Ingenieure lösen Künstler ab

25.05.1979

Dr. Frank - Dieter Peschanel Geschäftsführer der gfs gesellschaft für systementwicklung mbh, Geschäftsstellen München und Köln.

Mit der Erfindung moderner Software-Technologie scheint es zunächst ähnlich zu stehen wie mit der AZ-Frühjahrskur (für Nicht-Münchener: Die AZ, ein bekanntes Münchener Boulevardblatt, veranstaltet in jedem Frühjahr eine "Schlankheitskur mit speziellen Diätvorschlägen und am Ende wird vorgerechnet, daß wieder einmal 100 000 Pfund überflüssiges Fett weg sind). Eine Woche später ist dieses ganze Fett wieder drauf - einfach weil nach kurzem Anlauf und viel Getue jeder wieder bei seinen alten Gewohnheiten gelandet ist. Mit der nächsten Frühjahrskur kommt der nächste Anlauf.

Unverbesserlich diletantisches Projektmanagement

Erfahrungen mit Kursen, Vorlesungen über SE (=Software-Engineering) und die langjährige Praxis eines Softwarehauses haben mir die Illusion genommen, daß EDV-Fachleute - obwohl sie sich ganz technokratisch als Systemanalytiker bezeichnen - in ihrer Selbstdisziplin gegenüber unverbesserlich diletantischem Projektmanagement und Spaghetti-Programmen nicht disziplinierter und lernwilliger sind als die Münchener Bürger gegenüber dem altgewohnten Angebot an Weißwürsten, Starkbier und Schweinshaxen. Jemand, der als Außenstehender vor kurzem die Gelegenheit hatte in die Realität des "Software-Engineering-Know-how" der sogenannten Fachleute hineinzusehen, stellte die Frage: "Und dafür bekommen die soviel Geld?" Vor kurzem waren in der COMPUTERWOCHE drei Beiträge zu diesem Thema alle drei kamen erstaunlich parallel zu demselben Ergebnis.

Es gibt heute so viele zum Teil sogar gute Literatur zum Thema SE, zu Top-Down-Design- und -Programmierung, strukturierter Programmierung etc., daß man davon ausgehen muß, daß einige inzwischen tatsächlich mit dem Werkzeugkasten voller Einzelinstrumente des SE umgehen können, manche davon gut, andere etwas stümperhafter. Aber wir müssen uns im klaren sein, daß zumindest 80 Prozent unserer aktiven Programmierer - auch nach diversen Kursen und vielleicht sogar mit einigen einschlägigen Büchern im Schrank - von diesen neuen Techniken eigentlich nichts wissen. Wenn schon einzelne Techniken vermittelt werden, zum Beispiel Entscheidungstabellen aufstellen oder was immer gelehrt wurde, dann leider oft in einer solchen Art und Weise, daß kaum einer in der Lage ist, das Gelernte oder Gelesene für die eigene Arbeit umzusetzen. Zusätzlich schickt das Management oft die Jüngeren "zur Belohnung" oder "weil man etwas für die Ausbildung tun muß" auf Kurse im Unternehmen ist dann niemand, der auf die Umsetzung des Erlernten in die Alltagsarbeit achtet.

Oder: Ein weiterer Grund für den Schneckengang bei der Einführung neuer SW-Technologien in Unternehmen und Verwaltungen sind die hausinternen DV-Vorschriften, die oft vor fünf Jahren in Handbücher gepreßt wurden, mit einem Know-how von vor zehn Jahren. Nun ist alles blockiert und die Oberen verteidigen ihr Werk. Auch zehn neue Bücher und 100 gute Kursangebote werden da nicht viel ausrichten können.

Ein weiterer betrüblicher Hemmfaktor ist die Haltung der meisten Informatik-Fakultäten, die zwar (durchaus verdienstvoll ! ) "Pascal ", "Petrinetze" und "Datenstruktur-Darstellung" lehren aber solchen "pragmatischen und theoretisch nicht geschlossen darstellbaren Konglomeraten" wie dem SE keine Berücksichtigung schenken. Ich erlebte vor kurzem in einer Vorlesung, daß von dem Anteil der in der zweiten Studienhälfte stehenden Hörer aus der Informatik-Fakultät ein einziger überhaupt von SE eine Ahnung hatte - er hatte in den Semesterferien bei einem deutschen Hardware-Hersteller in der Programmierung gearbeitet und "on the job" den Einsatz der SE-Techniken erlebt.

Der Schneckengang des vorindustriellen Künstler-Programmierers

Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Methoden des Software-Engineering und des damit verbundenen Projektmanagement das Rennen machen werden. Aber wir müssen auch wissen, daß zum größten Teil neue Personen, nicht die alten Profis, die Träger dieser Innovation in breitem Rahmen sein werden. Das berühmte T-Modell von Ford aus den Anfangstagen des Automobilbaus konnte noch von jedem Schmied auf dem Lande verstanden werden und repariert werden - versuchen Sie das mit einem modernen Kraftfahrzeug. Wir sollten solche Vergleiche nicht von uns wegschieben: Der alte Schmied ist ziemlich ersatzlos ausgestorben und neue junge Leute konstruieren und bedienen komplizierte Kfz-Computer-Diagnosegeräte.

Offensichtlich ist diese Sachlage - der Schneckengang vom vorindustriellen "Künstler-Programmierer" (der meist kaum ein Kunsthandwerker ist) zu fortgeschrittener, technologisch bewußter Software-Fertigung - von der professionellen Softwareindustrie, gleichermaßen bei Herstellern und Softwarehäusern erkannt worden. Der neue Ansatz ist unübersehbar: Man suche talentierte und durch eine vorherige Ausbildung mit der DV vertraute aber noch nicht durch schlechte Gewohnheiten verdorbene junge Leute, hole sie von der Hochschule weg in firmeneigene Ausbildungsgänge und unterweise sie dort unter der Leitung von technologisch fortschrittlichen Fachleuten. Diese Philosophie fängt erst an um sich zu greifen, mancher Versuch in diese Richtung mag in die Hose gehen, aber die Richtung stimmt und sie wird sich verstärken. Das Beispiel eines deutschen Hardware-Herstellers, der sich in eine Universität "einkauft" und damit den Zeitpunkt der zukunftsund praxisorientierten Arbeit noch vorverlegt, weist auch in diese Richtung.

Vielen !gestandenen" Fachleuten, die von der Ebene der Felder und der Einzelbefehle in die Datenverarbeitung vorgedrungen sind, muß rein von der Mentalität her das Auftreten neuer SE-Techniken Schwierigkeiten bereiten. All die einzelnen Werkzeuge aus der Kiste des SE leben ja von dem "gewußt wie", das sich auf den Aufbau und die inneren Beziehungen von Programm-Zusammenhängen bezieht und eben nicht auf die Denkebene von Feldern, Daten und Befehlen.

Ebenso tritt der historisch "simpel hierarchische" Managementaufbau der Projektabwicklung durch neue Konzepte zum Beispiel des "Chiefprogrammer-Teams" in strukturell komplizierte und fachlichen Überblick erfordernde Formen ein. Das bedingt ein weitergehendes Verständnis wie es auf dem historisch üblichen Berufsweg nie eingeübt werden konnte.

Technologische Evolution ist irreversibel

Fassen wir zusammen: Wie in jeder Branche so gibt es auch in unserer technologische Zyklen. Neue Technologien, die sich als wirtschaftlich überlegen erwiesen haben, setzen sich gegen alle Widerstände innerhalb einer gewissen Frist durch. Für die unflexiblen Anhänger der alten Zeit bleiben einige Marktnischen und der Rest muß sehen, wo er bleibt. Nur die Guten und Besten behaupten bei einem solchen Technologieschub ihre Position oder bauen sie aus. Bei uns läuft dieser Prozeß seit fünf Jahren und in weiteren fünf Jahren werden die Ergebnisse unübersehbar sein. Im Augenblick verstellt eine gute Konjunktur den DV-Mitarbeitern den Zwang zu dieser Erkenntnis und hilft in der Selbsttäuschung, daß alles schon etwa so bleiben wird, wie es ist. Es bleibt nicht. Technologische Evolution ist irreversibel. Die Planer und Mananger stellen längst die Weichen für die technologische Neuzeit.