Wettbewerbsdruck erzwingt DV-Umdenken

Integration alter Programme mit relationalem DB-System

19.10.1990

Reduzierung der Lieferzeiten und schnellere Reaktion auf Kundenanfragen zählten zu den entscheidenden Gründen, die bei einer Hartmetall-Werkzeugfabrik für die Installation eines Datenbanksystems sprachen. Auch sollte eine Durchgängigkeit des gesamten unternehmerischen Informationsprozesses geschaffen werden. Karl-Heinz Renz beschreibt den DV-Einsatz.

Die Hawera Probst GmbH & Co. in Ravensburg stellt hartmetallbestückte Werkzeuge für Elektro-Handmaschinen her. Diese speziell auf die Beton-Bearbeitung zielenden Bohrer und Durchbruchwerkzeuge werden zum Teil von den Maschinenherstellern unter eigenem Label vertrieben, zum Teil aber auch an den Fachhandel geliefert und als Hawera-Produkte angeboten. Daneben vertreibt das Unternehmen auch Handelsware für die Bearbeitung von Holz und Metall. Insgesamt umfaßt das Sortiment zirka 12 000 Artikel, wovon fast 4000 aus eigener Fertigung stammen.

Besonders hohe Anforderungen an die Logistik stellt das sogenannte Erstausrüster-Geschäft mit den Maschinenherstellern. Auf diesem Sektor hat der Wettbewerbsdruck in den vergangenen Jahren stark zugenommen, so daß man unter anderem gezwungen war, die Reaktionszeiten auf Kundenanfragen erheblich zu reduzieren.

Etwas kürzere Durchlaufzeiten

Die Durchlaufzeiten in der Fertigung lassen sich aus technischen Gründen kurzfristig nur in beschränktem Maß reduzieren, von etwa sechs auf drei bis vier Wochen, und der für Kommissionierung und Auslieferung benötigte Zeitraum von zwei Wochen ist - hauptsächlich wegen der Transportzeiten - überhaupt nicht reduzierbar. Folglich konzentrierten sich die Anstrengungen auf die Senkung der Vorlaufzeiten.

Sechs Wochen wurden traditionell für die Vorbereitung des Produktionsprozesses veranschlagt. Dazu gehören Vorgänge wie die Beschaffung von Rohmaterialien, die Planung der Kapazitätsbelegung und das Ausstellen von Fertigungspapieren.

Um diesen Sektor zu rationalisieren, war es notwendig, eine umfangreiche Umorganisation der betrieblichen Abläufe vorzunehmen. Allgemein ausgedrückt ging es darum, die verschiedenen in die Produktionsvorbereitung involvierten Bereiche - Vertrieb, Logistik, Forschung und Entwicklung, Produktion/AV - zu integrieren, damit die Abwicklung des Gesamtprozesses und nicht die Erledigung der abteilungsspezifischen Teilaufgaben im Vordergrund stand.

Das alte Prinzip bedeutete ja, daß jeder Funktionsblock sein eigenes Informationsmanagement betrieb. Der Logistikbereich führte seine Bestandslisten ebenso, wie Vertrieb, Produktion und die Buchhaltung, die ihre eigenen Dateien beziehungsweise Karteikästen nebeneinander unterhielten. Die Kommunikation wurde über Laufzettel geregelt - ein umständlicher fehlerträchtiger und zeitraubender Prozeß.

Bei der Suche nach Lösungen wurde bald klar, daß die Frage eines effizienten Informations-Managements nicht nur DV-technischer oder rein organisatorischer Art ist, sondern die gesamte Unternehmensstruktur betrifft. Der Name, der solchen umfassenden Reorganisationskonzepten gerne gegeben wird - Computer Integrated Manufacturing (CIM) - betont viel zu sehr die technische Seite, nämlich den Computer, und zu wenig den eigentlichen Kern der Sache, nämlich die Integration aller Unternehmensbereiche.

Diese Integration erfordert vielfältige Veränderungen, an der sämtliche Unternehmensfunktionen beteiligt sind und die nur dann wirksam durchgeführt werden können, wenn die Unternehmensleitung die notwendigen Maßnahmen voll unterstützt.

Eine Methode zur Reduzierung der Lieferzeiten auf das vom Markt geforderte Maß besteht im Einsatz von Prognose-Systemen, die auf Grundlage der gespeicherten Absatzzahlen den von den verschiedenen Kunden zu erwartenden Auftragseingang ermitteln. Die Produkte werden dann im vorhinein als "weiße Ware" gefertigt und gelagert. Ihre Konfektionierung kann nach Auftragseingang innerhalb einer Woche erfolgen.

Deshalb liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten auf der Reduzierung der Lieferzeiten der kundenauftragsbezogenen Fertigung im Erstausrüster-Geschäft (OEM). Prognosen sind auf diesem Sektor allerdings schwierig, weil eine Kontinuität der Auftragseingänge wie bei der im Monats- oder sogar Wochen-Rhythmus nachgeführten Handelsware nicht gegeben ist.

Als das Management sich 1984 entschloß, ein umfassendes DV-Konzept zu entwickeln, konnte nicht auf der grünen Wiese geplant werden. Es bestanden bereits Anwendungen, und diese sollten, wenn möglich, ins neue System übernommen werden. Glücklicherweise hatte man im Hause Hawera von Beginn des Computer-Einsatzes an gewisse Grundsätze der Informatik berücksichtigt. So waren etwa die Datenstrukturen entsprechend den Regeln der Normalisierung angelegt, so daß eine Übernahme in ein relationales Datenbank- Managementsystem (RDBMS) ohne gravierende Änderungen möglich war.

Kriterien für die Auswahl

Das auszuwählende Datenbankprogramm, das das Zentrum des neuen DV- Konzepts bilden sollte, mußte folglich über eine Transparency-Funktion verfügen, mit der sich die bestehenden Anwendungen beibehalten ließen. Weitere Auswahlkriterien für das Datebanksystem waren vorhandene Werkzeuge wie Data Dictionary, Abfragesprache und Hochsprache der Vierten Generation für die Anwendungsentwicklung sowie die Möglichkeit der PC-Kopplung.

Der Gesichtspunkt verfügbarer Standardprogramme für die einzelnen Anwendungen wurde bei der mit einem Beratungsunternehmen vorgenommenen Ausarbeitung des DV-Konzepts nachrangig behandelt. Man wollte die bestehenden Systeme übernehmen können und gleichzeitig Werkzeuge für eine schnelle Reaktion auf Entwicklungs-Anfragen erhalten. Im Verlauf der insgesamt vier Monate dauernden Planungsphase kristallisierte sich bald heraus, daß eine solche Entwicklungs-Umgebung nur mit einem RDBMS realisierbar ist.

Datacom/DB - damals ein ADR-Produkt, heute von Computer Associates vermarktet - wurde 1985 auf dem unter VSE laufenden IBM-Rechner vom Typ 4381 installiert. Das Überspielen der wichtigsten Anwendungen mit Hilfe der Transparency-Funktion geschah innerhalb von drei Monaten.

Die Eigenschaft der VSAM Transparency war bei der Systemauswahl ein entscheidender Faktor gewesen. Die ansonsten notwendige Konvertierung der Anwendungen hätte einen erheblichen zusätzlichen Aufwand an Zeit und Personal bedeutet.

Umstellung auf Online-Betrieb

Parallel zur sukzessiven Übertragung einzelner Anwendungen startete das erste große Entwicklungsprojekt, die Umstellung der Produktion von einer Batch-orientierten Lösung auf den Online-Betrieb. Dabei wurden auch wesentliche funktionale Erweiterungen vorgenommen.

Im Gesamtkonzept der informationstechnischen Integration aller Bereiche bildete die Umstellung auf den Online-Betrieb die erste Stufe. Das Schließen der Lücken in der Anwendungspalette bis hin zu einem kompletten PPS-System war der zweite Schritt auf diesem Weg. Das PPS-System, das heute voll funktionsfähig ist, umfaßt die Bereiche Grob- und Feinplanung, Fertigungssteuerung, Grunddaten-, Arbeitsplan- und Stücklisten-Verwaltung sowie ein Statistik-Controlling-Modul.

Momentan befindet sich das Unternehmen in der dritten Phase, die unter dem Schlagwort "horizontale Integration" steht. Die Systeme werden "prozeßfähig" gemacht. Das heißt die Kommunikation zwischen den einzelnen Anwendungssystemen wird so weit ausgebaut, daß nicht mehr der jeweilige Bereich mit seinen Teilaufgaben, sondern der Prozeß, den das Produkt in der Planung, Vorbereitung und Fertigung durchläuft, im Zentrum der Datenverarbeitung steht.

Identifizierungssystem für die einzelnen Produkte

Ein Beispiel für die Durchgängigkeit der Informationsprozesse ist der Produktschlüssel. Damit wurde ein Identifizierungssystem für die einzelnen Produkte geschaffen, das es vor Installation der Datenbank nicht gab. Früher bediente man sich diverser Hilfseinrichtungen, um aus den verschiedenen Nummernsystemen die gewünschten Informationen herauszuholen.

Wenn heute beispielsweise eine Produktentwicklung ansteht, dann signalisiert das System bei jedem Definitionsschritt, welche bereits existierenden Produkte die geforderten Merkmale aufweisen, so daß sich häufig Neuentwicklungen erübrigen. Die Produktbeschreibungen lagen früher in unformatierter Form vor. Erst das Datenbanksystem hat die Möglichkeit geschaffen, den Bestand systematisch auf bestimmte Merkmale hin zu durchsuchen.

Die höchsten Anforderungen an die Produktionsplanung und -steuerung stellen, wie eingangs bereits gesagt, die Neuanfertigungen für Erstausrüster. Auf diesem Geschäftsgebiet reichen normale Dispositionssysteme, mit denen die Kapazitätsauslastung kontinuierlich fortgeschrieben wird, nicht aus. Man muß zusätzlich Auftragssimulationen durchführen können, die exakte Terminplanung auch für kurzfristig angenommene Aufträge ermöglichen.

Die Voraussetzung dafür wurde durch eine vereinfachte Betrachtungsweise der Fertigungskapazitäten geschaffen. Statt in Stückzahlen -werden die Kapazitäten in Produktionseinheiten gemessen. Der Unterschied besteht vor allem darin, daß die Produktionseinheit eine für die Planung frei verfügbare Größe ist, während die Bereitstellung von Stückzahlen immer an einen bestimmten Produktmix gebunden war. Um diesen braucht man sich heute nicht mehr zu kümmern.

Ein Sachbearbeiter, der einen Produktauftrag abwickelt, gibt nur noch einen Wunschtermin für die Fertigstellung ein. Das System überprüft zunächst einmal die Verfügbarkeit des Materials und sucht dann, vom Endtermin ausgehend die verfügbaren Kapazitäten in den einzelnen Maschinengruppen. Dabei wird sofort simulativ reserviert. Falls der Auftrag nach Ablauf der Simulation bestätigt wird, erfolgt die echte Reservierung der Kapazitäten.

Die gesamte Simulation nimmt in der Regel weniger als eine Minute in Anspruch. Man ist heute also imstande, Kundenanfragen umgehend zu beantworten. Der sich aus einer solchen Anfrage ergebende Fertigungsauftrag wird im Fertigungsbereich feinterminiert.

An einer durchgängigen Echtzeit-Verarbeitung, die dann auch das Prinzip der Just-inTime-Fertigung (JIT) realisiert, wird derzeit in zwölf parallel laufenden Projekten gearbeitet. Vor allem mit der Vernetzung des Produktionsbereichs, beispielsweise mit Maschinen-Terminals und BDE-Geräten, sollen die Voraussetzungen für JIT geschaffen werden.

K.-H. Renz ist Leiter Organisation und Informationsverarbeitung bei der Hawera Probst GmbH & Co. in Ravensburg.