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Infomatec: Grenzgänger zwischen Dichtung und Wahrheit

17.08.2000
Schwarzes Schaf am Neuen Markt

Von CW-Redakteur Gerhard Holzwart

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Es ist noch nicht lange her, dass so genannte Todeslisten über Firmen am Neuen Markt kursierten. Jederzeit könne die explosive Mischung aus falscher Strategie, unprofessionellem Management und ausgehendem Kapital hochgehen, hieß es. Seltsamerweise fehlte in dieser illustren Schar von Newcomern auf dem Börsenparkett stets ein Name: Infomatec Integrated Information Systems AG. Was bei näherem Hinsehen doch etwas verwundert, denn auf das Augsburger Unternehmen scheint besagtes "Profil" ebenso zuzutreffen– und vermutlich noch ein bisschen mehr.

Es war ein herrlicher Sommertag Mitte Juni vergangenen Jahres in Hamburg, den einige mit der Materie vertraute Journalisten vor allem deshalb in Erinnerung behielten, weil sie Zeugen einer irgendwie seltsamen Veranstaltung geworden waren. Die Mobilcom AG hatte zu einer Pressekonferenz mit Infomatec geladen, und Gerhard Schmid gab sich alle Mühe, ein Produkt zu loben, an dessen Marktfähigkeit er – was nach heutigem Stand als gesicherte Erkenntnis gelten dürfte – schon damals seine Zweifel hatte. Und man wurde seinerzeit als Beobachter auch das Gefühl nicht los, dass der Mobilcom-Chef diese Vorbehalte nicht nur gegenüber dem Produkt, sondern auch seinem neuen Geschäftspartner hatte. Der übrigens war nur mit der zweiten Garnitur seines Managements angereist und überließ dem charismatischen Schmid die "Show".

Mobilcom: Nur 14 000 Surfstations gekauft

Womöglich auch deshalb, weil, wie es sich heute darstellt, die Infomatec-Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele bisweilen so ihre Probleme mit seriöser Öffentlichkeitsarbeit haben, doch davon später mehr. Gerhard Schmid strengte sich jedenfalls an jenem Tag wirklich an, die "JNT-Surfstation" von Infomatec als die Killerapplikation für ein rein endkundenorientiertes Geschäftsmodell im Internet zu verkaufen. "Die Zukunft der Telefongesellschaften ist das Internet“, hatte es schon mit einem gewissen Sinn für Dramaturgie in der Mobilcom-Einladung zur Pressekonferenz geheißen – eine strategische Einschätzung, in deren Folge Schmid dann vor den Journalisten einen Satz formulierte, den er heute vermutlich am liebsten aus allen Archiven entfernen lassen würde: "Ich glaube, dass der Markt für die Internet-Nutzung via TV in Deutschland über ein größeres Wachstumspotenzial als der PC-Markt verfügt."

Nun geht es aber nicht um Gerhard Schmid. Der Mobilcom-Chef hat in Hintergrundgesprächen längst eingeräumt, sich hier in puncto Marktaussichten "getäuscht" zu haben. Seine Erfolgsbilanz spricht ohnehin Bände, und die Zukunft seiner Company liegt (von ihm geschickt eingefädelt) in der Tat im Internet. Offensichtlich spielt dabei aber die Settop-Box von Infomatec keine entscheidende Rolle mehr – und bei diesem Thema wird die Pressestelle des sonst so kommunikativen Büdelsdorfer Netzbetreibers plötzlich sehr einsilbig. Ganze 14000 Stück hat man nämlich Infomatec bisher abgenommen – keine sehr rosige Bilanz einer Geschäftsbeziehung, deren ursprüngliches Zieles war, Hunderttausende von "Couch Potatoes" mit Hilfe der Augsburger Surfstation ins Web zu bringen.

GlobalWell.com - das Vertriebsdesaster

Szenenwechsel: Pforzheim-Innenstadt, Zerennerstraße 18. Mitten in bester Citylage ein unscheinbares Büro- und Wohngebäude. Im fünften Stock "residiert" in einer Fünf-Zimmer-Wohnung die deutschlandweit tätige Vertriebsorganisation GlobalWell.com. Sie orderte, glaubt man einer Ad-hoc-Meldung der Augsburger vom 13. September 1999, per Rahmenabkommen besagte JNT-Boxen samt zugehörigen Softwarelizenzen im Wert von insgesamt rund 55 Millionen Mark. Doch dazu kam es nicht. "Nachdem der Vertrieb aufgrund der nicht eingehaltenen Zusagen seitens der Infomatec AG (Lieferung Boxen etc.) im Streit von mir geschieden war, musste ich die ganze Sache beerdigen", erklärt Traugott Scherer, bis heute Einzelgesellschafter von GlobalWell.com.

Was der schwäbische Diplomingenieur, nebenbei noch Chef eines in Leipzig und Pforzheim ansässigen Systemhauses, mit "Vertrieb" meint, sind mehrere tausend Verkäufer, die die Infomatec-Surfstation quasi an der Haustür verkaufen sollten. Zwar nicht über 5000 Außendienstler, wie die Augsburger in einer Ad-hoc-Nachricht mitteilten, aber immerhin mehr als 3000 - jedenfalls gilt dies für die Blütezeit von GlobalWell.com., als man dort auch über die Gründung einer AG nachdachte. Doch die Aufbruchstimmung verflog, wie gerade angedeutet, sehr schnell. Über die näheren Hintergründe des Niedergangs schweigt sich Scherer heute aus, denn er befindet sich eigenen Angaben zufolge mit Infomatec "in Neuverhandlungen über einen erneuten Vertriebsansatz".

Insider berichten indes von geradezu grotesken Aktivitäten, die sich im Frühjahr und Sommer vergangenen Jahres im "Ländle" zugetragen haben sollen. Demnach wurden in zahlreichen Veranstaltungen in Hotels (einmal kam es angeblich sogar zu einer „Großkundgebung“ in der Stuttgarter Filderhalle) so genannte freie Handelsvertreter mit einem Null-acht-fünfzehn-Anstellungsvertrag angeworben. Nichts Ungesetzmäßiges wohlgemerkt, aber als Infomatec die Box nicht liefern konnte oder wollte, brach die "Vertriebsorganisation" offenbar wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Müßig ist in diesem Zusammenhang natürlich die Frage, wie viele Surfstations GlobalWell.com bisher verkauft hat.

Die Geschichte, die hier zum Vorschein kommt, wäre es ohne Zweifel wert, in ihren zahlreichen Verästelungen noch näher beleuchtet zu werden. Zum Beispiel die Umstände, die einen bodenständigen Geschäftsmann wie Scherer dazu bringen, eine Menge Geld in den Aufbau eines Unternehmens zu stecken, das ein Produkt verkaufen soll, dessen technische Reife und Verfügbarkeit sich ihm - vorsichtig formuliert - ungewiss darstellen mussten. Noch mehr drängt sich allerdings die Frage auf, was von einem börsennotierten Unternehmen zu halten ist, dessen Ad-hoc-Mitteilungen in einzelnen Fällen offenbar Grenzgänger zwischen Dichtung und Wahrheit sind. Der "Mega-Deal" mit GlobalWell.com entpuppt sich jedenfalls bei näherem Hinsehen als klassischer Rohrkrepierer; während Anlegern und Analysten ad hoc bereits die große Vision verkauft wurde ("Eine Erweiterung des Abkommens und damit der Vertrieb in ganz Europa sind bereits vorgesehen"), bastelte man in Baden-Württemberg noch am Aufbau einer entsprechenden Drückerkolonne.

Auch Mobilcom-Sprecher Stephan Arlt legt Wert auf die Feststellung, dass seine Company mit den 14000 abgenommenen Boxen "einen Festvertrag mit Infomatec komplett ausgefüllt" hat; die Option, eventuell auf 100 000 Stück aufzustocken, werde "von Mobilcom zur Zeit nicht angestrebt, sie bleibt aber bestehen". Solche bedeutungsschwangeren Sätze formuliert man in aller Regel nur dann, wenn man die Geschäftsbeziehung mental längst beendet hat und auf den formalen Ausstieg wartet. Arlt gibt sich ansonsten aber, wie eingangs angedeutet, zugeknöpft und bestätigt nur noch, dass eine entsprechende Ad-hoc-Meldung der Augsburger vom 19. Mai 1999 ("Größter Deal der Firmengeschichte") nicht mit seinem Unternehmen abgestimmt war. Wofür übrigens auch die Tatsache spricht, dass in besagter Pressenotiz natürlich nichts von einer vertraglich vereinbarten Mindestabnahme von lediglich 14000 Boxen steht.

Wer (und wo) bitte ist WDC?

Dubios wirkt auch eine weitere Ad-hoc-Ankündigung von Infomatec vom 16. November vergangenen Jahres, die nach dem gleichen Strickmuster formuliert ist. Wieder handelt es sich um ein Rahmenabkommen zum Bezug von JNT-Surfstations samt zugehörigen Softwarelizenzen im Auftragswert von mehr als 50 Millionen Mark. Auftraggeber ist angeblich das britisch-französische Unternehmen Worldwide Database Company Ltd. (WDC) mit Hauptsitz in Cardiff, Wales. Seltsam ist nur, dass sich die Spur dieses bedeutenden Infomatec-Kunden, der "für über 10000 Unternehmen und mehr als 3000 öffentliche Institutionen als Internet-Full-Service-Provider tätig ist", im Internet und bei der Telefonauskunft in der walisischen Hauptstadt verliert.

Es ist also in diesem Zusammenhang mehr als nur eine Frage offen. Bis Redaktionsschluss wollte Infomatec Anschrift und Namen verantwortlicher Gesprächspartner bei WDC nicht nennen. Momentan laufe eine interne Untersuchung, weil WDC mit der Erfüllung des Vertrages in Verzug sei, hieß es. Sobald diese abgeschlossen sei, werde man nähere Einzelheiten bekannt geben.

Doch die Geschichte der JNT-Surfstation ist damit noch nicht zu Ende erzählt. Als erwiesen dürfte zum einen gelten, dass die Augsburger bis heute keine nennenswerte Zahl ihrer Settop-Box verkaufen konnten - was auch deshalb von Bedeutung ist, weil dieses Geschäft kurz nach dem Börsengang im Juli 1998 zu einer der tragenden Säulen einer entsprechend neu formulierten Wachstumsstory wurde. Infomatec selbst gibt an, bisher rund 60 000 Surfstations ausgeliefert zu haben - was man bis auf weiteres so im Raum stehen lassen muss. Übrigens auch, dass bis zum heutigen Tag in der einschlägigen Szene das (Vor-)urteil besteht, dass die JNT-Surfstation nichts tauge. Viel wichtiger ist aber, dass die gegenwärtige Situation auch noch eine etwas pikante Vergangenheit hat, bei der es sich lohnt, den Schleier zu lüften.

Surfstation - Herkunft ungewiss

Geraume Zeit vor den ad hoc groß gefeierten "Mega-Deals", nämlich im Dezember 1998, hatte Infomatec gemeinsam mit der Schneider Rundfunkwerke AG, Türkheim, die Schneider Cybermind Systems AG gegründet. Ziel dieses Joint Ventures war die Vermarktung der Surfstations im großen Stil. Ganz zupass kam den Augsburgern dabei offensichtlich auch ein sich über Monate hinweg im Markt haltendes "Missverständnis", wonach die Schneider Rundfunkwerke auch Produzent der offensichtlich aber in Taiwan gefertigten Settop-Boxen seien.

Doch zurück zum eigentlichen Thema. Wie sich schnell zeigte, war dem Joint Venture trotz der publicityträchtigen Großaufträge, die Infomatec angeblich an Land zog, kein Erfolg beschieden. Bereits im Dezember 1999 veräußerten jedenfalls die Schneider Rundfunkwerke ihre Anteile an den Ex-Vorstand Joachim Kleine, der in der Folge (mit erneuter Beteiligung von Infomatec) einen weiteren Versuch startete, den Settop- Boxen zum lang erhofften Durchbruch zu verhelfen. Schon zuvor, im August 1999, war das Unternehmen in Crosstainment AG umbenannt worden.

Und welche Rolle spielt Computime?

Wer glaubt, dass die Reihe undurchsichtiger Vorgänge, in die das Unternehmen Infomatec verwickelt zu sein scheint, damit zu Ende ist, sieht sich getäuscht. So hielt im Frühjahr dieses Jahres die interessierte Öffentlichkeit ein skandalumwitterter Prozess am Landgericht Augsburg in Atem. In dem Verfahren ging, besser gesagt, geht es primär um den Mitte 1998 erfolgten Konkurs eines in Landsberg/Lech ansässigen Softwarehauses namens Computime, dessen Geschäftsführer seither in Haft sitzt und inzwischen wegen Beihilfe zur Untreue zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Aufsehen erregte der Fall deshalb, weil im Zuge der Insolvenz von Computime eine ganze Bank (Sparkasse Schwabmünchen) durch so genannte "Scheckreitereien" in die Affäre verwickelt war.

Unangenehm für Infomatec ist die Angelegenheit indes vor allem deshalb, weil einer der inzwischen ebenfalls verurteilten und inhaftierten Bankvorstände laut Berichten der "Augsburger Allgemeinen" nach seiner Suspendierung zeitweise als externer Berater für Infomatec gearbeitet haben soll. Und was noch brisanter ist: Aus der Konkursmasse von Computime soll Software auf verschlungenen Wegen zu den Augsburgern gekommen sein. Wie es der Zufall haben will, war das wichtigste Produkt des inzwischen liquidierten Softwarehauses eine "Mediabox", deren Entwicklung offenbar die Firmenkasse heillos überforderte und mit Auslöser der betrügerischen Geschäftspraktiken war. Und rein zufällig sollen, so das Blatt, die Schneider Rundfunkwerke und/oder Infomatec seinerzeit als Geldgeber für einen Deal bereitgestanden sein, der letztendlich offenbar nur daran gescheitert ist, dass die beteiligte Bank vorher die Notbremse zog und Computime den Geldhahn zudrehte.

Infomatec hat seinerzeit zwar der "Augsburger Allgemeinen" gegenüber erklärt, dass es keinen Zusammenhang mit dieser Konkursaffäre und der eigenen JNT-Surfstation samt zugehöriger Software gibt und sich dies auch technisch beweisen und begründen lässt. Auch gegenüber der CW dementierte Infomatec, dass Untersuchungen gegen das Unternehmen laufen. Offiziell ermittelt man nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Kolb derzeit weiterhin "wegen des Verdachts von Bankrotthandlungen zum Nachteil der Firma Computime" - Untersuchungen, mit deren Abschluss "nicht vor Ende dieses Jahres zu rechnen" sei. Gegen wen sich diese Untersuchungen richten, lässt Kolb offen, doch nach der Interpretation gut informierter Quellen aus dem Kreis der damaligen Prozessbeobachter und Ermittlungsbehörden könnte auf die Augsburger hier noch die eine oder andere unangenehme Frage zukommen.

Wer hat was bei Computime geklaut?

Nähme dieses Verfahren eine für Infomatec bedrohliche Wendung, könnte es im schlimmsten Fall dazu kommen, dass die Augsburger des Diebstahls geistigen Eigentums im Zusammenhang mit einem Produkt bezichtigt würden, das heute noch zu ihrem Kerngeschäft zählt. Im Moment sind dies, man muss es noch einmal betonen, Spekulationen, die sich offiziell nicht erhärten lassen.

Doch besagte Settop-Boxen sind nur einer von mehreren Brennpunkten, die sich bei den Augsburgern aufdrängen - "angestachelt" sozusagen vom Fall des ebenfalls am Neuen Markt notierten Wettbewerbers Metabox, dessen seltsame Mitteilungspolitik in Kombination mit angeblich anonym bleiben wollenden Auftraggebern in den zurückliegenden Wochen auch für Schlagzeilen gesorgt hatte. Nein, man kann und muss Infomatec auch noch an anderen Ankündigungen (und Ansprüchen) messen.

Am Thema SAP-Kompetenz zum Beispiel, mit dem das Unternehmen seit seinem Börsengang hausieren geht und das vor kurzem - ganz dem Zeitgeist entsprechend - in einen neuen Geschäftsbereich namens Application-Service-Providing (ASP) integriert wurde. Dumm ist in diesem Zusammenhang nur, dass es auch damit nicht (mehr) weit her zu sein scheint. Mario Uhl jedenfalls wüsste hierzu sicher seine eigene Geschichte zu erzählen.

SAP-Kompetenz umstritten

Uhl war offiziell vom 24. Juni 1999 bis 31. März 2000 für den Bereich Personal verantwortliches Mitglied des Infomatec-Vorstandes und verließ dann im Streit das Unternehmen. Was an sich schon eine beeindruckend kurze Zeitspanne für ein Vorstandsamt ist, seine besondere Note aber dadurch erhält, dass Insidern zufolge mit ihm neben Oliver Ritter, der es als ebenfalls im Juni 1999 bestellter Vorstand nur rund sechs Wochen in Augsburg aushielt, Teile der SAP-Mannschaft Infomatec verließen. Wohin, dürfte ebenfalls klar sein. Schon im Februar dieses Jahres tauchte Uhl wieder auf - als Geschäftsführer des neu gegründeten Comparex-Spinoffs Comsap GmbH, dessen Hauptgeschäft, wie könnte es anders sein, die Erbringung von Dienstleistungen im R/3-Umfeld ist.

Aus nahe liegenden Gründen hält sich Uhl mit Aussagen über seine "Augsburger Zeit" sehr bedeckt; spricht aber "von Projekten, die direkt im Local Support Team bei der SAP von Junior-Beratern betreut wurden". Eine Aussage, die nicht unbedingt mit der von Infomatec selbst und vielen Analysten im Vorfeld des IPOs dargestellten langjährigen R/3-Implementierungskompetenz korrespondiert. Auch SAP-Sprecher Ralf Nitsch musste sich aufgrund einer CW-Anfrage erst einmal beim eigenen Vertrieb nach Infomatec erkundigen und ließ es dann bei der Aussage bewenden: "Infomatec ist einer unser zahlreichen Implementierungspartner."

Übertriebene Darstellungen hart an der Grenze der Realität, Geschäftspartner und -beziehungen, die sich bei näherem Hinsehen als lange nicht so bedeutend wie angekündigt erweisen - Auffälligkeiten, die sich wie Bremsspuren durch die Geschichte des Augsburger Unternehmens ziehen. Verbürgt sind mindestens noch zwei Fälle, in denen, wie CW-Recherchen ergaben, Infomatec-Ankündigungen nicht der Realität entsprachen. So zum Beispiel der Verkauf eines kompletten Extranet unter dem Produktnamen "Hipex" an Emtec Magnetics, der vom dort zuständigen DV-Projektleiter bestritten wird. Oder eine angebliche Kooperation mit der Teles AG, wo es um die Entwicklung einer neuen Generation von Internet-Endgeräten namens "Sky-DSL" gehen sollte, wozu man aber bei der Berliner ISDN-Schmiede heute eine wesentliche andere Auffassung vom Gang der Dinge hat.

Aufgrund des Geschilderten ist es kaum verwunderlich, dass sich Infomatec in diversen Online-Diskussionsforen wie "Wallstreet Online" großer "Beliebtheit" erfreut. Schließlich kannte der Kurs der Aktie in den vergangenen Monaten nur eine Tendenz: steil nach unten. Kaum erklärbar ist indes, dass der Name Infomatec bisher in keiner der bekannten "Todeslisten" auftauchte - Stoff für "Legenden" gäbe es genug. Wie kaum ein anderes Unternehmen am Neuen Markt haben die Augsburger in den vergangenen drei Jahren ihre Firmenstrategie auf den Kopf gestellt - und dies mehrmals.

Entwicklung und Vertrieb von Standardsoftware für den Einzelhandel, Kassensysteme samt Logistik, Settop-Boxen, Customizing im R/3-Umfeld, eine E-Commerce-Plattform namens Internet Core Applikation (CAP), in der frühere Einzel-Tools gebündelt sind und - jetzt neu - die Vermarktung der JNT-Software (Java Network Technology) als Betriebssystem für Thin Clients.

Analysten gehen zunehmend auf Distanz

Mittlerweile sind auch die Analysten, die in ihrer Mehrzahl dem Unternehmen lange Zeit die Stange gehalten haben, allmählich vorsichtiger geworden. Noch im Juni hatten die Investment-Berater von Dellbrück Asset Management in einer Studie "Microsofts Schaden - Infomatecs Nutzen" wahre Lobeshymnen über die Augsburger verbreitet-- unter dem Vorbehalt, dass noch während des zweiten Quartals zwei angeblich kurz vor dem Abschluss stehende Großaufträge fakturiert werden können. "Bis heute kam aber nichts", ruderte einer der Autoren im Gespräch mit der CW jetzt zurück.

Weitaus kritischer sieht man es bei der Bayerischen Landesbank, die als Emissionsbank beim Infomatec-IPO beteiligt war. Dort will man heute von seinem damaligen Zögling nicht mehr viel wissen und lässt sich mit den Worten zitieren: "Wir sind reserviert gegenüber Infomatec und raten nicht, den Titel zu kaufen."

Insider berichten von schlechter Stimmung

Auch die Stimmung im Umfeld des Unternehmens ist schlecht. Insider wollen von Kündigungen und laufenden Verfahren vor den Arbeitsgerichten wissen. Das geflügelte Wort von der "Augsburger Puppenkiste" macht die Runde. Doch die beiden Gründer und Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele ficht das offenbar nicht an. Sie sind ohnehin mit anderen Dingen beschäftigt, nämlich der globalen Expansion des Unternehmens. "Weißer Ritter in Singapur", "Großauftrag in China", "Infomatec fasst Fuß in Japan" - nahezu im Wochenrhythmus werden die Anleger und Analysten über angeblich strategische Aktivitäten in Fernost informiert, beeindruckend formuliert, aber von Deutschland aus nur sehr schwer nachprüfbar.

Gewissermaßen als "Beipack" wird von den Augsburgern, die im Geschäftsjahr 1999 bei einem Umsatz von 50,57 Millionen Euro einen Jahresfehlbetrag von 16,4 Millionen Euro auswiesen, eine besondere Form von Bilanzarithmetik verabreicht. Rumpfgeschäftsjahre, zahlreiche Tochter- und Enkelgesellschaften und ebenso viele neu gegründete beziehungsweise ins "Nirwana" integrierte Geschäftsbereiche - ein Wechsel bei den Wirtschaftsprüfern inklusive. Eine Spitzenstellung unter den so genannten Cash-Burnern ist damit garantiert. "Heute schon ist Infomatec einer der größten Application-Service-Provider. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird Infomatec eines der größten IT-Unternehmen der Welt und Marktführer in den Bereichen Internet-Applikationen und Internet-Lösungen sein", heißt es unter der Überschrift "Visionen" im jüngsten Quartalsbericht.

Na, dann bleiben wohl kaum mehr Fragen offen. Höchstens die, wie die Sache mit dem FC Augsburg gelaufen ist. Infomatec-Chef Harlos soll sich, so berichtet es die lokale Presse, um den Fußballverein als Privatsponsor verdient gemacht haben. Als es vor einigen Wochen jedoch darum ging, mit der Firma Infomatec einen umfassenden Sponsorenvertrag auszuhandeln (Infomatec bezahlt bereits für die Trikotwerbung), platzte der Deal. Grund: Der inzwischen zurückgetretene Vorstand des Vereins hatte nach Angaben des derzeitigen kommissarischen Vorstands Fritz Bäuml mit falschen Zahlen operiert, die ein erweitertes Engagement des Unternehmens zu einem Fass ohne Boden hätten werden lassen. Jetzt spielt der Verein mit Infomatec auf der Brust in der Amateurliga.