Folgen verschärfter Produkthaftung werden nach wie vor unterschätzt

Informationsdefizite erhöhen Haftungsrisiko des DV-Managers

06.03.1992

Die Themen Produkthaftung, Umwelthaftung und Ergonomie gehören nicht allein in den Verantwortungsbereich der technischen Abteilungen von Unternehmen. Der Aufgabenbereich eines DV-Managers ist mit diesen Problemfeldern weitaus stärker verquickt, als vielerorts vermutet wird. Ralf Pfeiffer fahrt das zu beobachtende mangelnde Problembewußtsein auf erhebliche Informationsdefizite zurück.

Die Anforderungen an das Fachbereichs-Management DV steigen überproportional. Zum einen gerät der Kostenfaktor Rechenzentrum immer stärker in das Blickfeld der Unternehmensführungen. Zum anderen wird die Abhängigkeit der Unternehmen von der DV immer größer - dennoch entsprechen in den meisten Rechenzentren die physikalischen Sicherheitsmaßnahmen nicht der wachsenden Bedeutung und Wertigkeit des Lebensnervs Datenverarbeitung.

Auch erfordern neue und verschärfte Gesetzgebungen (beispielsweise Datenschutz, Produkt- und Umwelthaftung) ein lückenloses Informations-Sicherheitskonzept Produkt- und Umwelthaftung sind nicht nur wie irrtümlich angenommen wird - Problemfelder des technischen Bereichs: Die DV-Abteilung ist stärker denn je davon betroffen. Last, not least beurteilen bei der Installation von Bildschirm-Arbeitsplätzen Anwender wie Personalrat die Umsetzung ergonomischer Richtlinien immer kritischer. Auch in diesem Prozeß nimmt das DV-Management eine Schlüsselrolle ein, denn es legt aller Erfahrung nach zu 90 Prozent fest, welche Bildschirme und welches Mobiliar im Unternehmen eingesetzt werden (Abbildung 1).

Wie würde ein DV-Manager reagieren, wenn die Unternehmensleitung ihn im Rahmen einer Produkthaftungsklage mitverantwortlich machte? Aufgrund der in den DV-Abteilungen allseits vorherrschenden Meinung, daß Produkthaftung ein reines Technikthema ist, wäre sicherlich mit einigem Unverständnis zu rechnen. Die Ratlosigkeit nähme weiter zu, wenn für das Unternehmen plötzlich die Haftungshöchstgrenze von 160 Millionen Mark zur Diskussion steht. ° 10 des neuen Produkthaftungsgesetzes zeigt dies klar und deutlich auf: "Sind Personenschäden durch ein Produkt oder gleiche Produkte mit demselben Fehler verursacht worden, so haftet der Ersatzpflichtige nur bis zu einem Höchstbetrag von 160 Millionen Mark."

Seit der deutsche Gesetzgeber das neue Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) am 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt hat, ist Produkthaftung eines der wichtigsten Stichwörter der Industrie: Sowohl Hersteller als auch der Handel sehen sich nun einer veränderten und verschärften Haftungssituation gegenüber. Einer der Kernpunkte des auf einer EG-Richtlinie basierenden Gesetzes ist der erhöhte Verbraucherschutz.

Das Produkthaftungsgesetz soll im Wege der sogenannten verschuldensunabhängigen Haftung dazu dienen, dem durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten einen Ersatzanspruch zu gewähren, auch wenn kein schuldhaftes Handeln von Personen nachgewiesen werden kann. Als Produkt gilt jede bewegliche Sache - auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen oder unbeweglichen Sache bildet. Selbst Elektrizität ist somit als Produkt zu verstehen.

Ist der betroffene Unternehmer (Hersteller, Quasi-Hersteller, EG-Importeur, Lieferant) nicht in der Lage, sich von eventuellen Haftungsansprüchen zu befreien, haftet er grundsätzlich für sämtliche Folgeschäden, die durch die Benutzung seiner Produkte entstehen. Die Konsequenzen dieses neuen Gesetzes für Hersteller und Handel sind weitreichend - und teilweise unüberschaubar.

Experten rechnen daher zukünftig mit einem enormen Anstieg der Verbraucherforderungen gegen Hersteller und Handel - eine Prozeßlawine ist in Sicht. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe vom November 1991 gegen die Firma Milupa verdeutlicht die Problematik für jedes Unternehmen.

Die möglichen Konsequenzen aus dem neuen Produkthaftungsgesetz erhöhen das Unternehmer-Risiko beträchtlich und werden notwendigerweise auch die Unternehmensstrategie beeinflussen. Was also ist zu tun, damit sich Unternehmen vor ungerechtfertigten Forderungen schützen können?

Auf diese Fragen gibt es nur eine Antwort: jedes Unternehmen muß über eine lückenlose, vor allem aber prozeßfähige Produktdokumentation verfügen, um ungerechtfertigte Forderungen abwehren zu können - eine Dokumentation, die in Forschung und Entwicklung beginnt, ihren Schwerpunkt in der Qualitätskontrolle hat und die übrigen Bereiche wie Einkauf, Distribution und Vertrieb umfassend einbezieht.

Experten schätzen, daß zirka 90 Prozent aller Unternehmen das erforderliche Sicherheitsoptimum - bezogen auf den Gesamtkomplex der Datensicherheit - nicht einmal annähernd erreichen. Ganz gravierend trifft diese Aussage auf den technischen Bereich zu.

Sicherlich liegt ein Schwerpunkt einer lückenlosen Produktdokumentation im technischen Bereich, beispielsweise bei Entwicklung, Konstruktion, Produktion und Qualitätssicherung. Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Problemfeld sind die DV-Abteilungen (Einkaufs- und Vertriebsdaten, Rechnungen etc.). Es empfiehlt sich daher, den Ist-Zustand anhand einiger Fragen zu analysieren:

- Ist es möglich, die Produkte beim Endabnehmer im Schadensfall zu lokalisieren?

- Besteht eine lückenlose Dokumentation darüber, wann welcher Endabnehmer oder Händler welches Produkt erhalten hat?

- Sind alle Zulieferdaten jederzeit wieder abrufbar? (Beispiel: Der Zulieferer geht in Konkurs. Wer haftet?)

- Werden beim CIM- oder PPS-Einsatz die entsprechenden Produktionsdaten und Qualitätssicherungs-Protokolle sicherheitstechnisch korrekt archiviert?

- Kann anhand von Rechnungen vollständig nachgewiesen werden, wann das Produkt bezahlt wurde? (Wichtig: Das neue Produkthaftungsgesetz ist seit dem 1. Januar 1990 rechtskräftig.)

- Besteht ein umfassendes Informations- beziehungsweise Auslieferungskonzept, um bei Produktrückruf-Aktionen die entsprechenden Anwender beziehungsweise Verbraucher zu benachrichtigen?

Dieser Fragenkatalog ließe sich beliebig erweitern. Jedem DV-Manager ist zu empfehlen, sich mit dieser Problematik intensiv auseinanderzusetzen. Je vernetzter ein Unternehmen ist, etwa beim Einsatz von CIM, PPs etc., desto größer wird die Verantwortung des DV-Managements, eine lückenlose Dokumentation zu gewährleisten (Abbildung 2 auf Seite 108), die im Schadensfall zur Entlastung des Unternehmens und letztlich der Mitarbeiter führen kann. In den USA sind bereits einige Unternehmen aufgrund von Produkthaftungsklagen vom Markt verschwunden.

Besonders anzuraten ist jedem DV-Manager, seine Kollegen im technischen Bereich hinsichtlich der Aufbewahrung von Datenträgern aufzuklären.

Im Rahmen eines Entwicklungsprojektes führte ein marktführendes Unternehmen eine Studie Über Datensicherheit durch.

Das Ergebnis: Das Thema Dokumentensicherheit wird in deutschen Unternehmen äußerst unsachgemäß behandelt.

Es zeigte sich, daß

- im technischen Bereich nur zirka zehn Prozent der Datenträger (Disketten, Streamer-Tapes, Magnetbänder etc.) und lediglich zirka 30 Prozent der Mikrofilme sicherheitstechnisch korrekt archiviert werden,

- nur zirka 27 Prozent der Datenträger im Fertigungsbereich gegen "produktionstechnische Umwelteinflüsse" geschätzt sind und

- lediglich zirka 32 Prozent der Bereiche Forschung und Entwicklung über ausreichende Einbruchssicherung verfügen (alle Angaben beziehen sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor dem 3. Oktober 1990).

Häufig sind nicht einmal die Gefährdungsgrade der verschiedenen Datenträger bekannt. Demzufolge werden falsche Archivierungslösungen installiert, die im Katastrophenfall zu einer vollständigen Zerstörung des Datenbestandes führen können. Das DV-Management muß hier dringend Aufklärungsarbeit leisten. Im Schadensfall interessiert es keinen Richter, wer welche Kompetenzen hat. Entscheidend ist die lückenlose Dokumentation vom "Reißbrett" bis zum Endverbraucher.

Nicht nur der Bereich Produkthaftung erfordert ein lückenloses Informationskonzept, sondern auch das Gesetz über die Umwelthaftung vom Dezember 1990. Dieses Gesetz geht in Paragraph 15 ebenfalls von einem Haftungshöchstbetrag von 160 Millionen Mark aus. Der Geschädigte kann vom Inhaber einer Produktionsanlage Einsicht in vorhandene Unterlagen verlangen. Letztendlich muß also auch hier ein lückenloses Informationskonzept vorliegen, besonders dann, wenn im Produktionsbetrieb mit CIM- oder PPS-Systemen gearbeitet wird. Mit einem Satz: Risikominimierung durch gezielte Datensicherungs-Maßnahmen im gesamten Unternehmen bedeutet gleichzeitig Gewinnmaximierung, - besonders im Schadensfall.

Ergonomie um Arbeitsplatz

Auch bei der Einrichtung von Bildschirm-Arbeitsplätzen nimmt das DV-Management eine Schlüsselrolle ein, denn sein Einfluß auf die Entscheidungsfindung beim Kauf von Hardware und Mobiliar ist unverändert hoch. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen eindeutig, daß die Tätigkeit an einem nicht sachgerecht eingerichteten Bildschirm-Arbeitsplatz zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führen kann. Dokumentiert wird dies unter anderem in einer Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, Dortmund, über die Auswirkungen der Bildschirmarbeit auf Augen sowie Stütz- und Bewegungsapparat (Abbildung 3). Es ist mehr als ein Alarmzeichen, wenn in den Bereichen Datenerfassung und Rechenzentrum über 50 Prozent der Mitarbeiter über mittlere bis starke Steifheit und/oder Schmerzen klagen.

In den seltensten Fällen überprüfen Mitarbeiter des DV-Bereichs als "Initiatoren" die menschengerechte Umwelt des Bildschirmes. Sollte es in einem Unternehmen einmal zu einer Diskussion mit Personalräten über krankheitsfördernde Arbeitsbedingungen durch Bildschirmtätigkeit kommen, so wird sich mancher DV-Verantwortliche sicher einigen unangenehmen Fragen ausgesetzt sehen.

*Ralf Pfeiffer ist Geschäftsleitungsmitglied Vertrieb/Marketing der Otto Lampertz GmbH & Co. KG in Betzdorf.