Bitkom-Umfrage zur Hannover Messe

Industrie 4.0 hat die Fabriken erreicht

21.04.2016
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Auch wenn die Unternehmen bei den Investitionen in innovative digitale Technologien für die vernetzte Produktion noch zurückhalten sind: Industrie 4.0 ist in der deutschen Wirtschaft angekommen. Dies ergab zumindest eine Umfrage des Bitkom unter Vertretern von 559 Industrieunternehmen (> 100 Mitarbeiter) im Vorfeld der Hannover Messe.
Industrie 4.0 ist laut Bitkom in der deutschen Industrie angekommen.
Industrie 4.0 ist laut Bitkom in der deutschen Industrie angekommen.
Foto: Monkey Business Images - www.shutterstock.com

Der Studie zufolge sind bereits knapp zwei Drittel der deutschen Industrieunternehmen (65 Prozent) im Bereich Industrie 4.0 aktiv - fast jedes zweite Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe (46 Prozent) nutzt Industrie-4.0-Anwendungen und weitere 19 Prozent haben konkrete Pläne für den Einsatz. Ein Viertel der Befragten (23 Prozent) hat noch keine konkreten Pläne für den Einsatz von Industrie 4.0, kann sich aber vorstellen, künftig entsprechende Anwendungen rund um digitale Technologien wie Sensoren, Big-Data-Analysen oder 3D-Druck zu nutzen, mit denen die Fabrik zur intelligenten Fabrik wird, in der Maschinen, Produkte, Kunden und Lieferanten miteinander und nach außen vernetzt sind.

"Die vierte industrielle Revolution ist in der Werkhalle angekommen und nicht mehr nur ein Konzept in den Forschungslaboren", verkündete Frank Riemensperger, Bitkom-Präsidiumsmitglied, die Frohbotschaft bei der Präsentation der Ergebnisse. Die deutsche Leitindustrie sei damit auf dem Pfad, mehr Effizienz in ihre Prozesse zu bringen und neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Industrie 4.0 bringe nämlich nicht nur intelligente Produkte, sondern biete auch die Basis für digitale Services.

Prozessoptimierung und bessere Auslastung im Fokus

Laut der Bitkom-Befragung verfolgen die Anwender und Planer von Industrie 4.0 damit vor allem das Ziel, ihre Prozesse zu optimieren und die Kapazitätsauslastung in ihren Fabriken zu verbessern. 69 bzw. 57 Prozent nennen diese Punkte unter den drei wichtigsten Zielen. Rund die Hälfte (50 Prozent) erhofft sich von dem Einsatz vor allem eine schnellere Umsetzung von individuellen Kundenwünschen, 44 Prozent wollen durch Industrie 4.0 vor allem ihre Produktionskosten senken. Erst an fünfter Stelle wird mit 19 Prozent das Ziel genannt, mit Hilfe von Industrie 4.0 die Personalkosten zu senken. "Dies ist eine schöne Sache", so Riemensperger, helfe doch Industrie 4.0 dabei, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland im internationalen Vergleich zu verbessern.

Eine bessere Planung von Wartungsfenstern hat für 17 Prozent der Anwender und Planer hohe Priorität. Nur 14 Prozent verfolgen mit Industrie 4.0 zuvorderst das Ziel, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln oder bestehende Geschäftsmodelle zu verändern. Lediglich 13 Prozent zielen mit Industrie 4.0 vor allem darauf ab, neue Kundengruppen anzusprechen. "Industrie 4.0 zahlt unter anderem auf die klassischen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens ein: mehr Effizienz und Produktivität.

Industrie 4.0 bringt neue Geschäftsmodelle

Es geht gleichermaßen darum, Bestehendes zu verbessern und Neues zu schaffen", so Riemensperger. Insbesondere neue 'As a Service'- Geschäftsmodelle, in denen die Produkte nicht mehr verkauft, sondern die Nutzung nach Verbrauchseinheiten abgerechnet wird, erforderten es, die bewährten Geschäftsmodelle zu hinterfragen und möglicherweise grundsätzlich zu verändern. Als Beispiel verwies Riemensperger auf die Kaeser Kompressoren GmbH, die nun neben den Geräten auch als Service komprimierte Luft abrechnen und verkaufen.

Die Studie zeigt allerdings auch, dass die Unternehmer in puncto Investitionen noch eher vorsichtig agieren. So haben zwar 57 Prozent der Betriebe, die Industrie 4.0 anwenden oder dies planen, in diesem Jahr Gelder dafür eingeplant - das Budget macht aber im Schnitt nur vier Prozent des Gesamtumsatzes aus. "Hier gibt es noch Luft nach oben", kommentierte Riemensperger dieses Ergebnis. Digitale Marktführerschaft gebe es nicht zum Spartarif. Wer auch künftig noch erfolgreich sein wolle, müsse jetzt in die Digitalisierung investieren.

Interessanterweise sehen die befragten Unternehmen gerade in dem hierfür nötigen Mitteleinsatz die größte Hürde: 75 Prozent aller Industrieunternehmen sagen, dass hohe Investitionskosten den Einsatz von Industrie 4.0 in ihrem Unternehmen hemmen. Ebenfalls zu den Haupthemmnissen gehören die Anforderungen an den Datenschutz und an die Datensicherheit mit 55 respektive 51 Prozent. Der Mangel an Fachkräften wird von 53 Prozent als Problem genannt. Weitere Hemmnisse sind: die Komplexität des Themas (50 Prozent), der fehlende Rechtsrahmen (40 Prozent), eine befürchtete Störanfälligkeit der Systeme (38 Prozent), sowie fehlende Standards (36 Prozent).

Industrie 4.0 braucht einen integrativen Ansatz

Bei der Umsetzung von Industrie 4.0 gehen die Anwender und Planer fast alle (97 Prozent) strategisch vor, wobei die Ansätze unterschiedlich weit reichen: 59 Prozent haben eine Strategie für das Gesamtunternehmen, 38 Prozent nur für einzelne Bereiche des Unternehmens. "Das Ausprobieren in Teilbereichen ist ein guter Anfang" bewertet Riemensperger diese Strategie. Das volle Potenzial entfalte sich aber erst, wenn alle Bereiche konsequent digitalisiert werden. Außerdem nütze die beste digitale Vernetzung in der Fertigung wenig, wenn Lieferketten und Kundenbindungsprogramme mit den neuen digitalen Fertigkeiten und der damit verbundenen Agilität nicht mithalten könnten. "Mittelfristig braucht es deshalb einen integrativen Ansatz, der Lieferanten, Partner und Kunden in die eigene digitale Strategie mit einbindet", so der Bitkom-Sprecher. Gerade für die firmenübergreifende Zusammenarbeit sei es zudem gut, über den eigenen Tellerrand zu schauen und verstärkt externe Expertise einzubeziehen.

Strategieentwicklung meist intern

Die Umfrage ergab noch eine weitere Form von Silodenken. So werden die Industrie-4.0-Strategien derzeit größtenteils mit internen Mitarbeitern wie dem Produktionsleiter entwickelt, wie 91 Prozent der Befragten erklären. 39 Prozent haben externe Berater herangezogen, zum Beispiel von Unternehmensberatungen oder Industrie- und Handelskammern. 28 Prozent haben ihre Strategie in Kooperation mit mittelständischen oder großen Unternehmen aus der Digitalbranche entwickelt.

Im Vergleich dazu haben lediglich elf Prozent dafür mit Wettbewerbern kooperiert, acht Prozent mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Und nur sechs Prozent haben Startups in den Strategieprozess miteinbezogen. Aus Sicht des Bitkom sollten sich Unternehmen hier stärker nach außen öffnen und die Netzwerke intensiver nutzen:"Wenn es darum geht, neue datengetriebene Geschäftsmodelle zu entwickeln, braucht man neben erfahrenen eigenen Mitarbeitern auch Leute, die aus den gewohnten Denkmustern ausbrechen und frische Ideen einbringen", erklärte Riemensperger. Startups, Service-Partner und oft auch die eigenen Kunden lieferten hier meist kreative Impulse.

Industrie 4.0 braucht neue Mitarbeiter(-qualifikationen)

Industrie 4.0 hat auch Auswirkungen auf die Arbeit in der vernetzten Fabrik. So haben 11 Prozent der Unternehmen, die Industrie 4.0 anwenden oder dies planen, im vergangenen Jahr neue Mitarbeiter für diesen Bereich eingestellt, 15 Prozent planen das für dieses Jahr. Am gefragtesten aus der Gruppe der IT-Berufe sind dabei Datenanalysten: 36 Prozent der Unternehmen, die Mitarbeiter für Industrie 4.0 eingestellt haben oder dies planen, nennen diese Berufsgruppe. IT-Sicherheitsexperten stehen mit 21 Prozent an zweiter Stelle. Eingestellt wurden oder werden zudem Software-Entwickler bzw. Programmierer (17 Prozent), IT-Service Manager (15 Prozent), Systemarchitekten (13 Prozent) und Qualitätsmanager/Tester (10 Prozent).

Erfreulicherweise deutet die Umfrage auch an, dass mit Industrie 4.0 nicht unbedingt ein massiver Stellenabbau erfolgen wird. Nur sieben Prozent der Befragten gaben an, 2016 Mitarbeiter infolge der Nutzung von Industrie 4.0 zu entlassen, sechs Prozent haben aus diesem Grund im vergangenen Jahr Jobs gestrichen. "Industrie 4.0 verbannt den Menschen nicht aus den Werkhallen", so Riemensperger. Allerdings wandelten sich die Berufsbilder. Der Umgang mit den neuen digitalen Technologien müsse entsprechend geübt werden, und es brauche in der Regel auch neue Mitarbeiter mit guten Fähigkeiten im Umgang mit Industrial IT. Gefragt sind laut der Studie vor allem gut qualifizierte Fachkräfte, die interdisziplinäres Wissen für das vernetzte Arbeiten im Team mitbringen.