ERP-Comeback

Infor-CEO Charles Phillips: Kunden wollen Auswahl

26.11.2012
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Der Business-Softwareanbieter Infor arbeitet am Comeback. Im Gespräch mit CW-Redakteur Martin Bayer erläutert der von Oracle gekommene CEO Charles Phillips, wie er sich im Wettbewerb gegen SAP und seinen Ex-Arbeitgeber aufstellen will.

CW: In den vergangenen Jahren war es sehr ruhig um Sie, ganz anders als zu Ihren turbulenten Zeiten bei Oracle. Was waren die Gründe dafür, dass wir zuletzt einen ganz anderen Charles Phillips gesehen haben?

Infor-CEO Charles Phillips: "Bei allen Veränderungen stand immer im Fokus, gute Produkte im Markt anbieten zu können."
Infor-CEO Charles Phillips: "Bei allen Veränderungen stand immer im Fokus, gute Produkte im Markt anbieten zu können."
Foto: Infor

Phillips: Infor steckt im Moment in einer Transformation. Wir haben ein neues Management-Team formiert, um den Dingen eine neue Richtung zu geben - ganz anders, als es bisher gelaufen ist. Es hat aus unserer Sicht zuletzt keinen Sinn gegeben, die PR-Trommel zu rühren, bevor wir nicht unsere Produkte auf den neuesten Stand gebracht und eine Architektur dafür gebaut sowie viele andere wichtige Dinge verändert haben. Jetzt kommt allerdings der Zeitpunkt, an dem wir zeigen können, was unsere Investitionen bewirkt haben.

CW: Was wollen Sie künftig bei Infor anders machen?

Phillips: Bei allen Veränderungen stand immer im Fokus, gute Produkte im Markt anbieten zu können. Daher haben wir auch viel Zeit investiert, genau zu überlegen, wie und in welchen Bereichen wir unsere Mittel schnell, aber auch sinnvoll anlegen sollten. Wir mussten uns überlegen, auf welche Produkte, welche Features und welche Branchen wir uns in Zukunft konzentrieren wollen. Wir mussten herausarbeiten, wie wir uns im Markt differenzieren wollen und wo unsere Stärken liegen. An diesen Stellen wollen wir investieren.

CW: Auf welche Bereiche legen Sie dabei den Fokus?

Phillips: Wir haben im zurückliegenden Jahr über 600 zusätzliche Ingenieure eingestellt. Zudem suchen wir weitere 400 Fachleute. Insgesamt arbeiten bei Infor mittlerweile 4000 Entwickler, die sich nur um unsere Applikationen kümmern. Das ist eine der größten Entwicklungsabteilungen in der gesamten Industrie. Mit dieser Mannschaft sind wir in der Lage, zügig neue Produkte in den Markt zu bringen. Das ist auch die Grundlage für unser Wachstum. In den zurückliegenden 18 Monaten konnten wir die höchsten Zuwachsraten der vergangenen Jahre verzeichnen. Wir gewinnen Marktanteile. Das ist alles ein Resultat unserer Investitionen, die wir zuletzt in das Unternehmen Infor gesteckt haben.

CW: Der Markt für Business Software ist hart umkämpft. Speziell hier in Deutschland hat SAP eine starke Position. Wie sehen Sie den Markt und welche Möglichkeiten bieten sich aus Ihrer Sicht, gegen einen Konkurrenten wie SAP zu bestehen?

Phillips: In vielen Industrien legen die Unternehmen Wert darauf, mit mehr als einem Lieferanten zusammenzuarbeiten. Doch das Feld der Wettbewerber im Markt für Business-Software ist ziemlich klein. Die Kunden flehen deshalb geradezu nach zusätzlichen Auswahlmöglichkeiten. Es gibt SAP, deren Produkte sehr teuer sind, und Oracle mit einer ganzen Palette verschiedener Lösungen, die sich nicht klar differenzieren lassen und auch teuer sind. Deshalb suchen die Anwender nach einer dritten Alternative mit einer verlässlichen Größe und Stellung im Markt. Aus diesem Grund finden wir relativ einfach Zugang im Markt.

CW: Was können Sie den Kunden denn bieten im Vergleich zu SAP oder Oracle?

Phillips: Viele Unternehmen sind die Probleme leid, die im Zuge von SAP-Implementierungen auftreten. Sie wollen neue Lösungen zügig einführen, und haben nicht das Geld und die Zeit für aufwendige Projekte, die sich über mehrere Jahre hinziehen. An dieser Stelle kommen wir ins Spiel. Wir haben eine Methode, unsere Applikationen schnell zu implementieren. Unsere Projekte dauern ein paar Monate und nicht Jahre. Das ist es, was der Markt verlangt.

CW: Wie funktioniert das? Es laufen doch immer noch so viele Projekte aus dem Ruder? Was sind die Probleme, mit denen die Anwender zu kämpfen haben?

Phillips: Die entscheidende Frage ist doch: Warum verfehlen so viele Projekte ihre Zeit- und Budget-Vorgaben? Indem wir diese Probleme adressieren, können wir uns auch im Wettbewerb differenzieren. Ein Problem anderer Softwareanbieter ist die Integration verschiedener Produkte. Gerade wenn Firmen wie SAP mehr und mehr Unternehmen zukaufen, wird das immer schwieriger. Sie haben nicht mehr nur ein Produkt, sondern viele, die auf irgendeine Weise miteinander integriert werden müssen. Diese Probleme werden im Laufe der Zeit schlimmer.

CW: Was ist die Lösung?

Phillips: Der einzige Weg, dieses Problem zu lösen, ist die Integration zum Bestandteil der zugrunde liegenden Anwendungsinfrastruktur zu machen. Das war in der Vergangenheit meist nicht der Fall. In den 80ern startete man mit Einzelapplikationen, die über Punkt-zu-Punkt-Verbindungen miteinander verknüpft wurden. Das war beratungsintensiv, aufwendig und teuer. Dann folgte die monolithische Ära mit den großen Suiten a la SAP. Probleme gibt es hier, wenn Akquisitionen hinzukommen, dann ist dieses Modell nicht mehr glaubwürdig. Im Internet-Zeitalter lässt sich Software einfach über standardisierte Web Services miteinander integrieren. Wir setzen an dieser Stelle auf XML.

Alle unsere Applikationen sprechen XML. So sind sie lose gekoppelt, um sich mit anderen Anwendungen verknüpfen zu lassen. Mit diesem einfachen Middleware-Protokoll unterscheiden wir uns im Markt von unseren Wettbewerbern. Damit können wir unsere Applikationen einfach integrieren. Kunden müssen keine jahrelangen Projekte mehr fürchten, sondern können von Haus aus darauf bauen, dass alles miteinander funktioniert. Diese Integration zu vereinfachen - das war ein wichtiger Bereich, um den wir uns gekümmert haben.

CW: Oracle und SAP haben ihre eigenen Integrationsplattformen. Was ist der Unterschied zu ihrem Modell?

Phillips: Das ist ein ganz anderer Ansatz. SAP und Oracle verbinden ihre Software fest mit der Middleware. Diese vorgefertigten Systeme gleichen eher Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. Wenn sich eine Applikation verändert, muss man sich erneut um die Integration kümmern. Das endet nie. Unsere Anwendungen lassen sich dagegen beliebig verändern. Die Sprache, wie Daten und Informationen ausgetauscht werden, bleibt gleich. Jeder Event, jede Transaktion wird in XML publiziert.

Damit spielt es keine Rolle, wie die Applikationen aussieht. Jede Anwendung kann XML. Das ist Standard. In diesem Modell ist die Integration von der Anwendung getrennt. Traditionelle Middleware tut dies nicht. Deshalb sind Veränderungen hier auch so problematisch: Verändert man an den Applikationen beziehungsweise der Integrationsschicht etwas und ist die Integration zu proprietär angelegt, bricht alles zusammen, wenn ein kleines Teil verändert wird. Das ist nicht tragbar.

CW: Wird dieser Aspekt auch künftig ein Schwerpunkt in ihrer SW-Entwicklung sein?

Phillips: Es ist ein wichtiger Bestandteil: Integration möglichst einfach zu machen. Das ist auch die Basis, um Informationen für alle Applikationen verfügbar zu machen. Indem wir alle Informationen in das XML-Format übersetzen, machen wir diese auch leichter auswertbar. Anwender können so das Thema Big Data besser in den Griff bekommen. Sie benötigen keine komplexen ETL-Tools mehr, um die Daten aus den Systemen herauszuholen, zu übersetzen und in andere Systeme zu überspielen. Wir haben eine andere Vorstellung von Middleware. Es geht um eine einfache leichtgewichtige Middleware, die keine Komplexität verursacht.

CW: Neben der Integration - was gibt es sonst noch für Probleme aus ihrer Sicht?

Phillips: Was Projekte in der Vergangenheit oft in die Länge gezogen hat, war das Fehlen von branchenspezifischen Funktionen in der Software. Diese mussten oft mit einem hohen Beratungs- und Customizing-Aufwand nachträglich entwickelt und eingepflegt werden. Infor hat diese Funktionen bereits in die Anwendungen integriert. Das gilt nicht für alle Industrien, aber für die, um die wir uns kümmern. Diese integrierten Branchenfunktionen verkürzen die Implementierungsdauer. Anwender haben heute nicht mehr die Zeit und das Geld, ihre Software erst aufwendig an ihre Anforderungen anzupassen, wie noch vor einigen Jahren. Deshalb finden wir mit unserem Ansatz auch Gehör im Markt.

CW: Momentan passiert sehr viel in den Bereichen abseits von ERP. Sehen Sie noch Potenzial, mit Kern-ERP Geschäfte zu machen?

Phillips: Auf jeden Fall. Etliche Anbieter haben ihr Portfolio in den vergangenen Jahren stark diversifiziert und sich auf andere Bereiche wie Datenbanken oder Hardware konzentriert. Das bedeutete aber, dass sie weniger Geld für ihre Kernbereiche wie zum Beispiel das ERP-System übrig hatten. Unser Vorteil ist, dass wir einer der letzten Softwarehersteller sind, die sich ganz auf das Applikationsgeschäft konzentrieren. Wir verkaufen keine Datenbanken, keine Hardware, keinen Speicher, all diesen Kram. Bei uns sitzen 4000 Entwickler, die an neuen Branchenfunktionen arbeiten.

Wir werden in Zukunft unsere Investitionen in die Kernapplikationen noch verstärken. Unsere Kunden sollen die Anwendungen nicht anpassen müssen. Sie sollen uns sagen, welche Funktionen sie brauchen und wir bauen sie in die Software ein. In jeder Branche, die wir adressieren, wollen wir noch tiefer die dort geforderten Funktionalitäten abdecken. Deshalb lässt sich unsere Applikationen auch schneller einführen, weil wir diese Funktionen bereits in der Software mitliefern.