Innovation unerwünscht

04.05.1979

Das Konjunktur-Barometer "Hannover Messe" signalisierte eine anhaltende Schönwetter-Periode, "ohne daß für die Industrie gleich die Gefahr bestünde, sich einen Sonnenbrand zu holen", wie es die "Süddeutsche Zeitung" ausdrückte.

Und so könnten die DV-Hersteller, ohnehin auf der Sonnenseite der Branchenlandschaft, mit steigendem Auftragseingang im zweiten Halbjahr 1979 rechnen, wobei "arbeitsplatzorientierte" Terminalcomputer die Renner wären. Doch welche Orientierungsdaten für das DV-Implementierungs-Marathon liefert das vielfältige CeBIT-Angebot dem Anwender?

Am Messe-Angebot zeigte sich - deutlicher als in den Jahren zuvor -, daß die Zeit der spektakulären Technologie-Sprünge im Hardwarebereich wohl endgültig vorbei ist. Miniaturisierung hin, Miniaturisierung her (64-K-Bit-Chips beim System IBM 4300!) - zunehmend wird (von den Benutzern) gefragt: Was leistet und was kostet die Software? Präziser: Welche Aufgabengebiete deckt die angebotene Anwendungs-Software ab?

Kein Wunder: Das von einigen Universalrechner-Herstellern seit kurzem praktizierte Verfahren, Betriebssystemteile zu verdrehten, in Mikrocode einzuschmelzen, hat allen Anwendern klargemacht, daß systemnahe Software (Firmware) endgültig als technische Komponente eines Computersystems ausgebildet wird und somit dem korrigierenden Zugriff des Users entzogen ist.

Zunehmend setzt sich auch die Erkenntnis durch, daß es schlechtweg "Wahnsinn" ist, hyper-modularisierte Betriebssystem-Neukonstruktionen um die Rechner herumzubauen, nur um deren schier unerschöpfliche CPU-Leistungen zu nutzen. Wenn die Hardware billiger ist als die Software, so wird neuerdings argumentiert, dann ist nicht einzusehen, warum nicht - im Gegensatz zu früher - die Hardware der Software angepaßt werden kann. Ganz in diesem Sinne - auch wenn dies offiziell nicht zugegeben wird - verfährt IBM mit der "neuen" Hardware 4300, die mit "bewährter" Betriebssoftware (DOS/VS) arbeitet, damit die Kunden ihre vorhandenen Anwendungsprogramme weiterfahren können. Das nennt man dann Emulation.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß Innovation in Hannover nicht stattfinden durfte.

Nun wäre dies (von Vertrautem ausgehen zu können) gewiß eine nützliche Erkenntnis - aber reicht dies auch aus, den Recherchen-Aufwand der CeBIT-Besucher zu rechtfertigen?

Auch das ist - Gott sei Dank - Hannover: Ein Barometer, an dem sich Trends in der Entwicklung der Datenverarbeitung ablesen lassen - was die Betriebsformen anbetrifft, wohlgemerkt.

Man muß nur richtig hinschauen.

Wenn CeBIT '79 einen Trend in der kommerziellen Computerei bestätigte, dann - zumindest verbal - diesen: Weg vom komplizierten "Chauffeur"-Computer, hin zum anspruchslosen Werkzeug, das auch von DV-Laien benutzt werden kann. Mehr noch: Das Messe-Angebot ließ ahnen, wie benutzerfreundliche Computer in Zukunft aussehen könnten.

Erst diese Einschränkung verdeutlicht, warum von einer Trendwende gesprochen werden kann: Die Forderung nach benutzerfreundlichen Systemen ist schließlich so alt wie die Datenverarbeitung selbst.

Halten wir fest: In Hannover wurden Lösungsansätze erkennbar, wie der eigentliche Anwender, der bisher von der Datenverarbeitung ferngehalten wurde, an den Computer herangebracht werden könnte. Wie er verantwortlich an der Entwicklung von Anwendungssystemen partizipieren könnte - wobei die Aufgabenstellung freilich nicht ausschließlich sein kann, den Computereinsatz konsequent auszuweiten.

Für diese Lösungsansätze gab's anschauliche Beispiele auf dem Gebiet der Programmiersprachen, auf dem Gebiet der "Gebrauchsanweisungen".

Bei allem Optimismus darf indessen nicht übersehen werden, daß die meisten Hersteller für die Popularisierung der Datenverarbeitung selbst kein Konzept haben - die Verantwortung für diese Aufgabe liegt nach wie vor beim Anwender.