Integration: 1987 ein viel strapaziertes Schlagwort

15.01.1988

Integration war 1987 das Schlagwort schlechthin in der DV-Welt. Ob Messen, Kongresse, Tagungen, Seminare - alles drehte sich um dieses Thema. Dennoch möchten viele DV-Profis das vergangene Jahr nicht als das "Jahr der Integration" herausgestellt sehen. Zwar, so Günter Schorn aus München, seien 1987 manche Höhepunkte in Sachen Integration zu verzeichnen gewesen, doch werde dieses Thema auch in Zukunft weiter im Mittelpunkt stehen und neue Realisierungsmöglichkeiten bringen. Dabei steht für Schorn jedoch weniger die technische Machbarkeit im Vordergrund. Vielmehr ist seiner Meinung nach die Integration neuer Lösungen für ein Unternehmen nur dann sinnvoll, wenn "sie wirtschaftlich vertretbar sind, gebraucht werden, und die Mitarbeiter in der Lage und vorbereitet sind, sie anzuwenden". Auch vermag der "Integrations-Trubel" des vergangenen Jahres nicht darüber hinwegtäuschen, daß für viele Unternehmen längst nicht alles Gold ist, was da in den Vorträgen in leuchtenden Farben ausgeführt wurde. Vor allem die DV-Belange der mittleren und kleinen Unternehmen blieben in den Veranstaltungen 1987 weitgehend unberücksichtigt. So betont denn auch DV-Leiter Josef Fromme aus Hamm: "Die Veranstaltungsübersicht vom vergangenen Jahr brachte für uns keine brauchbare Perspektive."

Hochgejubelt und nichts dahinter - so läßt sich am besten umschreiben, was der ganze Trubel um das Thema Integration für unser Unternehmen gebracht hat. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sämtliche Diskussionen oder Präsentationen waren einzig auf die Belange der Groß-EDV und -Unternehmen abgestimmt. Die Interessen der mittleren und kleinen Datentechnik-Unternehmen wurden nur am Rande berücksichtigt.

Mittleren und kleineren Betrieben ist mit allgemeinen Darstellungen nicht gedient. Wir benötigen spezielle Lösungen und konkrete Fakten, aus denen wir ersehen können, wo und wie Integration eine Zukunft hat. Die Veranstaltungsübersicht vom vergangenen Jahr zeigte uns aber keine brauchbare Perspektive. Unbestritten ist allerdings, daß ein Vortrag oder eine Diskussion, die auf die Belange mittelständischer Unternehmen zugeschnitten ist, für uns eine deutliche Bereicherung wäre.

Josef Fromme

DV-Leiter, Hesse GmbH, Hamm

Gleiches gilt für das Produktangebot der Hersteller, bezogen auf das Thema Integration. Davon abgesehen, daß wir seit jeher nur auf die Hardware zurückgreifen und unsere Software selbst schreiben, offenbaren sich auch hier die Schwächen der Hersteller, sich auf die Belange der Mittelständler einzustellen. Nehmen wir das Beispiel Zeiterfassung, die gerade für die chemische Industrie aufgrund der eingeführten flexiblen Arbeitszeit jetzt von großer Bedeutung ist. Kein Hersteller kann uns die von uns benötigte simple, aber integrierte Lösung anbieten. Was nutzt uns ein Zeiterfassungssystem, das 100 verschiedene Funktionen standardmäßig beinhaltet, von denen wir zehn benötigen; wobei diese Standarddaten aber dann nicht ausreichen. Also bleibt uns nur der Weg der Eigenintegration.

Nicht nur dieses Beispiel zeigt deutlich, daß Integration für uns Mittelständler eine ganz andere Aufgabe ist als für Großbetriebe mit ihren vielzähligen DV-Möglichkeiten. Bei uns sind kleine Schritte gefragt, die dafür um so effektiver und kostensparender sind. Uns beschäftigt zum Beispiel, ob wir die Funktionen unseres Textautomaten auf unsere Anlage 8890 legen sollen oder vielmehr beide Systeme miteinander zu verbinden, indem wir die Bildschirme kombinieren. Darüber hinaus sind wir gerade dabei, unsere Händler mit PCs auszustatten, um ihnen alle Informationen per Diskette zuschicken zu können. Somit ist eine Integrationsaufgabe der Zukunft für uns, für eine Verbindung zwischen unserer DV und den Händler-PCs zu sorgen, damit diese ihre Informationen über das neueste Sortiment oder über spezielle Artikel, aber auch ganze Merkblätter per Leitung abrufen können. Dies bedeutet für uns derzeit Integration - und nicht all die hochgestochenen theoretischen Abhandlungen in Seminaren oder auf Messen.

Jürgen P. Hess

DV-Leiter, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

Nicht nur in der COMPUTERWOCHE 50/87, Seite 23 - "Ganzheitliche Konzepte und Standards ein Gebot der Stunde" - ist "Integration" ein zentrales Thema. Bei dem weit verbreiteten Hang der DV-Branche, Lösungen erst einmal durch neue Schlagworte oder eindrucksvolle Abkürzungen anzustreben, hat sich beim Anwender ein solides Mißtrauen gegen den "großen Wurf" entwickelt. Gerade der Begriff Integration ist hervorragend geeignet, alles oder nichts darunter zu verstehen - übertroffen nur noch vom Systembegriff.

Als Praktiker im DV-Bereich haben wir immer versucht zu "integrieren"; das fing mit dem revolutionären Versuch an, fremde Hardware am Telefunken-Rechner TR440 zu verwenden, und ist heute an einem Punkt angelangt, wo "grundsätzlich" alle Mikros mit dem oder den Mainframes kommunizieren können und mit den WANs die Grenzen mehr und mehr schwinden.

Dieser Weg ging über viele einzelne Schritte, über manchen Flop und die Einsicht, das nicht alles, was machbar ist, auch im eigenen Betrieb installiert werden kann und muß. Doch mehr und mehr wurden Normen, Schnittstellen und Netze zu Brücken zwischen den unterschiedlichen Rechnersystemen. Heute gehen wir davon aus, daß "übliche" Geräte auch immer "irgendwie" angeschlossen werden können.

War das nun alles? Sicher hat die gegenwärtige Diskussion ihren Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit einem Integrationskonzept, das sowohl organisatorische Lösungen wie Software und Hardware umfaßt. Das Zauberwort CIM ist hierfür ein gutes Beispiel. Die praktischen Ergebnisse der Integrationsdebatte scheinen mir eher in einem qualitativ veränderten Klima auf dem DV-Markt zu liegen, das sich nun in entsprechenden Produkten niederschlägt.

Einige Beispiele:

- Noch vor drei Jahren wollte die Digital Equipment (DEC) ihre Netze nur mit "intelligenten" - natürlich aus dem eigenen Haus stammenden - Einheiten aufbauen. Heute bietet DEC nicht nur den "Vaxmate" an, sondern - fast selbstverständlich - Hard- und Software, um einen ganz normalen PC des Industriestandards höchst komfortabel in eine DEC-Umgebung zu integrieren. Die VAX als Server!

- Noch vor wenigen Jahren gab es "Glaubenskriege" zwischen den Anhängern der verschiedenen Betriebssysteme. Ein Betriebssystem für Rechner unterschiedlicher Hersteller erschien utopisch. Heute gibt es nur noch wenige Rechner, die nicht auch unter Unix laufen.

- Noch vor wenigen Jahren war die Devise eines großen Softwarehauses (SAS), Produkte nur für IBM-Systeme anzubieten. Heute werden nicht nur andere Rechner "bedient", sondern die Software verbindet PC und Mainframe und System-Files können transferiert werden.

Nicht nur diese Produkte, auch die Reaktion der Hersteller hat sich geändert. Rechnerverbindungen, Öffnung der Software, durch Schnittstellen für den Übergang in andere Produkte etc. - wenn nicht vorhanden, so kann man wenigstens darüber reden, ohne deutliche Ablehnung des VB zu riskieren.

Günter Schorn

Direktor, Deutscher Lloyd Versicherungen, München

Der Begriff Integration ist im vergangenen Jahr sicherlich eines der am meisten verwendeten Worte in der DV-Welt gewesen. Dennoch möchte ich 1987 nicht als das Jahr der Integration herausstellen. Es ist vielmehr ein Jahr in einer Entwicklung, die uns Fortschritte auf dem Gebiet der Personal Computer und der Leitungskapazitäten, der Netzwerke, insbesondere deren höhere Leistungsfähigkeit und deren Normung, beschert hat. 1987 brachte in diesen Bereichen sicherlich so manchen Höhepunkt, nicht zuletzt deshalb, weil auch hardwaremäßig neue Möglichkeiten entwickelt wurden und zudem die Hersteller mehr und mehr als Problemloser auftraten. Das neue Jahr jedoch wird uns wieder Neuerungen und Fortschritte auf diesen und anderen Gebieten bringen. So war es auch in der Vergangenheit. Schließlich beschäftigt das Thema Integration uns Datenverarbeiter bereits seit Jahren, ohne jedoch für jede geschriebene Anwendung, jedes neu installierte System oder jede eigene entwickelte Lösung gleich den Begriff Integration zu strapazieren. Dennoch aber wurde dieser Terminus in den vergangenen Monaten viel benutzt, wurde zu einem der Schlagworte überhaupt in der DV-Branche.

Doch wie läßt sich dieses Schlagwort mit Inhalt füllen? Ein Aspekt der Integration ist für mich, Vorhandenes mit der Marktentwicklung abzugleichen und in einen zweckmäßigen Konsens zu bringen. Wichtig ist es, dies zum Nutzen eines Unternehmens und zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen für das Unternehmen wirksam zu machen. Denn es darf nicht darum gehen, um der Integration willen zu integrieren. Sie hat spätestens dort ihre Grenzen, wo sie nicht mehr bezahlbar ist und sich nicht rentiert. Sicher läßt sich heute bereits vieles technisch realisieren, doch noch sind oft die Kosten immens; darüber hinaus übersteigen häufig die vielfältigen Funktionen, die zum Beispiel ein PC-Arbeitsplatz schon bieten kann, die Möglichkeiten der Mitarbeiter. Deshalb kann die Integration neuer Lösungen für ein Unternehmen nur dann sinnvoll sein, wenn sie wirtschaftlich vertretbar sind, gebraucht werden, und die Mitarbeiter in der Lage und vorbereitet sind, sie anzuwenden. Außerdem müssen die neuen Ideen zum Ist-Stand passen.

Für uns als Dienstleistungsunternehmen liegt der Schwerpunkt des Integrationsgedanken bei den Anwendungen. Der Arbeitsplatz unserer Sachbearbeiter wurde sorgfältig analysiert und dann ein Konzept der Anwendungen erstellt. Eine Versicherung braucht Spartenanwendungen von der Lebens- bis hin zur Krankenversicherung; sie benötigt aber auch die Buchhaltung, die Materialwirtschaft, ein Inkassowesen, Vermögensverwaltungsprogramme, Personalsysteme, Bilanzprogramme etc. Es gibt Sachbearbeiter, die mit all diesen Dingen arbeiten müssen - und da fängt die logische Integration einer Anwendung an. Denn diese Sachbearbeiter brauchen eine einheitliche Benutzeroberfläche, in der sie Striche Arbeitsschritte, die ein Versicherungsvorgang mit sich bringt, bewältigen können, ohne immer wieder das System wechseln zu müssen. Dies haben wir zum Teil realisiert und sind noch dabei, es für die Sparten zu verwirklichen. Dabei ist es eine hohe Kunst, die neuen Systeme mit den vorhandenen in Einklang zu bringen. Da liegt auch die Kunst der Integration - nämlich fließend von einem Zustand in einen neuen zu überführen, ohne den Tagesbetrieb des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen. Somit ist die Kunst eigentlich, die Integration über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte so zu steuern, daß sie wirtschaftlich vertretbar bleibt und bezahlt werden kann, das Unternehmen auf der anderen Seite aber konkurrenzfähig bleibt.

Ein Beispiel, wie die Integration ganz schnell ihre Grenzen findet, obwohl man sie theoretisch durchdenken muß: Bildschirmtext etwa haben wir geprüft, weil es für ein Versicherungsunternehmen vielerlei Möglichkeiten parat hält: Wir könnten darüber Versicherungen verkaufen. Wir tun es aber nicht, weil der Privatkundenkreis viel zu klein ist und sich das für uns somit noch nicht rentiert. Deshalb ist Btx noch nicht in unseren Verkauf integriert. Aber: Wir haben - wie andere auch - Btx dazu genutzt, unseren Agenten, die zuvor mit Papier versorgt wurden, nunmehr die nötigen Informationen über Btx zukommen zu lassen. Damit liefern wir aktive Verkaufsunterstützung und Beratungsmöglichkeiten in das Büro des Agenten. Gleichzeitig haben wir das Problem so gelöst, daß wir keine Btx-Programme geschrieben haben, sondern mit dem Hersteller zusammen eine Systemsoftware erstellt haben, die es uns erlaubt, IMS-Anwendungen zu einem einfachen Btx-Terminal beim Agenten nutzbar zu machen. Das ist Integration im doppelten Sinne: Integration der Technik in die Verkaufsförderung und Integration des neuen Mediums Btx als technisches Vehikel in die eigene Datenbankumgebung. Am Beispiel Btx sehen wir Grenzen und Möglichkeiten gleichzeitig.

Es wäre noch vieles zum Thema Integration zu sagen. Allerdings würde das den Rahmen dieser Ausführungen sprengen.