Prozessor umfaßt Hardware-Funktionen, mit denen von DOS- in Unix-Applikationen gewechselt werden kann, da der Real Mode praktisch in den Protected Mode eingebettet ist. Daher lassen sich von einem PC auch DOS- und Unix-Anwendungen verarbeiten.

OS/2 in der aktuellen Version kann allerdings die 32-Bit-Einrichtungen des 80386 noch nicht nutzen: Das Betriebssystem verwendet 16-Bit-Register und einen 16-Bit-Datenbus und kann damit natürlich auch jeweils 16 Bit des 32-Bit-Prozessors nutzen. Das einzige Betriebssystem, das die volle Adreßbreite des 80386 derzeit jedoch nutzen kann, ist Unix. Die nächste OS/2-Version, die laut Microsoft Ende des Jahres beziehungsweise Anfang 1990 kommen wird, soll "ein echtes Betriebssystem für 80386er sein". Einige "echte" 386er-Softwarepakete sind bereits auf den Markt gekommen, Word 5.0 oder Multiplan 4.0, doch hinkt der Softwarebereich der Hardwareentwicklung zeitlich noch um einiges hinterher.

386SX - Der Einstieg in die 386er Architektur

Mit dem Werbeslogan "Nicht jede Software läuft auf jedem System, aber der 386SX-Mikroprozessor unterstützt jede Software" macht Intel auf die Vorzüge der "abgespeckten" Version des 32-Bit-Prozessors aufmerksam. Er unterscheidet sich von dem Vollblüter dadurch, daß er intern mit einem 32-Bit-Register, nach außen aber nicht mit einem 32-Bit-, sondern einem 16-Bit-Adreßbus arbeitet. Die Performance ist entsprechend kleiner, weil zwei Buszyklen anstelle von einem wie bei der 80386DX-Version erforderlich sind, wird jedoch durch den Vorteil der viel preiswerteren Peripherie kompensiert. Der Hersteller spricht beim 80386SX von 70 Prozent der Leistungsfähigkeit des 80386er, der unterm Strich aber zwischen 50 Prozent und 60 Prozent preiswerter ist und damit kaum über der Preislatte s der 286er liegt. Auch das spricht für das nahe Ende der 286er. "Der 386er hat Wendezeit-Funktion", läßt Intel verlauten. Die SX-Version soll die Wendezeit für breite Anwendungen erst einmal bezahlbar machen.

Wozu also jetzt schon einen 80486-Prozessor - 1,2 Millionen Transistoren auf 1,7 cm(2) Fläche -, wenn es kaum Software gibt, die die Hardware-Eigenschaften des 80386 vollständig nutzen kann? Eine CPU mit 80386-Prozessor, für manche Anwendungen zudem ein 80387-Numerikprozessor sowie sehr schnelle Speicher mit 40 Nanosekunden Zugriffszeit allein schon bei einer 25-MHz-Taktung sind teuer. Zur Verbesserung der Performance wird ab 20-MHz-Taktung ein Speicherbaustein benutzt, ein Cache, der die zeitkritische Verfügbarkeit der Daten aus dem Hauptspeicher für den Prozessor unterstützt und von einem Cache-Controller gesteuert wird. So setzt sich derzeit eine typische 386-Architektur zusammen. Der 486 bringt alle Elemente nun auf einem einzigen Chip.

Aus dem Hause Intel verlautet zur Frage "Wozu jetzt schon 486? Psychologisches: "Der 486er wird dem 386er zum Durchbruch verhelfen. Der Anwender kann sicher sein, daß für die Zukunft gesorgt ist." Na fein.