Informationsrevolution oder Muellhaufen aus Daten und Bildern?

14.04.1995

Wolfgang Keil, geschaeftsfuehrender Gesellschafter von Infotei: Agentur fuer Bezugsquellen, Kontakte und Informationen aus der DV- Welt, Huettenberg

Hewlett-Packard hat es richtig gemacht: Zur CeBIT '95 kamen keine 1200-dpi-Laserjet-Drucker, sondern die 600er wurden funktional verbessert, weil das fuer den definierten Kundenkreis voll ausreicht. Ein Hersteller hat Vernunft bewiesen.

Andere Anbieter griffen dagegen in die vollen. Sie sehen das Heil im Information-Highway, in Data-Warehouses, in Multimedia- Spinnerei, in grenzenloser Vernetzung. Die Telekom spricht in ihrer FAZ-Werbung gar von einer "Informationsrevolution".

Der nicht endenwollende Boom von CD-ROM-Neuausgaben scheint diese These zu bestaetigen. Aber kaum jemand registriert, dass vier von zehn gekauften Silberscheiben wieder zurueckgegeben werden, hauptsaechlich wegen Treiberproblemen.

Was nuetzt es, dass die Welt dadurch zum Dorf wird, dass via Internet 12 000 amerikanische Firmen-Server Informationen feilbieten, die fuer deutsche Nutzer zumeist wenig relevant sind? Und wo, um alles in der Welt, ist denn der Familienvater, der seinem in der Einsamkeit der Waelder lernenden Sproessling den Videokamera- Multimedia-High-Tech-Pentium finanziert, damit er mit seinem im fernen Institut sitzenden (ebenso ausgestatteten) Lehrer kommuniziert? Denn dies ist ja ueberhaupt die Multimedia-Anwendung par excellence, wie man hoert.

Die uebliche CeBIT-Sonderbeilage der FAZ gab wieder nicht wenigen namhaften Autoren der Branche Gelegenheit zur Wortmeldung. Von insgesamt 63 Beitraegen widmeten sich 20 dem Thema "zukuenftige Informationsgesellschaft" (Datenautobahn/Multimedia/Data- Warehouse) ausfuehrlich oder unter anderem. Diese immerhin 30 Prozent aller Autoren sprechen oft kritisch, manchmal unentschieden von den zu erwartenden Auswirkungen auf den Menschen beziehungsweise auf den Nutzen fuer Firmen. Positiv wird lediglich der zu erwartende wachsende Umsatz im DV- und Kommunikationsmarkt bewertet. Dies geschieht allerdings zumeist wenig begruendet, einfach nur als Annahme oder persoenliche Einschaetzung. Wer koennte da auch Genaueres sagen? Hans-Olaf Henkel schrieb im Leitartikel der Beilage (die bezeichnenderweise nicht insgesamt vom Thema Information-Highway handelt): "Es wird zuviel ueber das geredet, was ankommt, zuwenig darueber, worauf es ankommt." Das ist es. Es geht um viel Wichtigeres in unserer Wirtschaft als um Online- Diskussionsforen fuer Insider.

Technisch machbare, internationale sowie mehrdimensionale Informationsuebertragung und -darstellung ist nicht das Allheilmittel fuer unsere aktuellen Probleme. Dieser Ansatz endet vielmehr bereits heute im unsaeglichen und dabei immer noch unbezahlbaren Datenmuell. Die Loesung unserer Informationsprobleme kann nur heissen: schneller, einfacher und kostenguenstiger Informationszugriff durch Standards. Erst durch tatsaechlich leichten Zugriff - in jeder Hinsicht - bieten Informationen Nutzen.

Da ist Bill Gates mit seinem "Bob" nicht weit weg davon. Standards sind notwendiger als alles andere. Durch reale Vereinheitlichung von Software-Oberflaechen auch im Online-Verkehr. Durch echtes Plug'n Play. Auch durch Standards in der Ausbildung, denn nur wenn alle etwas Vergleichbares meinen, kommt man zueinander. Nur wenn man die gleiche Sprache spricht, vom selben redet, eine einheitliche technische Basis hat, findet man ueberall schnell die gesuchte Information und kann sofort mit ihr arbeiten.

Momentan sind die Nutzer von "Datenautobahnen" ueberwiegend die Mitarbeiter in DV-Firmen und -Abteilungen. Auch die User von anspruchsvollen Multimedia-Einrichtungen sind Profis oder solche Privatanwender, die bereit sind, viel Geld fuer ein teures Hobby hinzublaettern. Das eigentliche Zielpublikum der DV-Industrie, zum Beispiel Mittelstaendler, Freiberufler oder gar der gutsituierte Privathaushalt ohne DV-Know-how, nutzt momentan weder den Information-Highway noch die echten Multimedia-Systeme.

Viel wichtiger als das Propagieren neuer Informationsepochen waere es beispielsweise, den heutigen Anwendern bessere Hilfestellung zu geben. Es ist nach wie vor aergerlich, 25 Minuten in der Microsoft- Hotline warten zu muessen. Genauso ist es laestig, sich beim Einbau einer PC-Komponente mit DIP-Schaltern und Interrupt-Einstellungen beschaeftigen zu muessen, ohne irgendwo eine schnelle Hilfe auf den Datenautobahnen unserer Tage zu bekommen. Diese einfachen Grundvoraussetzungen fuer einen Computeranwender sind doch wichtiger, als ueber die Informationsrevolution zu spekulieren - oder? Aber solche konkreten Schritte sind, so scheint es, schwerer als die philosophische Betrachtung der Zukunft, die sowieso ganz anders stattfindet, als man glaubt.

Und noch ein Schwank zum Thema Schlagworte in der DV-Welt: Es gibt nun die "Telefonie". Nach Andreas Zeitler in der FAZ ist "Telefonie in der simpelsten Form die Auswahl einer Adresse aus einer Datenbank". Man lernt halt nie aus.