Informatiker brauchen jetzt Manieren

27.11.2001
Von in Bettina
Informatiker gelten als unkommunikativ und gesellschaftlich wenig geschliffen. "Fit für die Karriere" sollte die Informatikstudenten deshalb ein gleichnamiges Etikette-Seminar machen.

Krawattenlängen-Check. Zwölf Männer stehen auf, blicken an sich herunter und hoffen, vor der Leiterin des Etikette-Seminars zu bestehen. Sitzen bleiben nur vier Damen und ein Herr ohne Schlips. Mit stolzgeschwellter Brust, die unter der perfekt gebundenen Krawatte gut zu sehen ist, nimmt Armin Kreutzer, Informatiker im neunten Semester, das Lob von Imme Vogelsang entgegen: Sehr gut. Die Breitseite des Binders sitzt mittig über der Gürtelschnalle. "Mein Vater hat mir klamottentechnisch einiges beigebracht", erzählt Kreutzer später. "Ich binde zum Beispiel auch jeden Morgen die Krawatte neu, damit sie nicht knittert."

Auf dem Programm standen Benimm und Etikette für Informatiker. Offenbar unterstellt Arndt Bode, Professor an der Technischen Universität München, seinen Studenten auf diesem Gebiet Defizite, denn er empfahl den angehenden Informatikern die Teilnahme. Wer allerdings mit einem Haufen blasshäutiger, kommunikationsunfähiger Individuen in Jeans und Turnschuhen als Teilnehmer rechnete, wurde eines Besseren belehrt. Die Studenten waren mindestens im Anzug, einige sogar im Dreiteiler erschienen. Deshalb erwartete auch niemand, aus dem Seminar als neuer Mensch hervorzugehen. Die meisten Teilnehmer sahen es ähnlich wie Frank Forster, angehender Master of Business Administration (MBA): "Ich will mir hier nur den Feinschliff holen."

Etikette ist wieder in. Wer sich im Beruf gut verkaufen möchte, beachtet die Farbe und Länge seiner Socken - niemals weiß und lang genug, dass keine nackte Haut hervorblitzt, wenn man die Beine übereinander schlägt -, grüßt Geschäftspartner und ihre Begleitung in der richtigen Reihenfolge und weiß, dass beim Geschäftsessen kein guter Appetit gewünscht wird.

Jeder Fehler kann den Job kosten. Dies meint zumindest PR-Expertin Vogelsang von der Initiative "Treffpunkt Tisch", die durch das ganztägige Seminar führte. Für Männer gilt: keine mehrfarbigen Schuhe, Anzüge am besten nur in Marine - wegen der Autorität. Keine Button-down-Hemden, die gehören in die Freizeit. Wer es noch nicht wusste: Button-down-Hemden zieren zwei sichtbare Knöpfe auf den Kragenecken. Bei Frauen sind die Details nicht so wichtig. Um autoritär zu wirken sollen sie ihre Haare gebunden tragen. Und nackte Beine sind tabu. Auch bei 30 Grad im Schatten ist Nylon angesagt.

Abgeklärt nahmen die Teilnehmer selbst die konservativste Kleiderregel zur Kenntnis. Kurz diskutierte der stilbewusste Informatikernachwuchs lediglich die Frage, ob ein "Under-Button-Down" erlaubt sei, da doch bei dieser Hemdvariante die Knöpfe, die die Kragenspitzen herunterhalten, nicht zu sehen seien (Antwort: Ja, erlaubt). Erst bei der Frage nach dem Einstecktuch (auf keinen Fall im selben Design wie die Krawatte!) wagte ein Teilnehmer den Einspruch, dass dies etwas konservativ sei. Nun, konzedierte die Hamburger Seminarleiterin, das sei Geschmackssache.

Die kühle Hanseatin ließ sich überhaupt selten aus der Fassung bringen. Offensichtlich lebt sie das, was sie ihren Schützlingen in Benimmkursen beibringt: "Die Regeln zu beherrschen verschafft Sicherheit. Dann übersteht man auch eventuelle Pannen souverän." Vogelsang musste zum Beispiel eingestehen, dass sie zwar mit allen Finessen des Fischessens vertraut ist, wie man allerdings ein Weißwurstessen stilvoll durchhält, wusste sie nicht. Die Frage, ob die Wurst "auszuzutzeln" oder zu pellen sei, blieb für diesmal ungeklärt.

Auch wenn die Norddeutsche diesem regionalen Problem nur wenig Bedeutung beimaß, betonte sie, dass andere Unsicherheiten den Job kosten könnten. Manches klang einleuchtend: "Mit einem labberigen Händedruck sind Sie als Bewerber beim Personalchef unten durch." Anderes schien den Teilnehmern übertrieben. Das Szenario vom Test-Abendessen, das auf ein Vorstellungsgespräch folgen soll, hielten die meisten Studenten für unrealistisch. Außerdem mochten sie nicht glauben, dass Fehler wirklich zur Absage führen können: "Wenn ich den Job deshalb nicht bekomme, weil ich nicht weiß, wie man eine Garnele zerlegt, dann will ich ihn auch gar nicht", so die trotzige Einschätzung von Maik Steinmetz, 26-jähriger Diplomingenieur und MBA-Kandidat.

Trotzdem interessierte sich Vicki Vieracker, Informatikstudentin im ersten Semester, auch für das Thema Tischsitten. Ihr frisch erworbenes Know-how kam voll zum Einsatz: "Ich habe als Erstes mein Messer vom Tisch geschossen" - zum Glück wusste Vieracker seit dem Vormittag, dass man sich nicht nach heruntergefallenen Besteckteilen oder Servietten bückt. Beim Drei-Gänge-Menü kamen alle auf ihre Kosten: "Natürlich werden heute nur fiese Gerichte serviert", stimmte Seminarleiterin Vogelsang die Teilnehmer auf das Bevorstehende ein.

Tatsächlich tischte das Servicepersonal des Arabella-Sheraton-Hotels in München all jene Herausforderungen auf, von denen Vogelsang im Theorieteil abgeraten hatte: "Nehmen Sie bei einem geschäftlichen Dinner nichts, was schwierig zu essen ist." Dies können neben Canapés mit rohem Schinken Spaghetti, sämtliche Meeresfrüchte oder Geflügelbeine sein. Verständlich, dass der Verzehr von Schalentieren und langen, glitschigen Nudeln in roter Sauce besondere Fertigkeiten erfordert. Aber die Probleme beginnen schon bei Brot und Butter. "Die Deutschen sind im Ausland dafür verschrien, dass sie sich Stullen schmieren", kritisiert die Seminarleiterin. Anstatt Brot in mundgerechte Stücke zu brechen und dann einzeln mit Butter zu bestreichen, schmieren sie sich erst eine ganze Scheibe und beißen dann ab.

Nicht jeder beherrscht Smalltalk "Ob ich das künftig alles richtig mache, wird sich zeigen", schmunzelte Teilnehmer Steinmetz nach dem Übungs-Menü. Aber zum korrekten Auftreten der karrierebewussten Studenten leistete das Seminar durchaus einen Beitrag. Allerdings garantiert die Kenntnis der Regeln noch keine souveräne Selbstdarstellung. Das merkten die Teilnehmer spätestens beim Smalltalk. Die vorher gelernten Begrüßungsregeln reichten nur für die ersten Sekunden. Worüber soll man unbefangen reden, wenn man eben erfahren hat, dass Themen wie Politik, Geld oder Krankheiten grundsätzlich Tabu sind?

Bunte Bälle fliegen hin und her. Wer fängt, muss reden, egal worüber - beinahe. Eine Handvoll angehender Informatiker und Ingenieure steht beisammen. Reichlich bemüht biegt ein Grüppchen das Gespräch in Richtung Fußball. Sport zieht immer. Das hat doch die Seminarleiterin gesagt.

Auch Professor Bode ging das Ballspiel nicht viel einfallsreicher an. Seine Pässe landeten im Leeren - die Architekturstudentin Stefanie Eigstler wollte mit dem Hochschullehrer nicht über Informatik plaudern. Als Meister der Steilvorlage entpuppte sich dagegen Werner Brendli vom Münchner Arbeitsamt. Er brachte das Gespräch endlich auf das unverfänglichere Reise-Thema, spielte einen vierten Partner an, der souverän zu einem Exkurs über Wiener Café-Häuser verwandelte. Deutlich wurde jedenfalls, dass sich Smalltalken nicht so schnell lernen lässt wie Krawattenjustierung.