Integration erfordert hohen organisatorischen Aufwand (Teil I) Schriftgutverwaltung: Heutige BK-Systeme sind oft überfordert

19.04.1991

Für viele Anbieter scheinen die Themen "Bürokommunikation" und "Dokumentenverwaltung" prinzipiell gelöst zu sein. Jeder Anwender, der sich praktisch mit diesem Aufgabenkomplex auseinandersetzen muß, weiß jedoch, daß die heutigen BK-Systeme in der Regel nur einige Basiswerkzeuge bereitstellen, tatsächlich aber die Anforderungen einer Organisation nur unzureichend erfüllen können.

Ein wesentlicher Grund für dieses Manko ist, daß die meisten BK-Lösungen einen Aufgabenbereich ausgrenzen, der für viele Unternehmen und Behörden einen wesentlichen Schwerpunkt der "papierbezogenen" Aktivitäten darstellt, nämlich die Schriftgutverwaltung. Wichtige Bereiche in diesem Zusammenhang sind die unternehmensspezifische Registratur und Archivierung, die oftmals durch besonders ausgebildete Mitarbeiter (Registratoren, Archivare) unterstützt werden. Die heute verbreiteten BK-Systeme verfügen zwar über Werkzeuge zur Ablage und Langzeitspeicherung. Häufig können zu Dokumenten auch Stichworte vergeben werden, über die sich Dokumente wieder auffinden lassen. Teilweise wird sogar eine Volltextrecherche unterstützt. Die tatsächlichen Anforderungen der Schriftgutverwaltung werden dadurch jedoch nur ansatzweise abgedeckt.

Während die Ablage in BK-Umgebungen vorrangig das Ziel hat, einen schnellen Zugriff auf einzelne Dokumente oder Informationen zu unterstützen, ist die Herstellung einer effizienten und aufgaben- beziehungsweise vorgangsorientierten Ordnung der Dokumente eines der Hauptziele bei der Organisation der Schriftgutverwaltung. Sie ist inhaltlich auch weiter gefaßt als die in Bürokommunikationssystemen übliche Ablage, da auch papierbezogene Informationen (zum Beispiel Eingangspost handschriftliche Notizen Prospekte und Bücher) registriert und archiviert werden müssen.

Ein wesentlicher Unterschied zur üblichen Dokumentenverwaltung in BK-Systemen ist auch, daß im Rahmen der Schriftgutverwaltung die Akte beziehungsweise der Vorgang im Vordergrund steht und weniger das einzelne Dokument. Akten- oder vorgangsorientierte Systeme, die sowohl die Registratur als auch die Archivierung im Sinne der Schriftgutverwaltung unterstützen, bilden heute noch die Ausnahme - ganz zu schweigen von einer integrierten Gesamtlösung, die die Möglichkeiten der Bürokommunikation berücksichtigt. Betrachtet man eine technische Registratur- und Archivlösung, so stehen die beiden Bereiche logisches Verwaltungssystem (zum Beispiel Abbildung der Ordnungssystematik) und Objektspeicherung im Vordergrund. Während der Bereich der logischen Objektverwaltung grundsätzlich als gelöst betrachtet werden kann, beispielsweise auf der Basis von Datenbankansätzen, ist man von einer gewünschten Lösung bei der integrierten Objektspeicherung noch ein ganzes Stück entfernt.

Für den Anwender bedeutet dies, daß er noch eine ganze Weile auf Lösungen warten muß, die ihm beispielsweise aus einer BK-Umgebung heraus nicht nur den Fundort oder ein Summary des gewünschten Objektes präsentiert, sondern gleichzeitig das Objekt (Text, Daten, Bild, kodiert/unkodiert) auf den Bildschirm bringt.

Optische Speicher zu komfortablen Recherche

Als heute gebräuchliche Informationsträger zur Objektspeicherung im Rahmen der Schriftgutverwaltung kommen unterschiedliche Speichermedien in Frage, beispielsweise Papier, Mikrofilm, Mikrofiche oder digitale Medien (magnetisch, optisch). Insbesondere die Entwicklung von optischen, nichtreserviblen Speichersystemen und deren zunehmende Wirtschaftlichkeit läßt hoffen, daß das Angebot an Lösungen für Registratur und Archivierung zunehmen wird. Bei einem Einsatz optischer Speichermedien liegt der Nutzen oftmals in der schnelleren und komfortableren Recherche im Vergleich zu Mikrofilm und Papier sowie in den geringeren Speicherkosten im Vergleich zu Magnetspeichern und im Falle von kodierter Speicherung auch im Vergleich zu Papier.

Heute ist das auf optischen Speichermedien aufbauende Systemangebot noch weitestgehend von herstellerspezifischen Insellösungen geprägt, die an organisationsspezifischen Gegebenheiten und Integrationsanforderungen in aller Regel völlig vorbeigehen. Zwar werden diese angebotenen Archivierungslösungen im allgemeinen nicht dem Anspruch der Schriftgutverwaltung gerecht, allerdings bereiten sie einen Markt vor, der sich in den nächsten Jahren sprunghaft entwickeln wird.

Noch sind die meisten der heute verfügbaren Lösungen, etwa optische Plattensysteme als technische Insellösungen ausgelegt, die wenig Rücksicht in bezug auf die organisatorischen und informationstechnischen Gegebenheiten einer Organisation nehmen.

Erschwerend kommt hinzu, daß die Unterstützung der Registraturanforderungen bei diesen Systemen äußerst mangelhaft ist.

Für eine echte Integration fehlt es an Schnittstellen

Zwar erwecken viele Prospekte den Anschein, als handele es sich bei der Schriftgutverwaltung um ein rein technisches Problem, das mit dem Kauf des entsprechenden Produktes gelöst sei.

Tatsache ist aber, daß ein erheblicher organisatorischer Aufwand zur Vorbereitung und Integration einer derartigen Lösung erforderlich ist, der von den Anbietern meist verschwiegen wird. Nach Erfahrungen von Diebold ist bei der Einführung von "echten" Registratur und Archivierungslösungen mit zirka 70 Prozent organisatorischem und lediglich 30 Prozent technischem Aufwand zu rechnen.

Typische Problembereiche der heute am Markt befindlichen Lösungen sind:

- nicht ausreichende Registraturfunktionalität,

- keine Unterstützung der Koexistenz von Papier und elektronischen Dokumenten,

- unzureichende Integrationsansätze zur Einbindung der Lösung in Form eines Basiswerkzeuges der Bürokommunikation und

- mangelnde logische sowie technische Schnittstellen zur Einbindung in eine bestehende Kommunikationsinfrastruktur.

Aufgrund dieser und weiterer Probleme muß der Anwender auf eine sorgfältige organisatorische Vorbereitung, auf den Einsatz von Standards, die Adaptierbarkeit der Lösung an seine unternehmensspezifische Umgebung sowie auf einen stufenweisen Auf- und Ausbau besonders achten. Bei der Berücksichtigung dieser Vorbedingungen führt der Einsatz derartiger Lösungen zu vielfältigen Verbesserungen bei der Abwicklung der täglichen Arbeit, insbesondere dann, wenn die Registratur- und Archivlösung in eine Bürokommunikationslösung eingebunden wird. Unternehmen und Behörden können daraus folgenden Nutzen ziehen:

- Verringerung der Bearbeitungzeiten für einen Vorgang,

- verbesserte Entscheidungsgrundlagen durch aktuelle, konsistente und vollständige Informationen,

- Möglichkeit zur "papierlosen" Einsicht in Akten und Vorgänge,

- einfacher Informationsaustausch,

- vorgangsorientierte Nutzung bereits archivierter Informationen sowie

- Verringerung von manuellen Routineabwicklungen und damit Humanisierung von Arbeitsplätzen.

Der Wegfall von Papier ist nicht zu erwarten

Es darf allerdings nicht erwartet werden, daß eine informationstechnische Unterstützung der Schriftgutverwaltung zu einem Wegfall von Papier führen wird. Die Schriftgutverwaltung beschränkt sich nicht nur auf elektronische Nachrichten, sondern umfaßt die Registrierung und Archivierung aller möglichen Arten von physischen Informationsträgern. Daher muß grundsätzlich von einer Koexistenz zwischen papierbezogenen und elektronisch verfügbaren Dokumenten und Akten ausgegangen werden. Diese verschiedenen Welten sind im Rahmen einer umfassenden Konzeption zu integrieren. Bei der Erstellung derartiger Konzepte hat sich immer wieder gezeigt, daß zunächst insbesondere organisatorische Fragen (zum Beispiel Aufbau und Abbildung von Aktenzeichen, Registraturinformationen, Zugriffsberechtigungen und Einbindung der technischen Lösung in die Organisation) gelöst werden müssen, bevor Investitionen in die Technik getätigt werden sollten.

Aufbewahrung im Archiv sollte von Dauer sein

Die Anforderungen, die an eine Registratur- und Archivlösung gestellt werden, sind vielfältig. Wesentlich ist eine gesamtheitliche Unterstützung der Funktionen der Schriftgutverwaltung, die normalerweise in die Kategorien Ordnen, Registrieren, Aufbewahren, Bereitstellen und Aussondern aufgeteilt werden. Weiterhin muß die geplante Lösung flexibel an neue organisatorischen Strukturen, Schriftgutverwaltungsformen und informationstechnischen Gegebenheiten angepaßt werden können.

Eine wesentliche Anforderung betrifft auch die dauerhafte und unverfälschbare Aufbewahrung im Archiv. Dadurch ergibt sich bereits eine verringerte Anzahl einsetzbarer Technologien.

Zusätzlich muß die Lösung neben den einschlägigen Aspekten hinsichtlich Datenschutz und -sicherheit weiteren spezifischen juristischen Anforderungen, beispielsweise Aufbewahrungsfristen, genügen. Weiterführende und insbesondere für die Öffentliche Verwaltung sehr wichtige Themen sind die arbeitsplatz-übergreifende Verfolgung von Vorgängen, elektronische Unterschriften sowie die Realisierung komplexer Mitzeichnungsverfahren.

Um eine hohe Benutzerakzeptanz zu erhalten und gleichzeitig die zu planende Lösung erfolgreich in die Praxis umsetzen zu können, haben sich folgende Leitlinien bei Konzepten zur Schriftgutverwaltung bewährt:

- Die technische Lösung soll den Anwender ermuntern von sich aus die neuen Technologien einzusetzen.

- Alte und neue Verfahren der Schriftgutverwaltung sollten in Koexistenz bestehen können.

- Der Übergang zu einer weitgehenden informationstechnischen Unterstützung der Schriftgutverwaltung muß in Stufen erfolgen.

Praktische Erfahrungen im Bereich der Registratur und Archivierung haben gezeigt, daß mindestens folgende Aufgabenbereiche untersucht werden müssen: funktionale

Strukturen, Informationsobjekte, Ordnungssystematik, Verfahren und räumliche Aspekte.

(wird fortgesetzt)