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Infineon: Kein Licht am Ende des Tunnels

13.11.2001
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Am heutigen Dienstag legte die Siemens-Tochter Infineon Technologies eine niederschmetternde Bilanz für ihr viertes Geschäftsquartal und das gesamte Geschäftsjahr 2001 vor. Das Unternehmen verzeichnete gegenüber dem Vorjahr massive Umsatzeinbrüche und für das gesamte Jahr einen Milliardenverlust vor Steuern und Zinsen. Skeptisch gab sich Infineon zudem für die kommenden sechs Monate aufgrund der schwierigen Marktsituation gerade im Speicherchipbereich.

Im vierten Geschäftsquartal brach der Umsatz gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 54 Prozent auf 1,09 Milliarden Euro ein. Der Nettoverlust betrug 523 Millionen Euro, während Infineon in den letzten drei Monaten des Geschäftsjahres 2000 noch ein Plus von 581 Millionen Euro erwirtschaftet hatte. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) belief sich zwischen Juli und September 2001 auf minus 882 Millionen Euro. Analysten hatten mit einem deutlich niedrigeren Ebit von minus 450 Millionen Euro gerechnet. Ein Jahr zuvor hatte Infineon noch plus 807 Millionen Euro erzielt. Die Bruttomarge des Unternehmens fiel im Vorjahresquartalsvergleich von plus 53 auf minus 32 Prozent.

Dickes Minus im Geschäftsjahr 2001

Im abgelaufenen Geschäftsjahr sank der Umsatz um 22 Prozent auf 5,67 Milliarden Euro. 53 Prozent der Einnahmen wurden in Europa generiert, im vergangenen Jahr entfielen auf diese Region lediglich 45 Prozent. Auf der anderen Seite ging der Umsatzanteil in den nicht-europäischen Ländern im Jahresvergleich von 55 auf 47 Prozent zurück. Unterm Strich kam für den Münchner Chiphersteller ein dickes Minus von 591 Millionen Euro heraus. Im Vorjahr hatte Infineon noch einen Nettogewinn von 1,13 Milliarden Euro gemeldet. Pro Aktie ergibt sich ein Verlust von 0,92 Euro, während im Geschäftsjahr 2000 noch ein Plus von 1,83 Euro je Anteilschein ausgewiesen wurde. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) fiel im Jahresvergleich von plus 1,67 auf minus 1,02 Milliarden Euro. Der Verlust enthält Aufwendungen von 358 Millionen Euro für die Abschreibungen von Lagerbeständen, akquisitionsbedingte Kosten in Höhe von 111 Millionen Euro, Restrukturierungskosten von

117 Millionen Euro und Wertberichtigungen in Höhe von 25 Millionen Euro. Positiv schlugen Veräußerungserlöse aus dem Verkauf nicht-strategischer Geschäftseinheiten von 235 Millionen Euro zu Buche. Die Bruttomarge ging im Jahresvergleich von 44 auf 14 Prozent zurück.

Foto: Infineon

Als Grund für die schlechten Zahlen nannte Infineon vor allem den starken Preisverfall bei DRAM-Chips (Dynamic Random Access Memory) und die Kosten für derzeit ungenutzte Kapazitäten in den meisten Nicht-Speichersegmenten. "Die Marktbedingungen haben sich wesentlich verschlechtert, insbesondere bei Speicherprodukten und in der drahtlosen Kommunikation", kommentierte Infineon-Chef Ulrich Schumacher. Er bekräftigte das bereits früher angekündigte Einsparungspotenzial von über einer Milliarde Euro, das mit dem Restrukturierungsprogramm "Impact" erzielt werden soll. In dessen Rahmen müssen insgesamt 5000 Mitarbeiter oder 15 Prozent der Belegschaft ihren Hut nehmen (Computerwoche online berichtete).

Bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr hat Infineon seine Investitionen von den ursprünglich geplanten 2,8 auf 2,3 Milliarden Euro reduziert. Für das laufende Geschäftsjahr, das am 1. Oktober begann, will der Konzern sogar nur noch 900 Millionen Euro investieren.

Trübe Aussichten

Schumachers Prognosen für das laufende Geschäftsjahr geben wenig Anlass zur Hoffnung: "Wir befinden uns in einer schwierigen Situation im Halbleitermarkt. Hinzu kommt die weltweite makroökonomische Unsicherheit." Er verwies zudem auf die erneut reduzierten Erwartungen der Marktanalysten, die im Kalenderjahr 2001 von einem über 30-prozentigen Rückgang im Halbleitermarkt ausgehen. Infineon rechnet daher in den nächsten sechs Monaten mit einer weiterhin unsicheren Marktsituation, die durch die wirtschaftliche Abschwächung sowie die Unsicherheit der weltweiten politischen Lage zusätzlich beeinträchtigt werde. Der bereits aggressive Wettbewerb bei den Speicherprodukten werde sich weiter verschärfen, der Preisdruck und der Überhang an Produktionskapazität sollen sich fortsetzen.

Nach dem starken Nachfragerückgang bei Mobiltelefonen Anfang 2001 geht der Münchner Hersteller nun davon aus, dass die Einführung der nächsten Generation von GSM/GPRS-Handys in der ersten Jahreshälfte 2002 zu einer moderaten Belebung des Mobilfunk-Halbleiterbereichs führen werde. Nach den Terrorattacken in den USA im September verzeichnete der Infineon-Bereich Sicherheits- und Chipkarten-ICs eine verstärkte Nachfrage. Hier erwartet das Unternehmen ein langfristiges Wachstumspotenzial.

Muss Siemens einspringen?

In Anbetracht der angespannten Situation im Halbleitermarkt rechnet Infineon für das gesamte Geschäftsjahr 2002 mit einem Verlust, solange die Preise für Memory-Chips auf dem aktuellen niedrigen Niveau bleiben und ungünstige Marktbedingungen die übrigen Geschäftsbereiche des Konzerns belasten. Der Hersteller geht davon aus, über ausreichende Liquidität und finanzielle Flexibilität zu verfügen, um die Auswirkungen der aktuellen Marktbedingungen "abzufedern". Um dies zu gewährleisten, hat Infineon neben seinem Restrukturierungsprogramm und der Reduzierung der Sachinvestitionen unter anderem verfügbare Kreditlinien organisiert. Zudem bestehe die Möglichkeit, weitere Aktivitäten zu veräußern, die nicht zu den Kernkompetenzen gehören. Einige Analysten befürchten jedoch, dass Siemens gezwungen sein könnte, der noch mehrheitlich in ihrem Besitz befindlichen Halbleitertochter finanziell unter die Arme zu greifen,

sollte Infineon bereits Mitte 2002 neue Investitionen benötigen.

Dem Mutterkonzern wird dies kaum schmecken, musste Siemens doch in diesem Jahr ebenfalls tiefe Gewinneinbußen hinnehmen. Der Elektronikkonzern wird am morgigen Mittwoch seine Jahresbilanz vorlegen, die Siemens-Chef Heinrich von Pierer in dieser Woche bereits mit den unheilvollen Worten ankündigte, ein Drittel der 14 Geschäftsbereiche hätten Probleme. Einige Analysten erwarten einen Nettoprofit von nur mehr rund 530 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr generierte Siemens noch ein sattes Plus von 8,86 Milliarden Euro.

Trotz der trüben Aussichten reagierten die Anleger erfreut: Die Infineon-Aktie stieg am heutigen Dienstagmittag um 5,74 Prozent auf 21,55 Euro (Stand: 11:37 Uhr). (ka)