Kritisches Überdenken und internationaler Schulterschluß gefragt:

Integrationsprobleme gefährden Kl-Zukunft

07.04.1989

KÖLN (CW) - Eine kritische Revision des Erreichten soll die Künstliche Intelligenz von den Höhenflügen der Vergangenheit befreien und gleichzeitig Grundlagen für künftige fundierte Forschung und Entwicklung schaffen. So das Ergebnis einer Diskussion mit internationalen KI-Experten, die kürzlich auf Einladung der Infodas GmbH in Köln zusammentrafen.

Einigkeit herrschte darüber, daß man derzeit keineswegs von einem Expertensystem-Boom sprechen könne. Prototypen gelangen nach Einschätzung der KI-Experten sehr selten zum Einsatz, und wirkliche Produkte seien auf dem Markt noch nicht zu finden. Expertensystem-Technologie, so ein Resultat der Veranstaltung, gelte mittlerweile schlicht als Software-Engineering-Technik.

Spezielle Abteilungen lösen sich allmählich auf

Die KI-Laboratorien lösten sich in US-amerikanischen Unternehmen langsam auf, berichtete Ingo Beinlich, Research Fellow der Stanford University. Das Personal wandere mit den Ideen aus den KI-Schmieden in die traditionellen DV-Abteilungen zurück.

Dennoch, so Beinlich, entstehe der Eindruck, daß man sich "allmählich dem Kern der Sache nähere". Methoden aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der kognitiven Psychologie hätten der klassischen KI wohl einen Spiegel vorgehalten, der zu einem Wandel der Forschungsansätze führe.

Im Zusammenhang mit dem wahrscheinlichkeitsbasierten Ansatz entstehen neue Entwicklungsumgebungen: Graphik-Editoren für Netzwerkstrukturen und spezielle Editoren, die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Netzwerke erheben oder aus Experten-Interviews Wahrscheinlichkeiten ableiten. Berichtet wurde über konkrete Anwendungen für diese Technik bei der medizinischen Diagnose und bei intelligenten Alarmsystemen.

Unverkennbar ist nach Ansicht der Experten ein Trend zur Hochtechnologie, zu neuronalen Netzen und zur Parallelverarbeitung. Aus Frankreich ist von einem regelrechten Interessen-Boom in diesen Bereichen zu hören.

Vor einer Entwicklung, die in eine ähnliche Sackgasse führen könne wie die Lisp-Maschinen, warnte Ingo Kriescher von Symbolics. Die neuen Systeme ließen sich nämlich nicht in bestehende Datenlandschaften integrieren.

In Japan und den USA wird intensiv an der Sprachverarbeitung gearbeitet. Thomas Christaller, Forschungsgruppenleiter Expertensysteme bei der GMD, St. Augustin, berichtete von der lexikalischen Forschung in Japan, die das Ziel verfolgt, große enzyklopädische Werke für die intelligente Sprachverarbeitung aufzubereiten. Der Zugang zu entsprechenden Informationen sei aufgrund der sprachlichen und kulturellen Barrieren allerdings nicht eben einfach.

Nach Christallers Einschätzung werden die Japaner in Kürze Produkte im Bereich Sprachverstehen auf den Markt bringen. Auch am Bau humanoider Roboter werde in Fernost gearbeitet.

Beeindruckend sind für den GMD-Mitarbeiter die Summen an Geldern, die in Japan für KI-Forschungsvorhaben bereitgestellt werden; sie liegen teilweise im Milliardenbereich. Die Japaner, so Christaller, sind in der Wissensakquisition ähnlich weit wie die Europäer - mit nur leichtem Rückstand zu den Amerikanern.

In fünf Jahren werden Produkte, die wir heute als Expertensysteme bezeichnen, schlicht als "Wissensprodukte" bezeichnet und als Systeme unter vielen anderen in voll integrierten Anwendungen fungieren, resümierte Infodas-Prokurist Harald Summa. Ein Schwerpunkt bei den Expertensystemen liege deutlich im Produktionsbereich - und zwar auf den Qualitätskontroll- und Diagnosesystemen.

Mitte April wollen sich Mitarbeiter verschiedener Unternehmen und Institutionen in Köln zur konstituierenden Sitzung einer "Initiative Problemlösungsshell" treffen. Den Veranstaltungsort stellt wieder die Infodas-Zentrale in Köln. Die Initiative begründet ihre Notwendigkeit mit der Tatsache, daß die in Deutschland realisierten Prototypen für Expertensysteme nur zu einem geringen Prozentsatz in den praktischen Einsatz gelangen.

Eine Ursache für den geringen praktischen Einsatz der Protos sehen die Infodas-Mitarbeiter darin, daß die derzeit verfügbaren Entwicklungswerkzeuge für Expertensysteme am tatsächlichen Bedarf der Anwender vorbeigingen. Die Tools erforderten noch immer einen zu hohen Programmieraufwand und seien zu wenig am konkreten Problem orientiert. Die Initiative will hier mit der Realisierung eines Entwicklungswerkzeuges für Expertensysteme in einem spezifischen Anwendungsbereich Abhilfe schaffen.