Rover Deutschland implementiert Kundenkorrespondenz-System

Infos im MG-Tempo auch über Austin-Mini-Fahrer

28.08.1998

Solch ein Slogan verpflichtet: "A class of its own" will Rover für seine Kunden sein. Doch die Autokäufer, die sich bei der deutschen Niederlassung des Fahrzeugherstellers melden, haben in aller Regel einen Grund, den Inhalt der Werbebotschaft in Frage zu stellen. Einem Anruf oder Brief zur Rover GmbH, Neuss, gehen zumeist negative Erfahrungen mit einem Vertragshändler oder einer Werkstatt voraus. Diese Kunden nicht zusätzlich zu verärgern, sondern durch freundlichen, kompetenten und schnellen Service wieder positiv zu stimmen ist das oberste Ziel der Frauen und Männer in der Kundenkorrespondenz des Fahrzeug-Importeurs.

Die Rover-Gruppe gehört seit vier Jahren zur BMW AG, München. Doch in puncto Marketing und Vertrieb sind die Briten auf sich selbst gestellt. Sie unterhalten ein separates Händlernetz und entwickeln eigene Absatzstrategien. In Deutschland, wo starke einheimische Marken den Markt dominieren, ist das keine leichte Aufgabe.

Wie After-Sales-Direktor Peter Quintus erläutert, zielt die Rover-Strategie darauf ab, sich die lebenslange Loyalität der Kundschaft zu erhalten. "Bei einem Fahrzeugpreis von bis zu 150000 Mark kann ein einzelner Kunde, der uns ein Leben lang treu bleibt, einen Umsatz von 1,5 Millionen Mark repräsentieren." Außerdem bewahrheite sich immer wieder die Binsenweisheit, daß wesentlich weniger Aufwand notwendig sei, einen Kunden zu behalten, als einen neuen zu gewinnen.

Einer wissenschaftlichen Studie zufolge, so Quintus, verzeiht ein Kunde seinem Anbieter nur zwei oder drei Enttäuschungen, bevor er sich einem anderen Geschäftspartner zuwendet. So lautet die Direktive des Kundendienst-Profis für die Mitarbeiter an der After-Sales-Front: "Bei uns soll der Kunde auf keinen Fall sein zweites Negativerlebnis haben." Deshalb scheut Rover weder Geld noch Mühe, um seine Kundenkorrespondenz effektiv zu gestalten.

Nach der Übernahme durch BMW wehte ein frischer Wind durch die deutsche Rover-Niederlassung. Die meisten der 300 Handelspartner wurden neu rekrutiert und das Marketing-Budget kräftig vergrößert. Auch die Anfänge der IT-gestützten Kundenkorrespondenz gehen bis in das Jahr 1995 zurück.

Rover wollte seinen Kundendienstlern einen Gesamtüberblick über alle relevanten Informationen verschaffen und seiner Klientel ein "Element der Überraschung" bieten. Der zunächst eingeschlagene Weg stellte sich allerdings als Sackgasse heraus. Zwei Jahre lang versuchte ein Systemhaus, dessen Identität Rover nicht preisgeben will, die Vorstellungen des Automobil-Importeurs mit Hilfe der Groupware "Lotus Notes" zu verwirklichen - vergeblich.

Laut Quintus lagen die Ursachen in der unzureichenden Manpower und dem fehlenden Projekt-Management des designierten Systemlieferanten, aber auch in der falschen Werkzeugwahl. Wie Notes-Kenner wissen, eignet sich das Lotus-Produkt gut für die Verwaltung und gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten; bei verarbeitungsintensiven Datenbankoperationen gerät es jedoch schnell außer Atem. Mit der auf Notes-Basis entwickelten Lösung hätten die Korrespondenten teilweise 30 bis 40 Sekunden auf eine Antwort warten müssen - eine Ewigkeit, wenn am anderen Ende der Leitung ein aufgebrachter Kunde hängt.

Im zweiten Anlauf wandte sich Rover an die Milestone GmbH, Neuss, die ihre Zentrale ganz in der Nähe des Rover-Gebäudes hat. Zum einen lag den Automobil-Anbietern an kurzen Wegen, zum anderen brachte der Dienstleister eigene Ideen ein, vor allem aber verpflichtete er sich, die im Lastenheft gestellten Bedingungen zu erfüllen.

Demzufolge sollte jeder Mitarbeiter des Call-Centers, sobald er einen Anruf entgegennimmt, auf alle den jeweiligen Kunden betreffenden Dokumente zugreifen können - "in Echtzeit", wie Quintus formuliert. Voraussetzung dafür ist die Multitasking-Fähigkeit des Systems. Außerdem verlangte Rover, daß sich die Informationen aus der Kundenkorrespondenz innerhalb der "Office"-Anwendungen von Microsoft verarbeiten ließen.

Das von Milestone entworfene "Rover Kundenkorrespondenz-System", kurz "Rokksy", ist dafür ausgelegt, Informationen aus sechs unterschiedlichen Umgebungen zu integrieren: aus dem System der Marketing-Agentur, aus den Mainframe-Datenbanken für Gewährleistung und Fahrzeughistorie, aus dem internen Vertriebssystem und der Außendienst-Anbindung sowie aus der Kundenvorgangs-Steuerung. Die Lösung umschließt Funktionen für Dokumenten-Management, Vorgangsbearbeitung (Workflow) und Kundenverwaltung sowie für die Anpassung an künftige Anforderungen (Customizing).

Um die Informationen online vorzuhalten, setzt Rover nicht - wie im ersten Versuch vorgesehen - das Dokumenten-zentrierte Notes ein, sondern ein relationales Datenbanksystem, das Binary Large Objects (Blobs) verarbeiten kann. Der Auto-Importeur hat sich hier für das Produkt "SQL Anywhere" von Sybase entschieden. Durch die Umwandlung der Dokumentenformate in Blobs ist es Milestone gelungen, 250000 Dokumentseiten in einer zentralen, 10 GB umfassenden Datenbank unterzubringen. Für die revisionssichere Archivierung lassen sich die Dokumente in das Produkt "Easy Archiv" von der Easy GmbH, Mülheim, überführen.

Ein von Milestone entwickeltes Framework, das "Dynamic Repository-based Operational Programming System" (Drops), soll sicherstellen, daß die Daten und Dokumente jeweils mit einem Kunden in Beziehung gesetzt und bei Bedarf blitzschnell am Bildschirm angezeigt werden. In dieses Framework hat der Dienstleister sowohl selbstentwickelte als auch zugekaufte Komponenten integriert.

Wie der mit dem Rover-Projekt betraute Milestone-Manager Stephan Schulte erläutert, taugt die Lösung nicht nur für die Verwaltung von schriftlicher Korrespondenz und Zeichnungsdaten. Vielmehr kämen für die Ein- und Ausgabe auch akustische und visuelle Medien in Frage. Bei Rover wird derzeit nur die Sprachein- gabe ernsthaft diskutiert.

Mit dem neuen Korrespondenzsystem ist es den Kundendienst-Sachbearbeitern künftig möglich, unmittelbar - also ohne Rückruf - auf die Anfragen der Klientel zu antworten. Zudem verhindert Rover auf diese Weise, daß die Kunden - wissentlich oder unbeabsichtigt - falsche Informationen über die Historie ihres Fahrzeugs liefern. "Manche Kunden gehen ein wenig kreativ mit der Wahrheit um", schmunzelt Quintus. Wer die unbestechlichen Daten schnell zur Hand hat, kann den Anrufer dezent auf seinen "Irrtum" hinweisen.

Anfang des kommenden Jahres wird Rover eine neue Telefonanlage installieren, mit der das besagte "Element der Überraschung" ins Spiel kommen soll. Zum einen fährt die elektronische Kundenakte - falls der Anruf via ISDN hereinkommt - auf dem Rechner des Sachbearbeiters schon hoch, bevor dieser den Hörer abhebt. Zum anderen braucht sich jeder Kunde nur noch auf einen einzigen Rover-Mitarbeiter einzustellen: Bei seinem ersten Anruf wird er einem bestimmten Korrespondenten zugeordnet. Meldet er sich zum zweiten Mal, gerät er automatisch wieder an denselben Call-Center-Arbeitsplatz. Auf diese Weise läßt sich auch verhindern, daß ein Anrufer verschiedene Korrespondenten gegeneinander ausspielt. Last, but not least soll die Integration von Telefon und Informationsverarbeitung eine kapazitätsbezogene Auswertung der eingehenden Telefongespräche ermöglichen.

Während die neue Telekommunikationsstruktur mit 600000 bis 700000 Mark zu Buche schlagen wird, nehmen sich die Kosten für die Rokksy-Hardware und -Software relativ bescheiden aus: Der von Hewlett-Packard stammende und mit Windows NT betriebene Server sowie die vier Call-Center-PCs verschlangen rund 100000 Mark, für die Software fielen 250000 Mark an - zuzüglich der jährlichen Wartungsgebühren von 30000 Mark.

Derzeit ist Rokksy etwa zur Hälfte implementiert. Mit der Fertigstellung rechnet Rover im Laufe des kommenden Jahres. Noch nicht entschieden ist, ob die Rover-Mutter BMW das System möglicherweise übernehmen wird.

Das System

Im "Rover Kundenkorrespondenz-System" (Rokksy) kommt das Datenbanksystem "SQL Anywhere" von Sybase zum Einsatz. Die zugehörigen Applikationen wurden zum Teil mit der ebenfalls von Sybase stammenden 4GL "Powerbuilder" entwickelt. Daneben griffen die Entwickler aber auch auf fertige Komponenten zurück. Für die Verbindung zwischen Telefon und Informationsverarbeitung nutzen sie das Windows- eigene Telefon-API (TAPI). Die Vorteile der Computer-Telefon-Integration werden aber erst zum Tragen kommen, wenn im kommenden Jahr die neue Telekommunikationsanlage installiert ist. In der Diskussion ist derzeit auch das Thema Spracheingabe. Damit hofft Rover, den nächsten oder übernächsten Korrespondentenplatz einsparen zu können.

Das Unternehmen

Die Rover Group Ltd., Warwick, in ihrer heutigen Form entstand durch den Zusammenschluß der Automobilhersteller Austin, Morris, MG, Rover, Triumph und Land Rover. Die seit 1994 im Besitz der BMW AG befindliche Unternehmensgruppe bietet vier Produktreihen an: neben den "Rover"-Pkws der gehobenen Mittelklasse die geländegängigen "Land Rover" und die sportliche "MG"-Linie sowie den von Austin stammenden "Mini", der beinahe Kultstatus genießt. Den deutschen Markt für die britischen Automobile zu öffnen ist Aufgabe der Tochtergesellschaft Rover Deutschland GmbH, Neuss. 1997 setzte die 140köpfige Deutschland-Zentrale 1,3 Milliarden Mark um, und in den letzten vier Jahren steigerte sie die Zahl der verkauften Fahrzeuge jeweils um etwa 50 Prozent - obschon der Wert des britischen Pfunds im selben Zeitraum um beinahe 30 Prozent zunahm. Auch das Gesamtunternehmen weist gestiegene Umsätze aus. Trotzdem schrieb es 1997 einen - teilweise durch die Pfund-Aufwertung verursachten - Verlust von 260 Millionen Mark und beschloß, 1500 seiner 39000 Arbeitsplätze abzubauen. Spätestens im Jahr 2000 will der Autohersteller wieder schwarze Zahlen schreiben.