In der Praxis setzen Anwender auf klassischen File-Transfer

Integration von Standardsoftware erfordert viel Gehirnschmalz

06.08.1999
MÜNCHEN (bs) - Software für Vertrieb, Marketing und Service verspricht Anwendern den direkten Draht zum Kunden. Doch ohne Integration in die bestehende IT-Landschaft sind diese Tools nur die Hälfte wert. Unternehmen sollten genau prüfen, wie die Brücken zwischen den Softwarepaketen zu bauen sind.

"Die Integration von Front-Office- und Back-Office-Produkten ist das A und O für ein erfolgreiches Kunden-Management", konstatiert Wolfgang Martin, Analyst bei der Meta Group. Rund 35 Prozent ihres IT-Budgets investieren Unternehmen in die Integration ihrer DV-Landschaft. Ohne den Zugriff auf Auftrags-, Bestands- und Kundendaten in den ERP-Systemen aus den Vertriebs- und Marketingpaketen heraus bleibt die gewünschte integrierte Kundensicht auf der Strecke. Auch die unterschiedliche Aktualität der Daten innerhalb der einzelnen Anwendungen ist problematisch. Eine übergreifende Auftragsverfolgung ist spätestens dann nicht mehr möglich, wenn unterschiedliche Bearbeitungsstatus gespeichert sind. Konkret: Geschäftsdaten, die beispielsweise im ERP-System aktualisiert wurden, stehen dem Call-Center-Mitarbeiter nicht zur Verfügung und umgekehrt.

Eine Kopplung der verkaufs- und servicefördernden Werkzeuge mit den Back-Office-Anwendungen, am besten im Online-Betrieb, ist deshalb dringend angesagt, so Analyst Martin weiter.

Kopplung von Front- und Back-Office ist angesagt

Möglichkeiten dafür gibt es jedenfalls viele: So stehen neben dem klassischen File-Transfer Verfahren wie Remote Function Calls oder Application Programming Interfaces (APIs) zur Verfügung. Doch sind APIs herstellerabhängig und bieten meist nur einen eingeschränkten Zugriff auf die Datenbestände. Bei jedem Upgrade kommt man auch um eine Überprüfung der Interfaces nicht herum.

Eine weitere Option bietet Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Software. Mit Hilfe vorgefertigter Adapter, die von den Anbietern immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden, sollen sich verschiedenste Standardsoftware-Systeme ohne kostentreibenden Programmieraufwand integrieren lassen. Dieser Ansatz ist neu, was sich auch in der Praxis zeigt, wo über die Integration via EAI-Lösungen derzeit erst ansatzweise nachgedacht wird. Der klassische File-Transfer wird von den meisten Anwendern bevorzugt.

Stefan Bauer, Projektleiter bei Siemens Medizintechnik in Erlangen, hat beispielsweise lieber auf das bewährte Verfahren zurückgegriffen, um SAP R/3 mit der Vertriebslösung von Siebel zu verbinden: "Jedes SAP-System ist ein bißchen anders konfiguriert, daher war eine individuelle Lösung für uns sinnvoll." Die in der Version 3.1 von Siebel mitgelieferten Schnittstellen-Funktionen (APIs) sowie die entsprechenden Business APIs (BAPIs) von R/3 reichten dafür nicht aus. Zudem sei R/3 speziell für den Bereich Medizintechnik modifiziert worden, so daß hier Standardwerkzeuge wenig hilfreich sind - ein Umstand, der auf viele Anwender, die SAP an ihre spezifischen Belange angepaßt haben, zutreffen dürfte.

Über eine bidirektionale Schnittstelle können nun Kundendaten sowohl im Siebel-System als auch in R/3 angelegt und verändert werden. Bei der täglichen Übertragung werden die Daten synchronisiert. Doch erfolgt der Abgleich nicht online: "Die Vertriebsingenieure gleichen die Daten höchstens einmal am Tag ab, das reicht", erklärt Bauer.

Darüber hinaus werden Angebote in Siebel erfaßt und auch dort in Aufträge überführt. Freigegebene Orders werden aus der Siebel-Datenbank herausgescannt und mittels einer Schnittstelle im Intermediate-Document-(Idoc-)- Format in R/3 eingespielt. Auf dem umgekehrten Weg können sich die Außendienstler Produkt-, Preis- und Kundendaten aus der Walldorfer Software auf den Laptop laden.

"Wir sind mit diesem Mechanismus sehr zufrieden und erreichen eine automatische Durchsatzrate von 85 Prozent. Das ist mehr, als wir uns vorgestellt hatten", sagt Bauer. Die restlichen 15 Prozent laufen ins SAP-System und müßten zum Teil manuell nachbearbeitet werden (im SAP-Sprachjargon "hell" eingespielt). Mittels Fein-Tuning innerhalb der Siebel-Anwendung soll die Rate der automatisch in R/3 eingehenden Aufträge künftig erhöht werden.

Auch beim Mobilfunkanbieter E-Plus in Düsseldorf, einem Anwender von Clarify und SAP R/3, besteht bisher eine Verbindung zwischen den Systemen via klassischem File-Transfer. Von der Anbindung mittels APIs hat man bewußt Abstand genommen: "Diese Art der Kopplung ist sehr eng. Der Ausfall des einen Systems kann zu Einschränkungen oder gar zum Abbruch der angekoppelten Lösung führen", sagt E-Plus-Gesamtprojektleiter Hendrik Müller. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen. Im Vertrieb und Marketing sei es völlig ausreichend, Applikationen über asynchrone Mechanismen, also Batch-Input, abzugleichen und Daten mit einer hinreichenden Zeitgenauigkeit vorzuhalten.

Für die Anbindung von Call-Center-Anwendungen sei eine Online-Verbindung allerdings sinnvoll. So erfaßt die Sparte Netzwerk-Management des Mobilfunk-Carriers Wartungsaufträge in Clarify 6.0, die via ein spezielles C-API online an das SAP-System abgeliefert werden: "Damit stehen dem Servicemitarbeiter die erforderlichen Daten sofort zur Verfügung." Über die Kopplung der Anwendungslandschaft mittels EAI-Software denkt E-Plus-Mann Müller allerdings nach.

"Das Konzept von EAI-Software ist sehr interessant, aber der Einsatz lohnt sich erst bei einer Vielzahl von Schnittstellen", erklärt Richard Nußdorfer, Geschäftsführer der CSA Consulting GmbH, München. Anwender, die nur an einer Stelle wie etwa bei Kundendaten eine Verbindung zwischen Systemen benötigen, fahren mit dem herkömmlichen File-Transfer oder der API-Programmierung günstiger. Erst ab fünf oder sechs Interfaces lohne sich der Einsatz von EAI-Produkten. Sein Fazit: Nur wer viele Schnittstellen, möglichst im Online-Betrieb, einsetzt, nutzt die Vorteile des permanenten Updates durch die EAI-Anbieter.

EAI-Anbieter

Die COMPUTERWOCHE wird in den nächsten Wochen in loser Folge über den EAI-Markt sowie die Techniken der Anbieter berichten. Unternehmen, die Integrationssoftware herstellen, sind unter anderem Alternative Technologies, Bea Systems, Bluestone, Constellar, Crossworlds, Extricity, Forte, Frontec, Hewlett-Packard, IBM, Integrated Design, Nc. Focus, Neon, Objectspace, On-Display, Oracle, Platinum Technology, Progress, Sequoia, Smart-DB, STC, Sybase, TSI, Trifolium, Visual Edge und Vitria.

Abb: Als Anbieter von Enterprise-Application-Integration-(EAI)-Software verspricht Active Software die einfache Verbindung von Standardsoftware. Hier am Beispiel mit Clarify-Software. Quelle: Clarify