Informationsanalyse statt Organisations-Strukturuntersuchung\Folge 1

24.10.1980

Zur Einführung in die Arbeitstechniken der Datenverarbeitung gehören schon seit der Verbreitung der Lochkartentechnik die Organisationsuntersuchungen. Sie münden ein in Netzpläne, Entscheidungstabellen oder in die Darstellung von Organisationsstrukturen einerseits und in Arbeitsablaufpläne andererseits. Diese Beschreibungsmittel wachsen leider in ihrer Komplexität mit der zugrunde liegenden Aufgabenstellung, die oftmals einem Wunsch nach Integration der Verwaltung entspringt. Komplexe Arbeitsabläufe sollen damit vereinfacht werden.

Bisherige Organisationsanalysen erforderten umfassende Erhebungen, zum Teil tägliche Arbeitsaufzeichnungen oder Stichprobenverfahren, institutionalisierte Gesprächsrunden oder Interviews, kurz gesagt: viel Aufwand, ohne daß alle realen Kommunikationsbahnen untersucht werden konnten. Zugegeben, in öffentlichen Verwaltungen erscheinen zwar die Netze von Instanzen und Funktionsbeziehungen nicht weniger komplex als in kaufmännischen oder technischen Verwaltungen; die Instanzen selbst sind aber einfacher, weil sie meist in eindeutiger Richtung definiert sind. Als eine wesentliche Einengung der Rahmenbedingungen für Organisationsuntersuchungen öffentlicher Verwaltungen ist bereits der Stellenplan anzusehen. Die Untersuchungen laufen dann in die "bedarfsgerechte Stellenausstattung" hinein. Dabei bleibt meist ungeklärt, was dem allgemeinen Auftrag einer Verwaltung als "Bedarf" gegenübergestellt werden kann.

Zieladäquater als der formale Instanzenzug

Verwendet man richtigerweise anstelle von Organisation den Begriff "Organisationsstruktur", so können in einer Untersuchung derselben kaum alle informellen Kanäle ausgelotet werden, zumal diese vielfach zieladäquater verlaufen als der formale Instanzenzug. Letzterer ist in Großverwaltungen kaum als ein real funktionierender Funktionsablaufpfad zu sehen, denn zu viele Kompetenzen konkurrieren sowohl im faktischen Nichtstun in dieser Sache als auch in deren Ergebnisbeurteilung; vielmehr ist der Instanzenzug in Großverwaltungen nicht viel mehr als ein Weg zur Lösung von Ziel- oder Stellenkonflikten. Um so hilfreicher ist es daher, nicht anhand des Stellenplanes die Instanzen von oben nach unten sowie von unten nach oben und nach Möglichkeiten auch noch quer abzulaufen, sondern die tatsächlichen Routine-Vorentscheider, das heißt, die Bearbeiter (im Gegensatz zu den Abzeichnern der alltäglichen Routinefälle) aufzusuchen. Und ein Bearbeiter sitzt selten weltentrückt in einem Elfenbeinturm, sondern er braucht die faktische Nähe des Geschehens, sei es auch nur oder meistens über die Informationsmittler der informellen Kanäle. Je schwerfälliger die Verwaltung und damit die Ablauforganisation sich darbietet, desto wichtiger werden die informellen Beziehungen! Ohne ihr verantwortliches Zutun wäre manches Unternehmen am Ende faktischer Leistung nach außen, weil es durch interne Sisyphusarbeit aufgezehrt sein würde.

Bereits in Betrieben über 50 Beschäftigte wächst die Zahl derjenigen, die im Verwaltungsgeschehen mitreden, über die Zahl der tatsächlichen Bearbeiter und Entscheider hinaus. Merkmal der Großbetriebe und -verwaltungen ist eine organisatorische Erschwernis, da die eigentlichen Probleme und Konflikte nicht mehr auf den Tisch kommen. "Die Organisation verkrustet, der Entscheidungsprozeß erlahmt, die Leistung sinkt ab. Es ist beinahe unglaublich, wie schlecht in der Regel Kollegen ... sich gegenseitig über den Weg trauen -, und was sie alles tun, um das stereotype Ritual kollegialen Fassadenverhaltens aufrechtzuerhalten." (Zitiert aus CH. Lauterburg, "Vor dem Ende der Hierarchie", Econ-Verlag 2. Auflage 1980.)

Wider das Ressortdenken

Für die Organisationsberater, deren Ziel letztendlich die einvernehmliche Organisationsgestaltung sein sollte, ist es wichtig zu ergründen, wo Information und Einfluß sich konzentrieren, um dann durch die Betreffenden die eigene Verantwortung begründen zu lassen. Auf der anderen Seite (der Verantwortung) stehen diejenigen, die wegen der notorischen "Überbelastung der Vorgesetzten" entweder Desinteresse oder die mangelnden Gelegenheiten eigener Entscheidungen, das heißt, den Mangel verantwortlichen Handelns bekunden beziehungsweise beklagen. Bei Organisationsuntersuchungen vor Ort zum Zwecke der Reorganisation von irgendetwas wird oft - sofern die Berater dazu Zeit finden - die Gelegenheit benutzt, über die Chancengleichheit der Information und Kommunikation Klage zu führen. Im Kompetenzkrieg Begünstigte klagen demgegenüber andersherum: "Wenn ich nicht wäre", ... alles allein machen Überlastung, Ärger mit Kollegen und anderes mehr, sie verteidigen das sogenannte Ressortdenken. In Befragungen werden sonst Einstellungen zur Struktur der Hierarchie offenbart.

Ulrich Bischoff Jahrgang 1920, gelernter Maschinenschlosser, Abendabitur, Diplom der Deutschen Hochschule für Politik, Schwerpunkt Organisationssociologie. Wissenschaftlicher Angestellter oder Referent