Anwendungswissen in Büro und Fabrik als Erfolgsfaktor für Schnittstellenberuf:

Integration ist Schlüssel für Informatiker

04.11.1988

Fachkompetenz mit Schnittstellenwissen zeichnen künftig das Leistungsprofil des Informatikers aus. Bisher war das ursprüngliche Arbeitsgebiet die Entwicklung von Hard- und Software. Künftig soll er Informationstechnik als Werkzeug für Anwendungen einsetzen. Dafür fehlen allerdings noch die qualifizierten Fachkräfte. Zum Wandel in Ausbildung und Beruf für Informatiker äußerte sich Karl Breithaupt (B.I.T.).

* Der Arbeitsmarkt scheint geradezu ideal für den Informatiker. Ist seine Karriere also bereits vorgezeichnet?

Nach Untersuchungen verschiedener Organisationen, vor allem des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, fehlen derzeit pro Jahr zirka 15 000 bis 20 000 DV-Fachkräfte. Die Hochschulen bilden derzeit etwa 3000 Informatiker aus. Dazu kommen Absolventen von Fachhochschulen und sonstigen Einrichtungen. Jede Bewerbung trifft also auf mehrere offene Stellen.

Damit sind für Informatiker, die jetzt oder in kürzester Zeit fertig werden, die Berufschancen sehr gut. Dies wird auch noch für einige Zeit so bleiben, so daß auch noch für diejenigen, die heute im Studium sind, die Prognose eines guten Arbeitsplatzes gesichert erscheint. Auch Studienanfängern kann aufgrund der Mangelsituation durchaus geraten werden, den Beruf des Informatikers anzustreben.

Allerdings braucht die Industrie den Informatiker jetzt und heute. Sie sucht ihn auf verschiedenen Wegen zu bekommen. Dazu zählen Modellversuche, spezielle betriebsinterne Ausbildungen sowie die Heranbildung von Arbeitskräften auf dem Sektor der Datenverarbeitung. Wellenbewegungen, wie sie auch schon von anderen Berufen bekannt sind, sind damit auch für den Informatiker für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Ist der Bedarf nämlich erst einmal gedeckt, wird der Arbeitsmarkt auch für den Informatiker schwieriger. Wann dies sein wird, ist ungewiß. Wer anfängt mit dem Informatikstudium, ist sicher gut beraten, sich während seines Studiums so breit und so praxisnah zu qualifizieren als möglich.

Dabei ist das Berufsbild des Informatikers durchaus nicht einheitlich. War der Informatiker zunächst typisch auf die Entwicklung ausgerichtet, stehen heute Organisation, vor allem als Informationsmanagement, und Produktion mit allen Bereichen wie CIM, CAx im Vordergrund.

* Generalisierung contra Spezialisierung: Brauchen wir "reine" Informatiker? Was braucht ein Informatiker an Anwendungswissen über sein Studium hinaus, um auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben?

Das eigentliche Betätigungsfeld des Informatikers sind die Kernberufe der Datenverarbeitung, zu denen Spezialtätigkeiten in der Entwicklung von Programmen, Maschinen und Systemen zählen. Aber auch Mischberufe, die die Datenverarbeitung oder allgemeiner gesagt, die Informationstechnik als Werkzeug in Verbindung mit ihren Anwendungen betrachten, zählen zum potentiellen Aufgabengebiet des Informatikers. Damit ergeben sich Anforderungen an den Informatiker, die heute von den Universitäten nicht immer zureichend erfüllt werden:

Der Informatiker braucht umfangreiches Grundlagenwissen auf den Gebieten der Datenverarbeitung, der Kommunikationstechnik, der Künstlichen Intelligenz und der Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Bereichen. Dazu müssen Kenntnisse über verschiedenste Werkzeuge (Tools), die in der Informations- und Kommunikationstechnik zum Einsatz kommen vorhanden sein.

Doch zunehmend werden darüber hinaus auch andere Forderungen an den Informatiker gestellt: Kenntnisse über Organisation, soziale Zusammenhänge und betriebswirtschaftliche Größen werden für sein Tätigkeitsfeld gerade im Bereich der Mischberufe unentbehrlich sein. Beispielhaft seien hier Kosten-/Nutzen-Analysen oder Organisationsanalysen genannt, die neben allgemeinen Kenntnissen über Projektabläufe zu den Standardanforderungen bei der Projektarbeit gehören.

Die Integration und Kommunikation der verschiedenen Anwendungen der Informationstechnik erfordern Fähigkeiten und Kenntnisse eines übergeordneten Informationsmanagements.

Das Gebiet der Informationstechnik wird zunehmend komplexen und komplizierter. Integration ist Bestandteil von Begriffen wie integrierte Bürosysteme, computerintegrierte Fabrik, computerintegriertes Transportwesen und ähnlichem. Stets bedeutet dies die Verbindung von verschiedensten Systemen und Subsystemen zu einer funktionierenden Einheit. Saubere Definition von Schnittstellen und die getrennte Entwicklung von Subsystemen sind Voraussetzung, solche Projekte zu einem Ergebnis führen zu können.

Damit wird von einem Informatiker, der an solchen Projekten beteiligt ist, neben der reinen Fachkompetenz zunehmend die Fähigkeit zur Teamarbeit verlangt. Teamarbeit beschränkt sich hier nicht auf das Verstehen eines anderen Informatikers mit seinem Spezialwissen, sondern bezieht ausdrücklich das Gespräch mit Fachleuten aus Anwendungsgebieten mit ein.

Die soziale Kompetenz wird damit zu einem wichtigen Faktor für viele Informatiker, wenn auch nicht verhehlt werden kann, daß Tüftler, der geniale Einzelgänger, auch in Zukunft sein Betätigungsfeld findet. Nur in einer vernetzten Gesellschaft werden die Inseln immer seltener.

* Zu den Konsequenzen aus technischen Entwicklungen wie CIM und Büroautomatisierung: Mit welchen Kenntnissen und Fähigkeiten ist besonders die Schnittstellenproblematik zu angrenzenden Bereichen der Informationsverarbeitung - wie beispielsweise Büro- und Telekommunikation sowie computerintegrierter Fertigungsbereich - erfolgreich zu bewältigen? Sind eigentlich die Lehrinhalte an den Hochschulen dazu noch adäquat? Wenn nicht: Wo sollte der Student - Informatiker und Ingenieur Eigeninitiative entwickeln?

Wie schon erwähnt, erfordert jedwede Form der Integration die Fähigkeit zur Teamarbeit. Darüber hinaus ist Wissen über die Anwendungsbereiche nie schädlich. Wer ein Büroautomationssystem beschreiben oder sogar noch mit Hilfe der Datenverarbeitung realisieren will, kommt nicht darum herum, sich näher mit Büroarbeit und ihren Eigentümlichkeiten zu beschäftigen.

Der Anwender muß zunehmend von routinemäßigen Nebentätigkeiten entlastet werden, damit er mehr Zeit für seine - kreativen - Hauptaufgaben erhält. Dem Informatiker fällt dabei die Aufgabe zu, diese Nebentätigkeiten zu automatisieren und die richtigen Hilfsmittel für die Erledigung der Hauptaufgaben bereitzustellen. Für diese Aufgaben muß er die Anwendungen sehr gut analysieren und verstehen können. Hierbei sind praktische Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen sehr hilfreich.

Informatik ist als ein spezielles Anwendungsgebiet aus der Mathematik entstanden. Grundlagenforschung und Grundlagenentwicklung haben dieses Gebiet zu einem eigenständigen Bereich an den Hochschulen gemacht. War früher die Informatik als Anwendung von Grundlagenwissen aus der Mathematik und Physik zu verstehen, so ist heute die Informatik selber Grundlage und wird zur Problemlösung und zu Anwendungen herangezogen. Die Universitäten sind also gut beraten, jedem Studenten nicht nur zu ermöglichen, sondern zur Pflicht zu machen, neben den Grundlagen, die die Informatik legt, mindestens einen Anwendungsbereich in das Studium mit aufzunehmen. Nur dann sind auf Dauer die Chancen der Informatiker am Arbeitsmarkt gut. Jeder Student kann dies feststellen, indem er etwa durch Ferienjobs oder Praktika Erfahrung aus Anwendungsgebieten erhält.

* Welche Rolle spielt die Praxis während des Studiums? Wie nutzbringend ist sie für den Berufserfolg?

Gerade in Mischberufen sind praktische Erfahrungen für die Lösung von Projekten fast unerläßlich. Diese schon zu Zeiten des Studium vorweisen zu können, ist sicher ein Bonus, an dem kein interessierter Arbeitgeber vorbeigehen kann. Wer diese Erfahrung fundiert, das heißt in Form von ein oder zwei Praxissemestern oder gar in Form einer praktischen Tätigkeit vor dem Studium nachweisen kann, findet den qualifizierten Einstieg in einen Beruf. Bei entsprechender Bewährung sind mit diesem Rüstzeug auch alle Karrierechancen offen. Ergo: Der Nutzen von Praxiserfahrung ist heute auch im Bereich des Informatikstudiums nicht hoch genug anzusiedeln.

* Was wurden Sie einer angehenden EDV-Fachkraft raten, wie er/sie sich derzeit auf die gewandelten beruflichen Anforderungen vorbereiten kann?

Ziehen wir wieder die Unterscheidung von EDV-Berufen in Kern-, Misch- und Randberufe heran, dann ist der Informatiker in seiner traditionell geprägten Form als hochspezialisierter Fachmann für Datenverarbeitungsgrundlagen auf das doch recht enge Feld der Kernberufe beschränkt. Die eigentlichen Wachstumschancen im DV-Markt liegen aber im Bereich der Mischberufe. Der Informatiker wird das bei seinem Eintritt in den Beruf feststellen. Eine zusätzliche Spezialisierung im Informatikstudium, etwa nur auf einen Teilbereich des standardisierten Informatikrepertoires, kann zu einem bestimmten Zeitpunkt einen problemlosen Einstieg bedeuten, etwa wenn Chipdesigner gerade gesucht werden. Zu einem anderen Zeitpunkt - und das braucht nur ein halbes Jahr später zu sein - wird er verschlossene Türen vorfinden. Stets weitgehend offene Türen wird nur derjenige vorfinden, der neben seinem breit angelegten Grundlagenwissen qualifiziertes Anwendungswissen, besser noch qualifizierte Anwendungserfahrungen mitbringt.

* Wie kann der Praktiker seinen "Know-how-Update" angehen?

In der Tat unbestritten ist heute, daß jeder Praktiker sein Know-how ständig erweitern und aktualisieren muß. Regelmäßiges Lesen von Fach-Publikationen und Zeitschriften ist heute eine notwendige Forderung für jeden Praktiker, damit sich wichtige Entwicklungen nicht von ihm unbemerkt vollziehen. Zur Aus- und Weiterbildung gehören der Besuch von Seminaren, Workshops sowie in besonderen Fällen die Durchführung von Zusatzstudien.

Weiterbildung sollte allerdings nicht nur auf die Vervollkommnung der Kenntnisse im bisherigen Fachgebiet ausgerichtet sein. Neue Themen, die sich häufig zunächst als Spezial- oder Randthemen ankündigen, werden schnell zu unverzichtbaren Fähigkeiten. So müssen heute Fähigkeiten des Informationsmanagements zusammen mit breiter sozialer Qualifikation als wichtig für die Praktiker bezeichnet werden.

Seminare zu den verschiedensten Themen werden vorrangig von den Herstellern von Computer- und Anwendungssystemen angeboten. Auch Kammern bieten heute ein breites Spektrum an Ausbildungsmöglichkeiten. Darüber hinaus haben sich zahlreiche Institutionen auf dem Markt etabliert, die Weiterbildung zu den verschiedensten Themen anbieten.

Weiterbildung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie qualitativ hochwertig ist. Die Qualität der Ausbildung wird zunächst bestimmt durch die Qualität der Dozenten, dann durch die Ausstattung der Institutionen mit Systemen. - Die Gesellschaft für Informatik hat dazu Qualitätskriterien veröffentlicht, nach denen jeder Interessent die angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen beurteilen kann.

Hier kann sich künftig ein Betätigungsfeld, sowohl für die Hochschulen, wie auch für Fachhochschulen und Berufsakademien entwicklen. Größere Umstellungen sind in der Regel mit einem aufwendigen Erwerb von zusätzlichem Wissen verbunden. Dieses ist mit zwei-, drei- oder vierwöchigen Kursen selten zu bewerkstelligen. Es könnte also eine interessante Zukunftsvision sein, wenn hier die Universitäten Kurzstudien in praxisorientierter Form, entweder berufsbegleitend oder in Form eines oder zweier Semester für die Weiterbildung von Praktikanten anbieten würden.