Das Fraunhofer IAO bastelt am Fusions-Einmaleins

Integrationsprozesse aus der Schublade

01.10.2004
MÜNCHEN (kf) - Aktuellen Untersuchungen zufolge münden gut 60 Prozent aller Fusionen in einen Misserfolg. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Mergers and Acquisitions (M&A) für die Unternehmensentwicklung will das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) die Problemzonen insbesondere bei der IT-Integration identifizieren und fundierte Vorgehensmodelle erarbeiten.

Fusionen und Übernahmen haben wieder Hochkonjunktur: Nach den Prognosen des von der Universität Witten/Herdecke gegründeten Institute for Mergers 38; Acquisitions (IMA) steht die nächste große Welle unmittelbar bevor. Hauptmotive für das verstärkte Firmen-Shopping sind der Ausbau von Marktanteilen sowie das Erschließen neuer Märkte insbesondere in Europa und Asien. Eine aktuelle Umfrage bestätigt den Trend. Demnach stehen bei 63 Prozent der interviewten Firmen in den kommenden drei Jahren M 38;A-Aktivitäten auf dem Plan.

Doch Fusionieren will gelernt sein: Mangelnde Vorbereitung, die unzureichende Integration von Prozessen und IT-Systemen sowie kulturelle Grabenkämpfe verhindern häufig die angestrebten Synergien und kommerziellen Vorteile. Nach Angaben des IMA ist über die Hälfte der Fusionen als Flop einzustufen. "Offenbar lassen sich die ursprünglichen Ziele nicht voll umsetzen", schlussfolgerte Dieter Spath, Leiter des Stuttgarter Fraunhofer IAO, auf einer hauseigenen Informationsveranstaltung zum Thema "Erfolgreiche Integration bei Mergers 38; Acquisitions".

Zu den größten Stolpersteinen im Zuge einer M 38;A-Integration zählen laut IAO-Befragung unzureichende Kommunikation (89 Prozent), schlechte Planung des Eingliederungsprozesses (84 Prozent) sowie die mangelnde Einbindung der Mitarbeiter (71 Prozent). Handlungsbedarf besteht insbesondere hinsichtlich der IT-Integration, sprich: der Transformation von Infrastruktur und Hardware, Anwendungssystemen, IT-Organisation sowie IT-unterstützten Geschäftsprozessen, und im Bereich Workplace-Management. Letzteres umfasst die Zusammenführung von Mitarbeitern, Organisationen und unterschiedlichen Unternehmenskulturen, die Integration von Büroraum- und -gebäudekomplexen sowie die Etablierung prozessoptimierender Arbeits- und Bürokonzepte.

Operation am offenen Herzen

Ziel der M 38;A-bedingten IT-Integration ist es, die über die Verschmelzung angestrebten Synergiepotenziale zu möglichst geringen Kosten zu realisieren. Eine besondere Herausforderung in diesem Zusammenhang besteht laut Spath darin, den reibungslosen operativen Betriebs und die Unterstützung der Geschäftsabläufe während des gesamten Integrationsprozesses sicherzustellen. "Das gleicht einer Operation am offenen Herzen", so der IAO-Chef. Probleme bereiteten darüber hinaus die Heterogenität und Komplexität der meist über Jahre gewachsenen IT-Landschaft in vielen Unternehmen. "Da sammelt sich so einiges an Staub", gibt der Institutsleiter zu bedenken. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass 69 Prozent der Umfrageteilnehmer Integrationsfähigkeit und Flexibilität der IT-Systeme als besonders bedeutende Aspekte identifiziert haben. Beide sollten bereits im Vorfeld des Vertragsabschlusses überprüft werden.

Im Hinblick auf ihre Integrationsfähigkeit haben die Unternehmen offenbar noch einiges zu tun: Risiken in Sachen "Merger Readiness" sehen die Befragten etwa bei den IT-unterstützten Geschäftsprozessen, IT-internen Abläufen sowie hinsichtlich der Harmonisierung der Datenbasis.

Erst prüfen, dann binden

Grundsätzlich halten die Umfrageteilnehmer die über eine Fusion im IT-Umfeld zu erzielenden Einsparpotenziale für beträchtlich: So lassen sich in den Bereichen Softwarelizenzen, Personal und Hardware ihrer Einschätzung nach bis zu 30 Prozent, beim Betrieb der Rechenzentren sogar bis zu 50 Prozent sparen. Dessen ungeachtet nehmen lediglich 44 Prozent der Firmen im Vorfeld einer M 38;A-bedingten IT-Integration eine entsprechende Analyse vor. Das mag erklären, warum laut IAO-Befragung nahezu jedes zweite Unternehmen bereits erfolgte IT-Eingliederungen in finanzieller Hinsicht als Misserfolg betrachtet.

Weitere Hindernisse auf dem Weg zur erfolgreichen Technikintegration sind nach Erfahrung der Befragten neben starren IT-Architekturen mangelndes Know-how, unzureichende Ressourcen und schwer einzuschätzende, häufig zu hohe Kosten.

Trotz des augenscheinlichen Bedarfs an Orientierungshilfen in Form allgemein gültiger Vorgehensmodelle, Referenzprozesse oder Checklisten - insbesondere im Hinblick auf die genannten Problemfelder - liegen nach Angaben des Fraunhofer IAO bislang kaum empirische Untersuchungen oder unternehmensübergreifende Best Practices vor. Diese Lücke will das Institut im Rahmen eines dedizierten Industriearbeitskreises schließen. Fusionswilligen soll dabei geholfen werden, eine Firmenverschmelzung vorzubereiten und damit die Integration zu beschleunigen, aber auch bereits laufende Unternehmenseingliederungen zu verbessern. "Die Idee ist, in Zusammenarbeit mit Anwenderunternehmen einen Rohplan für Mergers und Acquisitions zu erstellen", erklärt IAO-Chef Spath. Mit Hilfe vordefinierter "Schubladenprozesse" könnten sich Firmen für den Ernstfall rüsten. "Wer erst in der Post-Merger-Phase damit anfängt, ist spät dran." Erklärtes Ziel ist demnach die Entwicklung wissenschaftlich fundierter Strategien und praxisorientierter Konzepte für die erfolgreiche Integration im M 38;A-Prozess.

Die Siemens AG hat ihre diesbezügliche Lektion bereits gelernt. Der Technikkonzern verfolgt eine aktive Portfoliostrategie, die bisweilen zu rund 20 gleichzeitigen IT-Ein- und Ausgliederungen führt. Diese Änderungen wirken sich unmittelbar auf die konzernweite IT-Infrastruktur, die Siemens-IT-Konzerndienste und die Informationssicherheit aus. "Vor der Einführung standardisierter Prozesse wurde das Rad mit jedem Integrationsprojekt neu erfunden. Das führte zu Verzögerungen und unnötig hohen Kosten", erinnert sich Heinz Kollenberger, Director Carve Out im Bereich Mergers 38; Acquisitions bei Siemens. Aus diesem Grund hat die Siemens AG ihr eigenes Regelwerk für die Integration von Infrastruktur und IT entwickelt.

Laut Kollenberger handelt es sich bei der IT-Integration jedoch um einen grundsätzlich zeitaufwändigen Prozess, der nur mit Hilfe entsprechender Management-Unterstützung zu meistern sei. Knapp 30 Prozent der vom IAO befragten Unternehmen haben diesbezüglich eher schlechte Erfahrungen gemacht: Für sie war das Commitment von Seiten der Geschäftsleitung im Zuge eines IT-Integrationsprojekts nicht oder kaum wahrnehmbar.

Hier lesen Sie ...

- warum das Thema Mergers 38; Acquisitions zunehmend an Bedeutung gewinnt;

- wo die großen Stolpersteine im Zuge einer Firmenverschmelzung liegen;

- inwieweit sich Integrationsprojekte vorbereiten lassen.

Zur Umfrage

Das Fraunhofer IAO hat gemeinsam mit dem Bundesverband für Mergers 38; Acquisitions (BMA) eine branchenübergreifende Umfrage zu Thema "Erfolgreiche Integration bei Mergers 38; Acquisitions" vorgenommen. Das Gros der insgesamt 51 Umfrageteilnehmer (70 Prozent) erzielt einen Jahresumsatz von über 500 Millionen Euro und hat bereits mindestens eine Fusion oder Übernahme hinter sich. Die Befragung richtete sich an Firmenchefs sowie Führungskräfte aus den Bereichen IT, Organisation und Unternehmensstrategie beziehungsweise Business Development.