Kunde muß Berechtigung des Software-Entwicklers prüfen:

Individuelle und kreative Oberflächen-Merkmale sind schützt

14.09.1990

*Dr. Frank A. Koch ist Rechtsanwalt in München.

Wie in den USA könnte auch in der Bundesrepublik eine Reihe von "Oberflächen-Prozessen" Entwickler und Anwender beunruhigen. Zwar ist seitens der EG die Schutzfähigkeit von Benutzeroberflächen noch ungeklärt, doch hat es in den USA bereits ein Urteil gegeben, das Benutzeroberflächen von Software urheberrechtliche Schutzfähigkeit zubilligt, und auch in der Bundesrepublik sind sie geschützt.

Einiges Aufsehen hat in den letzten Wochen ein US-Urteil verursacht, demzufolge Benutzeroberflächen von Software (im gegebenen Fall von Lotus 1.2.3) als solches das heißt unabhängig vorn zugrunde liegenden Programm, urheberrechtlich schutzfähig sein können (siehe CW Nr. 30 vom 27. Juli 1990, Seite 6). Diese Entscheidung wird sich früher oder später auf den EG-Markt auswirken. Während in der EG die Freiheit der Funktionalität von Schnittstellen und die Zulässigkeit von Reverse Engineering eine einheitliche Regelung finden wird (siehe CW Nr. 31 vorn 03, August 1990, Seite 7)e ist die Schutzfähigkeit von Benutzeroberflächen noch ungeklärt. Da. mit liegt natürlich zunächst die Frage nahe, welcher Rechtsschutz in der Bundesrepublik für Benutzeroberflächen besteht. Einiges spricht dafür, daß Urteile bundesdeutscher Gerichte zu ähnlichen den Rechtsschutz bejahenden Ergebnissen kommen werden.

Anbieter kommerzieller Anwendungs- und Systemsoftware statten ihre Programme zunehmend gezielt mit einer einheitlichen Oberfläche ("Benutzer-Schnittstelle") aus. Gleich, ob der Benutzer zwischen verschiedenen Anwendungen hin- und herwechselt oder in größere Systeme hineinwächst, er soll immer in einer ihm vertrauten Bedienungsumgebung bleiben. Für die Kunden besteht der Vorteil darin, nicht für gleichartige Funktionen mehrere, teilweise völlig verschiedenartige Befehlsfolgen erlernen zu müssen. Anbieter hingegen erhoffen sich dadurch eine stärkere Bindung der Kunden an die eigenen Produkte.

In letzter Zeit wurden Programmoberflächen zu großflächigen Systemarchitekturen ausgeweitet. Deren einheitliche Struktur prägt alle davon betroffenen Programme sowie die Tastatur- und Mausauslegung ("Touch and Feel") und stellt den verschiedenen Programmen einheitliche Schnittstellen zwecks Datentransfer zur Verfügung. Die Ausarbeitung der zugehörigen Funktionslogik und Ausgestaltung ist zumeist mit erheblichem Aufwand verbunden.

Betrachtet man die bereits jetzt schon erhebliche und noch. weiter steigende technische und wirtschaftliche Bedeutung einheitlicher Benutzeroberflächen, so fällt auf, daß der bisher allgemein diskutierte Rechtsschutz für solche Strukturen deren Bedeutung nicht voll gerecht wird. Den Schutz aus Urheber- und Wettbewerbsrecht bezieht man hauptsächlich auf den Quellcode des einzelnen Programmes, nur selten hingegen getrennt auf ein von diesem Programm generiertes Display. Sind nun gewisse Display-Strukturen für alle Anwendungen einheitlich konzipiert, ließe sich die Einheitlichkeit dieser Strukturen nur über die zugrunde liegenden Programme rechtlich schützen, nicht aber selbständig an der Bildschirmoberfläche.

Besteht denn ein Schutzdefizit?

Das Kopieren oder Nachahmen der Programmcodes wäre hiernach zwar urheber- oder wettbewerbsrechtlich faßbar, nicht aber das Kopieren oder Nachahmen der Oberflächenstrukturen als solcher. Ein derartiges Ergebnis kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die schöpferische Leistung im einzelnen Programm oder der Wettbewerbsvorteil durch dieses weit hinter der Leistung beziehungsweise dem Vorteil zurückbleibt, der mit einer übergreifenden Oberfläche verbunden ist, unter der alle Einzelprogramme laufen. Diese Programme lassen sich teilweise recht schnell durch geeignete Tools erzeugen, umfassende Oberflächen benötigen hingegen sorgfältige und aufwendige Planung und Realisierung.

Während also das Bedürfnis nach Rechtsschutz für Benutzeroberflächen evident ist, scheint der Weg zu einem solchen Schutz steinig und bisher wenig begangen, andernfalls hätte die rechtliche Diskussion über erste Meinungsäußerungen längst hinausfahren müssen. Tatsächlich bestehen aber durchaus geeignete und ausreichende Schutzmöglichkeiten, die bisher freilich nur ungenügend genutzt wurden.

Immer wieder gerne zitiert werden etwa Fälle, in denen ein Anbieter auf einer Messe bei einem Konkurrenten ein fast identisches Softwareprodukt entdeckt. Bisher glaubte man oft, ohne Zugriff auf den Quellcode des Konkurrenzproduktes kaum eine Chance zu haben, eine Rechtsverletzung nachzuweisen. Insbesondere bestand stets die Möglichkeit, daß der Quellcode nicht kopiert, sondern an der Oberfläche entlang nachprogrammiert, wurde (etwa dann, wenn das Programm nur im Objektcode ausgeliefert wird). Nach den bestehenden rechtlichen Schutzmöglichkeiten kann aber bereits die Über einstimmung allein der Oberflächen genügen, um eine Urheberrechtsverletzung zu beweisen. Eine einheitliche, für eine Mehrzahl von Programmen konzipierte, ausdifferenzierte und schöpferisch gestaltete Oberfläche ist also selbständig urheberrechtlich schutzfähig. Grundsätzlich verkörpert sie außerdem eine wettbewerbsrechtlich schutzfähige Entwicklungsleistung.

Der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit steht nicht entgegen, daß sich die meisten Oberflächen über eine Sequenz von Einzel-Displays erstrecken. Mit der Länge der Display-Sequenz und ihrem inhaltlichen Gestaltungsreichtum dehnen sich die Grenzen des gesamten Gestaltungsspielraums aus und wachsen die Chancen, eine ausreichende gestalterische Werkhöhe für die Benutzeroberfläche zu erreichen. Notwendig ist aber, daß - nicht einfach nur funktionelle Abläufe wiedergegeben, sondern diese in individuell-schöpferische Gestaltungen eingebettet werden. Nicht die Logik der Bedienerführung ist urheberrechtlich schutzfähig, sondern deren schöpferische Umsetzung in eine einzelne Oberfläche.

Chance für ausreichende gestalterische Werkhöhe

Die gesamte Oberfläche wird als solche zumeist der Werkart der technischen Darstellung (° 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG) zuzuordnen sein. Diese Werkart ist nicht an ein Display-Format gebunden und erfaßt die gesamte Oberfläche, auch wenn diese nur durch mehrfaches Wechseln der Display-Inhalte insgesamt erkennbar wird.

Aus verschiedenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Stadtplänen, Landkarten etc. läßt sich ableiten, daß an die schöpferische Gestaltungshöhe derartiger technischer Darstellungen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es genügt, wenn ein gewisser Gestaltungsspielraum nachweisbar ist und auch tatsächlich ausgeschöpft wurde.

Ein eigenständiger Schutz der Oberfläche als "Programme für die Datenverarbeitung" (° 2 Abs. 1 Nr. 1, 2, Fall UrhG) scheidet aus, da der Schutzumfang des Begriffes "DV-Programm" nur den Programmcode in seinen unterschiedlichen Gestaltungen erfaßt, nicht aber vom Programm in seinem Ablauf generierter Displays oder Display-Sequenzen. Aus der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit eines bestimmten Programmcodes kann damit nicht automatisch die Schutzfähigkeit des Displays oder der Display-Sequenz abgeleitet werden, die bei dem Programmlauf generiert wird. Wenn die auf eine technische Darstellung notwendige Gestaltungshöhe nicht erreicht wird, kann ein - freilich vom Schutzumfang her begrenzter -"Laufbildschutz" (° 95 UrhG) in Frage kommen, der die Oberfläche immerhin gegen direktes Kopieren schützt. Die innere Logik des Ablaufes der Bedienerführung stellt eine ausreichende Parallele zu Laufbildern dar.

Das Urheberrecht bietet im Ergebnis ein differenziertes Lind praxisnahes Schutzinstrumentarium. Geschützt wird freilich nicht die funktionale Logik in einer Anwendung an sich, sondern immer nur deren konkrete und schöpferische Ausgestaltung in der einzelnen Benutzeroberfläche. Dieser Schutz kann aus einer einzelnen urheberrechtlichen Werkart oder einer Kombination solcher Werkarten bestehen.

Wettbewerbsrecht schätzt Eigenarten von Produkten

Wettbewerbsrecht schützt nicht die schöpferische Qualität, sondern eine bestimmte wettbewerbliche Eigenart von Produkten, insbesondere Herkunfts- und Qualitätsmerkmale. Solche Merkmale sind in der Benutzeroberfläche in dem Maße zu finden, in dem die Oberflächenstrukturen nicht nur rein funktional gestaltet sind, sondern etwa in dem Symboldesign oder dem Funktionenablauf auf genau einen bestimmten Anbieter verweisen.

Anbieter werden naheliegenderweise versuchen, ihre Software-Benutzeroberflächen möglichst unverwechselbar zu machen - und genau diese Anstrengung verdient grundsätzlich Schutz.

Wettbewerbswidrig handelt ein Konkurrent folglich nicht bereits dann, wenn er ebenfalls Oberflächen entwickelt oder in ihnen gleichartige Befehlsfolgen realisiert, sondern erst dann, wenn er einfach komplette, detaillierte Strukturen oder zumindest typische, herkunftsverweisende Merkmale übernimmt.

Das Wettbewerbsrecht schützt damit nicht nur vor dem Raubkopieren der Programme selbst, sondern auch vor Raubkopieren oder sklavischer Nachahmung von Benutzeroberflächen.

Weitere Schutzrechte kennen verstärken

Einzelne Schutzrechte können die bereits bestehende Wirkung verstärken. Eingetragene Warenzeichen bieten dem entwickelnden Anbieter einen gewissen Schutz, allerdings nur, wenn bequeme Konkurrenten gleich die Warenzeichen mitkopieren, was wohl eher die Ausnahme sein dürfte.

Weniger offensichtlich und folglich etwas wirksamer ist der Schutz einer (nicht eintragungsbedürftigen) Warenausstattung der Software. Eine gelungene Benutzerführung kann beispielsweise bereits die Warenwerbung und -verpackung prägen und insoweit als Software-Warenausstattung schutzfähig sein.

Computergrafiken als Teile von Benutzeroberflächen können außerdem, wenn in ihnen neue Gestaltungselemente verwendet werden, Geschmacksmusterschutz genießen.

Urheberrecht und Wettbewerbsrecht begründen in der Softwarepraxis ausreichende Schutzmöglichkeiten für Benutzeroberflächen, wenn diese individuell, kreativ und mit einer einheitlichen "Gestaltungsphilosophie" verbunden sind. Der Schutz einzelner Programme wird im Verhältnis zu diesen übergreifenden Softwarekonstrukten tendenziell an Bedeutung verlieren - allein schon deshalb, weil genau durchstrukturierte Oberflächen den Freiraum für die Gestaltung der einzelnen Programme teilweise erheblich einschränken.

Entwickler- und Kundenrechte berühren diese neuen Ansatzpunkte für das Entstehen von Rechten unmittelbar. Die Entwicklung des einzelnen, in die Benutzeroberfläche eingebetteten Anwenderprogrammes kann als einwilligungsbedürftiges Nutzen der Oberfläche zu betrachten sein, das Ändern dieser Oberfläche - etwa zur Anpassung an ein anderes Betriebssystem - als eine einwilligungsbedürftige Bearbeitung, wobei bereits das Erstellen einer Kopie, also einer Vervielfältigung auf Datenträger, eine einwilligungsbedürftige Verwertungshandlung darstellt.

Schutz in der Praxis für Benutzeroberflächen

Der Kunde muß seinerseits klären, ob der anbietende Entwickler berechtigt war, seine Software unter einer bestimmten Oberfläche zu entwickeln und diese mit seiner Software dein Kunden zur Nutzung anzubieten. Anderenfalls läuft der Kunde Gefahr, vom berechtigten Urheber auf Unterlassung, Herausgabe und Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden.

Wird Software durch eigenständigen Rechtsschutz für Benutzeroberflächen "zu Tode" geschützt?

Die Kritik an der oben erwähnten US-Entscheidung übersieht möglicherweise, daß das Urheberrecht nur individuellschöpferische Oberflächengestaltungen schützen kann. Niemandem ist es verwehrt, ebenfalls Oberflächen zu entwickeln. Niemand ist sogar daran gehindert, gleichartige Funktionsabläufe horizontal an der Oberfläche oder vertikal durch verschiedene Oberflächenebenen hindurch zu realisieren.

Geschützt sind hingegen die individuellen, kreativen Merkmale der jeweiligen Oberfläche, die diese von der bloßen Funktionalität abheben und - wie eine übersichtliche technische Darstellung - in ihrer komplexen Struktur transparent machen. Für eine solche, meist über die einzelne Programmentwicklung weit hinausgehende schöpferische Leistung kann und muß ein rechtliches Schutzbedürfnis bejaht werden.