Instant-Software

27.06.1980

Wenn die Anzeichen, die auf der diesjährigen Software AG-Benutzerkonferenz in Houston, Texas, erkennbar wurden, nicht trügen, ist der Anwender dabei, sich zu einem guten Teil von den Software-Einschränkungen zu befreien, die mit der jeweils eingesetzten Hardware bislang verbunden sind.

Eine explizite Unabhängigkeitserklärung (etwa: "Die Software-Erstellung sagt sich von den überkommenen Restriktionen los.") mochte freilich in Houston niemand abgeben. Und Software AG-Chef Peter Schnell bezeichnete es in lupenreinem Understatement als Charakteristikum der Konferenz, daß sie normal verlaufen sei. Der Pfeil jedoch, den die Darmstädter im Köcher haben, ist von derartiger Qualität, daß ein Anwender sarkastisch kommentierte, durch ihn (und durch das DB-System Adabas) werde Schnell für manche schon zum Guru.

Die Rede ist von Natural, jenem Software-Werkzeug, das SAG-Spitzenmann (und Natural-Ziehvater) Peter Pagé mit dem Arbeitstitel "Instant Online-Anwendungssystem" belegt hat, um damit deutlich zu machen, daß Natural die sofortige Implementierung einer Anwendung ermöglicht. Was dies in praxi bedeutet, skizziert Dan Nolan vom Civil Aeronautics Board, Washington D. C., und doppelt prämierter Anwender-Referent in Houston so:

- Befreiung des Anwendungsprogrammierers vom Spezifizieren der Ein-/Ausgabesteuerung und der Verarbeitungslogik, bevor er sich mit der Verarbeitung der Daten befassen kann (ein Nachteil, den auch Top-Down-Design, HIPO, Pseudocode und andere Methoden der

Strukturierten Programmierung nicht beseitigten)

- 150 Natural-Zeilen für ein exemplarisches Programm anstelle von 2000 Cobol-Lines-of-Code

- Schnelle Einarbeitung (Extremfall: Produktivität eines fast unerfahrenen Aushilfsstudenten schon nach sechs Stunden)

- Wirksames Error-Checking während des Codierens

- Geringere Abhängigkeit von high-sophisticated. System-Designern - und entsprechende Skepsis und Abneigung dieser Berufsgruppe gegen das unakademische, weil "nur" heuristische Natural.

Auf über 120 Installationen (weltweit) hat es Natural seit der Markteinführung vor sieben Monaten gebracht. Dies und die Überzeugung (auch auf Anwenderseite), mit Adabas das derzeit bestmögliche Datenbanksystem zu besitzen, macht selbstbewußt und stolz und verleitet dazu - Rückseite derselben Medaille-, die neugewonnen Freiheitsgrade in hämische Bemerkungen an die Adresse derjenigen umzumünzen, von denen man sich emanzipiert zu haben glaubt: Die Hardwarehersteller. So beispielsweise ein Anwender: "Zu 1401-Zeiten, da konnte man einen IBMer noch zu allem fragen; heute kommt da ein ClCS-Spezialist unaufgefordert über mehrere hundert Kilometer angereist, bloß weil ich meinem VB gegenüber eine Frage äußerte, die auch mit einem Blick ins Handbuch zu

beantworten gewesen wäre." Mit höhnischem Unterton auch Pagé, Stellvertreter im SAG-Vorstand: "Was hat IBM eigentlich an Nennenswertem selbst entwickelt? Das muß man fast schon fragen. Das Modell /360-95 damals war ein Flop, auch die 3790, bei der 8100 ist es noch nicht ganz entschieden; und selbst IMS ist, glaube ich, im Kern keine IBM-Entwicklung." Adabas, ergänzt Pagé, wird ausdrücklich als "relational strukturierte" Datenbank geführt, um nicht mit dem von IBM als relational bezeichneten System R fälschlich in einen Topf geworfen zu werden, wenn auch dies sich als Flop erweisen solle.

Letztlich jedoch blieb an der Houstoner Softwarefront alles noch im Rahmen; zu stark, erkannte man, sind die Hardwaregiganten, an deren Sockel man einmal rütteln durfte. Die aufmüpfigen Anwender zogen es vor, ungenannt zu bleiben.