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Instant Messaging goes Open Source

16.05.2000
Jabber soll AOL und Co. das Fürchten lehren

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Jabber Inc., die neu gegründete Tochter des E-Commerce-Spezialisten Webb Interactive, hat ein Open-Source-IM-(Instant-Messaging)-System veröffentlicht, das erstmals auch mit den proprietären Lösungen von AOL oder Microsoft kompatibel ist. Es basiert auf XML (Extensible Markup Language) und ist kostenlos. Das ehrgeizige Ziel der Macher von "Jabber 1.0" ist es, ihre IM-Technologie von der reinen Chat-Funktion zu einer XML-basierten (Extensible Markup Language) Kommunikationsplattform zu wandeln, die Anwendern die Interaktion mit Web-basierten Backend-Diensten erlaubt. Die Internet Engineering Task Force prüft derzeit, ob Jabber zum IM-Standard Instant Messaging and Presence Protocol (IMPP) erhoben werden soll.

Die neue IM-Server-Software basiert auf einer Reihe von Gateways, die IM-Nachrichten von einem Jabber-Anwender zum anderen oder zu Benutzern rivalisierender IM-Systeme leiten kann. Dabei kann Jabber auch mit proprietären Lösungen wie dem "AOL Instant Messenger" (AIM), Microsofts "MSN Messenger" oder "Pow Wow" von der CMGI-Tochter Tribal Voice kommunizieren. Dies ist möglich, weil die Software sich an das DNS-Adresssystem von E-Mail-Systemen anlehnt. Jabber versieht jeden Anwendernamen mit einem "@" und dem Namen der verwendeten Messaging-Plattform. Die Adresse eines IM-Benutzers sieht dann wie folgt aus: "Anwender@msn". "Aufgrund der Distributed-Architektur von Jabber kann erstmals jeder sein eigenes IM-System betreiben und sicher sein, dass Nachrichten nicht nur an andere Jabber-Systeme und -Anwender geschickt werden können, sondern auch zu Benutzern von anderen IM-Netzwerken," verspricht das Unternehmen Jabber.

Weitet sich der IM-Krieg auf Jabber aus?

Interoperabilität ist ein heikler Punkt in der IM-Geschichte, die bislang von den erbitterten Kämpfen zwischen AOL und Microsoft gezeichnet war. Als die Gates-Company im vergangenen Jahr ihr eigenes IM-Produkt mit einem Zugang zu AOLs AIM ausstattete, entwickelte der Online-Dienst Technologien, um diesen Zugriff zu blockieren. Es folgte ein Schlagabtausch zwischen den Giganten, der von Blockadebrüchen und neuen Abschottungsbemühungen gekennzeichnet war. Letztendlich hatte Microsoft jedoch klein begegeben und seine Version 2.0 nicht länger mit AIM-Kompatibilität ausgestattet (CW Infonet berichtete).

Jeremie Miller, neben Andre Durand Co-Chef von Jabber, hält einen Blockadeversuch von AOL durchaus für möglich, befürchtet jedoch keine wirkungsvollen Attacken des Online-Riesen. Schließlich sei es ziemlich schwierig, eine diffuse Menge unabhängiger Jabber-Server auszugrenzen. "Jeder kann unsere Server-Software und Gateways zu AIM installieren. Das heißt, AOL müsste jeden neuen Server identifizieren und blockieren. Wenn es einige tausend Anwender gibt, die einen einzigen Gateway zu AOL benutzen, können sie leicht entdeckt und herausgefiltert werden. Aber wenn Jabber zu Hause installiert wird und es ein oder zwei Leute gibt, die es benutzen, bin ich gespannt, was sie mit denen machen wollen," sagte Miller.

Jabber will in Red Hats Fußstapfen treten

Die Ursprünge des Unternehmens Jabber liegen in der Bewegung Jabber.org, die sich für ein Open-Source- und XML-basiertes IM einsetzt. Jabber.org wiederum ist beeinflusst von der Open-Source-Bewegung rund um Linux und dem Aufkommen von Distributed-Collaborative-Computing, vor allem von den Gnutella- und Napster-Projekten. Die Firma Jabber.com, Tochter von Webb Interactive, will nun in die Fußstapfen der kommerziellen Linux-Pioniere treten. Da die Jabber-Software kostenlos ist, will das Unternehmen wie die Linux-Distributoren Suse oder Red Hat durch Zusatzdienste wie Produktimplementierung, Beratung und andere Services Geld verdienen. "Jabber.com wird für Jabber.org das sein, was Red Hat für Linux ist", erklärte Andre Durand, General Manager und Co-Chef der US-Company. Nun hofft das Unternehmen auf eine möglichst schnelle Verbreitung seiner Software, um es mit den großen proprietären Anbietern aufnehmen zu können. Jabber wurde bereits in Corels Linux-Desktop durch Corelcity.com integriert, wo Anwender das Open-Source-IM benutzen und Buddy-Listen kreieren können.

Jabber kann neben seinem President und Chairman Perry Evans, der durch seine Firmengründungen Netignite und MapQuest bekannt wurde, auch mit einigen bekannten Gesichtern aus der Open-Source-Bewegung aufwarten. Im Aufsichtsrat des Unternehmens finden sich beispielsweise Eric Raymond (Vorstandsmitglied bei VA Linux, Autor des Open-Source-Manifests "The Cathedral and the Bazaar" und Gründer der Open Source Initiative), Doc Searls (leitender Redakteur bei der Zeitschrift "Linux Journal") sowie James Barry (Vice President für Strategische Initiativen bei Collab.net, weckte als Ex-IBM-Mitarbeiter das Open-Source-Interesse von Big Blue).

Schneidet sich AOL ins eigene Fleisch?

Fraglich ist nun, wie Goliath AOL auf diese David-Attacke reagieren wird. Oder ist der Online-Riese in seiner Strategie zwiegespalten? Ein inzwischen bekannt gewordenes pikantes Detail lässt derartiges vermuten. Das von AOL erworbene Unternehmen Netscape Communications hat offensichtlich Robert Ginda eingestellt, der enge Verbindungen zu der Jabber.org-Bewegung hat. Zuvor arbeitete er noch als unabhängiger Entwickler für das von Netscape betreute Open-Source-Projekt Mozilla und an dem Chat-Client "Chatzilla" mit, der in Netscapes Communicator integriert werden soll. Mit dem Erwerb von Netscape unterstützt AOL inzwischen indirekt die Entwicklung von Chatzilla, einer Konkurrenzsoftware zu seinen eigenen IM-Lösungen AIM und "ICQ". Damit nicht genug: Angeblich will Ginda künftig mit Jabber.org bezüglich Chatzilla und Jabber-Software zusammenarbeiten. "Wir werden Jabber-Funktionalitäten in Mozilla integrieren", erklärte Jabber-Co-Chef Miller.