Integration: Anspruch und Wirklichkeit

17.08.1990

Ein neuer Trend in der trendigen Computerbranche: Die DV-Hersteller konzentrieren sich auf den vermeintlichen Wachstumsmarkt der System-integration. Was hat es mit diesem Service-Markt auf sich? Die Fachleute streiten sich. Es geht um die Frage, ob "System-Integration" wirklich ein Geschäft oder nur ein weiteres Marketing-Schlagwort ist. Rufen wir uns zunächst in Erinnerung: Die kommerzielle Datenverarbeitung in einem Unternehmen stützte sich in der Regel auf die proprietäre Hardware und Software eines Herstellers. Die oft beschriebene, von Big Blue-Kritikern belächelte "IBM-Abteilung", Synonym für den DV/Org. Bereich, ist das klassische Beispiel für eine derartige Monokultur. Nach ähnlichem Muster waren aber auch die Kundeninstallationen der sogenannten "BUNCH"-Anbieter (Burroughs, Univac, NCR, Control Data, Honeywell) aufgebaut. Multi-vendor-Umgebungen bei den Rechnern gab es nicht - gemixt wurde allenfalls an der Peripherie.

Die BUNCH-Zeiten sind vorbei - von Geschäften mit proprietären Systemen allein kann keiner mehr leben. Verheißung auf Markt und Macht in einer "offenen DV-Welt" finden die Nicht-IBM-Anbieter in der Unix-Bewegung. Doch ist die Zukunft dieser Gegenkultur unsicher - eines Tages könnte die System-Anwendungs-Architektur SAA der IBM zu einer unüberwindlichen Hürde für die Wettbewerber werden. In dieser Situation setzen die IBM-Konkurrenten auf die Karte "System-Integration". Inkompatible Systeme, kaum portable Software, nur wenig Kommunikations-Equipment, das die unterschiedlichen Rechnerwelten wirklich verbindet - die Anwender stehen vor der größten Krise seit der Erfindung der Lochkarte. Multi-vendor-System-Integration müßte in der Tat Konjunktur haben. Doch drei Voraussetzungen müssen bei den Anbietern gegeben sein: 1. Marktkenntnis; 2. technisches Know-how; 3. Glaubwürdigkeit.

Marktkenntnis und technisches Know-how haben die DV-Hersteller. Diesbezüglich sollte man die Kritik nicht übertreiben. An der Kompetenz zu zweifeln, ist mehr als angebracht. Die DV-Industrie hat allzu lange toleriert, daß die IBM nach Belieben Standards setzt, die nur sie kontrollieren und manipulieren kann. So ist der Multi-vendor-Verhau das Ergebnis einer Marktpolitik der Versäumnisse. Hätten wir herstellerunabhängige Standards, gäbe es das Problem nicht, das die DV-Hersteller durch System-Integration lösen wollen. Sie werden sich, was ihre Glaubwürdigkeit betrifft, daran messen lassen müssen, wie stark sie OSI und dergleichen unterstützen. Anwender, die sich ganz der IBM-Linie verschrieben haben, werden ohnehin nur (System-)Integrationshilfen der IBM (SAA!) in Anspruch nehmen. Für die anderen löst sich das Problem mit zunehmender OSI- und Unix-Verbreitung von selbst.