Indiens BPO-Experten fehlen Perspektiven

14.10.2005
Vor allem im mittleren Management nimmt die Fluktuation zu.

Mit Anreizen wie höheren Gehältern jagen globale Serviceanbieter wie IBM und Accenture ihren indischen Konkurrenten speziell im BPO-Bereich Arbeitskräfte ab. Für gefährlich halten die Marktforscher von Kennedy Information vor allem die Ausdünnung der mittleren Management-Ebene. So stellte Wipro Technologies im ersten Quartal dieses Jahres zwar mehr als 2000 Fachkräfte ein. Im selben Zeitraum wechselte aber eine etwa gleich große Zahl an zum Teil langjährigen Mitarbeitern zu anderen Anbietern.

Auf diese Weise verlieren die Unternehmen immer mehr Experten mit fundierter Technik- und Branchenerfahrung, was sich längerfristig auf die Servicequalität auswirken wird, warnen die Analysten. "Die mittleren Manager haben zurzeit im Schnitt gerade einmal sechs Monate Berufserfahrung", bemängelt auch Kiran Karnik, President der indischen National Association of Software and Service Companies (Nasscom), die ein spezielles Trainingsprogramm anbietet, um IT-Profis besser auf Führungspositionen vorzubereiten.

Lohnniveau gleicht sich an

Indiens Software- und Serviceanbieter halten solche Bedenken für übertrieben. So ist Wipro-Chairman Azim Premji überzeugt, dass die aggressiven Abwerbemaßnahmen der globalen IT-Dienstleister scheitern werden: "Die anfängliche Vorstellung, mit dem Wechsel zu einem multinationalen Unternehmen stehe einem die Welt offen, hat sich überholt." Auf Dauer sei es unrealistisch, den Kunden einen Mehrwert bieten zu wollen und gleichzeitig um 50 Prozent höhere Gehälter zu zahlen. "Man sieht ja jetzt schon, dass sich die Löhne angleichen", so Premji.

Trotzdem versuchen die indischen Offshorer, die Mitarbeiter stärker an sich zu binden - mit zum Teil drastischen Maßnahmen. So müssen Berufseinsteiger bei Wipro und Infosys eine Kaution hinterlegen, die erst nach Ablauf einer festgelegten Beschäftigungsdauer wieder ausbezahlt wird. Verlassen sie das Unternehmen vor Ablauf der Frist, ist das Geld verloren. Die Firmen argumentieren, dass sie sich auf diese Weise die Ausbildungskosten zurückholen, wenn der betreffende Mitarbeiter nach Ablauf der Trainingsphase kündigt. Denn ihre Ausgaben für Aus- und Weiterbildung sind hoch. Infosys etwa investiert in diesen Bereich fünf Prozent der Gesamteinnahmen, die in diesem Geschäftsjahr auf über zwei Milliarden Dollar steigen sollen.

Einige BPO-Anbieter arbeiten inzwischen sogar mit Konkurrenten zusammen, um der Fluktuation Einhalt zu gebieten. Bilaterale Abkommen, in denen sich die Parteien auf Gehältergrenzen sowie eine Art Ehrenkodex verpflichten, sind keine Seltenheit. Romi Malhotra, Managing Director bei Dell Services in Indien, hält es allerdings für sinnvoller, den Beschäftigten langfristige Perspektiven in der BPO-Industrie aufzeigen. Derzeit gilt das mittlere Management nur als notwendiger Zwischenschritt auf der Karriereleiter. Speziell die Mitarbeiter von Call-Centern sind wegen des hohen Leistungsdrucks und der unregelmäßigen Arbeitszeiten nach kurzer Zeit ausgebrannt. (sp)