Informatiker in der Biotech-Branche

18.02.2005
Von Von Ina
Ob Biologen, Biotechnologen oder Biochemiker - ohne IT-Know-how geht bei Life Sciences nichts. Kein Wunder, dass die Bioinformatiker auf der Wunschliste der Arbeitgeber ganz oben stehen.

Die Macher der Biotech-Branche lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Die einen entwickeln neue Medikamente, die anderen verkaufen die dafür benötigten Anlagen und Serviceleistungen. Als Geburtsdatum für die Branche könnte der 7. April 1976 gelten. Damals gründete Herbert Boyer (einer der Wissenschaftler, denen es drei Jahre zuvor gelungen war, erstmals gezielt Erbinformationen verschiedener Organismen miteinander zu kombinieren und zu vermehren) gemeinsam mit dem Risikokapitalgeber Robert Swanson in San Francisco die Firma Genentech. Mit der Herstellung von menschlichem Insulin und Wachstumshormonen wurde Genentech zum Pionier der Biotech-Branche. Doch während die amerikanischen Unternehmen in diesem Geschäftszweig Milliarden von Dollars verdienen, hinkt die europäische Biotech-Branche hinterher. Die USA bleiben laut den Wirtschaftsprofis von Ernst & Young mit insgesamt 1466 Biotech-Unternehmen vor Kanada (417) und Deutschland (360) die mit Abstand stärkste Nation im Bereich der Biotechnologie.

Die schwierige Situation der Branche hier zu Lande führt Holger Zinke, Vorstandsvorsitzender der Brain AG und Mitglied des Vorstands der Vereinigung deutscher Biotechnologie-Unternehmen, auf zwei Faktoren zurück: Zum einen lasse der Kapitalmarkt derzeit keine Neuemissionen an den internationalen Börsen zu, zum anderen behindert seiner Meinung nach staatliche Regulierung im Bereich der Produktzulassungen die erfolgreiche Weiterentwicklung der Branche. Letzteres kritisiert Zinke: "Die Novellierung des Gentechnikgesetzes und erst recht die bevorstehende ist durchdrungen vom Geist von vor zehn bis 15 Jahren und hat den Umgang mit Risiko-Technologie und Gefahrenabwehr zum zentralen Inhalt." Er versteht diese Haltung nicht, da es bislang zu keinem einzigen Schadensfall gekommen sei. Sein Appell: "Wir können nur dazu aufrufen, der sich entwickelnden Industrie keine Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Denn sie ist möglicherweise eine der ganz wenigen, die zu einem Mehr an Arbeitsplätzen am Standort führt."

Doppelprofil begehrt

Trotz Wirtschaftsflaute sind sich die Experten einig, dass viele Unternehmen Schwierigkeiten haben, qualifizierte Biowissenschaftler zu finden. So klagt Jens Katzek, Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) in Frankfurt, nach wie vor über Nachwuchsprobleme. Vor allem Spezialisten für Genomforschung sowie Bioinformatiker seien rar. Letztere entwickeln Programme, mit deren Hilfe sich Genom-Rohdaten schneller in medizinisch nützliches Know-how umwandeln lassen; damit könne man aufwändige chemische oder biologische Tests vermeiden. Das Ziel ihrer Arbeit ist, die Baupläne von Bakterien, Pflanzen und des Menschen zu entschlüsseln und Zusammenhänge bei der Entstehung von Krankheiten aufzudecken. Für die neuen Herausforderungen brauchen die Pharmaunternehmen, Forschungsinstitute sowie Bioinformatik- und Biotech-Unternehmen Wissenschaftler mit Informatik-Know-how.

Marc Reinhardt, Leiter Life Sciences/Biotech bei der Capgemini Deutschland GmbH in Stuttgart/Berlin, räumt ein, dass das Branchensegment Bioinformatik noch vor drei Jahren um einiges euphorischer beurteilt worden sei. So hatte eine Reihe von Branchen-Reports, darunter auch eine Studie von Capgemini, dem Markt eine positivere Entwicklung prognostiziert. Reinhardt: "Die mittlerweile eingetretene Konsolidierung hat hier so manchen Traum platzen lassen." Doch trotz einiger Rückschläge, davon ist der Capgemini-Berater überzeugt, ist der gesamte Bereich Life-Sciences-IT, zu dem die Bioinformatik zählt, eine Wachstumsbranche. Jungen Leuten, die sich für die Pharma/Biotechnologie-Branche interessieren, rät Reinhardt zu überlegen, ob sie eher wissenschaftlich als Biologe arbeiten wollen oder ob die IT für sie im Vordergrund steht: "Ideal ist auf jeden Fall ein Doppelstudium. Nur auf diesem Weg können derart unterschiedliche Wissensgebiete perfekt vereint werden. Wenn nämlich ein Biologe und ein Informatiker über ein Projekt reden, hat man nicht immer den Eindruck, dass sie über ein und dasselbe sprechen."

Probleme verständlich erklären

Das sieht Karsten Klein, der bei der Lion Bioscience AG in Heidelberg im Bereich Bioinformatik und Produktentwicklung als Software-Architekt tätig ist, anders: "Bei uns kommunizieren die Informatiker und Biologen hervorragend miteinander. Jeder versucht ein Problem zwar in seinen eigenen Worten, aber dennoch sehr verständlich auszudrücken." Dass die Kommunikation so gut klappt, liegt seiner Meinung nach auch daran, dass bei Lion sehr viel interdisziplinär gearbeitet wird. Selbstverständlich müsse sich der Informatiker damit auseinander setzen, was der eigentliche Endbenutzer, also der Biologe, mit der Applikation tun möchte. Klein hat gemeinsam mit seinen Kollegen ein Software-System entwickelt, das die Biologen bei ihren Forschungsprozessen unterstützen soll. Jetzt kümmert er sich um die Wartung und die Weiterentwicklung des Produkts. Klein ist überzeugt, dass die Biologen mit der Informatik weniger Probleme haben als umgekehrt: "Wenn man mit Daten wissenschaftlich arbeiten will, muss man auf Informationstechniken zurückgreifen und dementsprechend auch die Software-Tools kennen."

Um in der IT-Science-Abteilung eines Biotech-Unternehmens zu arbeiten, benötigt man indes nicht immer eine reine Informatik- oder Biologie-Ausbildung. Jörn Lewin, der bei der Epigenomics AG, Berlin, in diesem Bereich arbeitet, hat Biotechnologie studiert: "Der Studiengang selbst hat keinen großen Informatik-Hintergrund. Da geht es vielmehr darum, biologische Mittel für die technische Produktion von Medikamenten einzusetzen." Des Weiteren gehörten zu dem Studium Verfahrenstechnik, Chemie, Biologie und auch Ingenieurstechnik. Lewin entschied sich nach dem Diplom für den Bereich Bioinformatik: "Die Idee entwickelte sich während meines Studiums. Ich wollte aufbauend auf der Naturwissenschaft einen Job, der etwas mit IT zu tun hat. Also habe ich meine Kenntnisse entsprechend aufpoliert." Bei Epigenomics sind neben Bioinformatikern jede Menge Quereinsteiger zu finden. Dazu gehören Physiker, Mathematiker und Statistiker. Laut Lewin gibt es mit der Verständigung so gut wie keine Probleme: "Uns schweißt die Begeisterung für die junge Branche zusammen. Wir arbeiten in einem Bereich der Wissenschaft, der noch in den Kinderschuhen steckt und eine große Zukunft vor sich hat." Der Biotechnologe sieht noch einen weiteren Vorteil: "Der Job ist deshalb spannend, weil wir zum einen viel mit der IT arbeiten und zum anderen das Gefühl haben, aufgrund der biologisch-medizinischen Fragestellungen nahe am Leben dran zu sein."

Fortbildung hilft beim Umstieg

Ähnlich sieht das Edda Koopmann, Laborleiterin Bioinformatik bei Bayer Crops Science in Monheim. Die Bio-Chemikerin ist während ihres Studiums mit der Bioinformatik in Kontakt gekommen.

In einer einjährigen postgraduellen Fortbildung erwarb sie die notwendigen Grundkenntnisse im IT-Bereich. Koopmann: "Die Fortbildung war lediglich ein Einstieg - das weitere Wissen habe ich mir mittels Learning by Doing angeeignet."

Für die Biochemikerin steht fest, dass Biologen einen guten mathematischen Hintergrund mitbringen müssen. Schließlich bräuchten sie für ihren Job in der Bioinformatik jede Menge Statistik und müssten auch mit Software-Tools umgehen können. Informatiker wiederum sollten, so Koopmann, zumindest die biologischen Prozesse verstehen und sich auch dafür interessieren: "Die Ähnlichkeit zwischen Biologen und Informatikern besteht in der Affinität zu Zahlen und in der Freude am systematischen, logischen Arbeiten. Sowohl Biologie oder Biochemie als auch Informatik zu studieren ist auf jeden Fall eine gute Lösung." (hk)